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Das Phantom „Drop-out”

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Ein Phantom geht um auf unseren Hochschulen, es heißt „Drop-out” - Ausfall, Versager, Studienabbrecher. Die Differenz zwischen Input und Output, zwischen Studienanfängern einst und Absolventen heute.

Jeder redet davon, aber niemand weiß, wie viele es wirklich sind, denn die Hochschulstatistik weist nur die Erfolgsquoten aus. Ist der „Rest” gleich „Drop-out”?

1980 bemühten sich die Statistiker festzustellen, was aus den einstigen Studienanfängern geworden war. Von den 5.374 Startern von 1967 hatten 13 Jahre später immerhin 58 Prozent ihr Studium abgeschlossen, unter ihnen acht Prozent in einer andern Studienrichtung, als am Anfang gewählt. Fast sechs Prozent waren immer noch inskribiert - ob ihnen noch ein Abschluß gelungen ist?

36 Prozent waren nicht mehr inskribiert, ohne abgeschlossen zu haben - drop out?

Warum geht man ohne Abschluß von der Universität ab? Hier müßten drei Gruppen unterschieden werden — sie größenordnungsmäßig festzustellen, wäre eine neue Aufgabe der Statistiker.

# Zunächst die „Jungen”: Sie beginnen mit bester Absicht und merken nach einiger Zeit, daß ein anderer Berufsweg besser wäre,

# oder sie beginnen, weil sie als Maturanten zunächst keinen Arbeitsplatz finden und später in andere Bildungswege überwechseln,

# oder auch nur, weil sie mit der Inskription Freifahrt und Stipendium bekommen, ohne echte Studienabsichten zu haben.

# Dann die „Mittleren”: Sie arbeiten sich im Fach vor, bis sie durch Berufstätigkeit oder familiäre Gründe — vor allem Mutterschaft — aus dem Studium gerissen werden und können später den Anschluß nicht mehr finden. 0 Oder sie kommen erst bei den letzten Prüfungen an die Hürde, die sie nicht mehr überspringen können.

# Schließlich die „Alten”, Senioren und andere Spätberufene, die erst in vorgeschrittenem Alter ihren Interessen folgen können, vielfach gar nicht mit der Absicht, auch ein Diplom zu erwerben.

Sie alle scheinen am Anfang als Inskribenten auf, am Ende in der „Drop-out”-Rate.

Die Zahl der bald wieder abfallenden „Schnupperer” könnte durch einen Numerus clausus wohl drastisch vermindert werden — den aber will niemand. Nirgends wurden mit Zugangsbeschränkungen dieser Art positive Erfahrungen gemacht. Wenn aber jeder junge Mensch das Recht haben soll, sich auf der Universität umzusehen, dürfen jene, die dabei zu negativem Ergebnis kommen, nicht als „Versager” angesehen werden.

Andrerseits bedingt der freie Zugang auch, die Auslese der Befähigten bald zu setzen. Der Vorwurf des „Hinausprüfens” geht also ebenso in falsche Richtung.

Die Zahl jener Studenten, die die Hochschule als „Parkplatz” ansehen bis sie einen Arbeitsplatz finden, wird im Hochschulbericht . 1984 mit 40.000 angegeben. Sie halfen mit, den Arbeitsmarkt zu entlasten — ein durchaus positiver Effekt.

Ob die „Trittbrettfahrer” des Sozialstaates zahlenmäßig ins' Gewicht fallen, wäre zu untersuchen. Strengere Vorschriften könnten Abhilfe schaffen.

Die menschlich kritische Gruppe ist jene der „Mittleren”, für die ein Aufhören nach oft vielen Studienjahren immer eine Frustration bedeutet. Hier liegen die echten „drop outs”, durchaus nicht immer durch Unfähigkeit bewirkt. Aber wie sollte ihnen geholfen werden?

Die Universität hat nicht nur die Aufgabe, als höchste Berufsbildungsanstalt den Nachwuchs in den akademischen Berufen zu stellen. Sie soll - neben ihren For-schangsaufgaben — auch Wissen, Bildung vermitteln, die nicht unmittelbar in Diplome und Berufsberechtigungen umzusetzen sind.

Wie viele Mittel die Gesellschaft hierfür bereitzustellen geneigt ist, ist eine politische Frage, die immer wieder neu von der Regierung, vom Parlament zu beantworten sein wird. Das gilt ebenso für den freien Zugang der Jungen wie der Alten. Eine Entscheidung, die auf einwandfreien Unterlagen, nicht auf Phantomen aufgebaut werden muß.

Das echte Problem unserer Hochschulen ist nicht die Zahl der Abbrecher, auch wenn sie in manchen Fächern mehr als die Hälfte der Anfänger ausmacht. Für die meisten von ihnen ist das Durchlaufen ohne Abschluß ein friktionsfreier Vorgang.

Kritischer erscheint die Tatsache, daß kaum zehn Prozent der Studierenden in der angesetzten Mindestzeit abschließen, und jeweils etwa ebenso viele aber sieben und acht Jahre brauchen.

Die von der Hochschülerschaft geforderte bessere Studieneingangsberatung der Maturanten, um die Drop-out-Raten zu senken, kann sicherlich gewisse Irrwege vermeiden helfen. Sie darf aber nicht darin bestehen, die Anfänger lediglich zu ideologisch nahestehenden oder „bequemen” Lehrern zu weisen.

Ebenso wenig dürften die Anforderungen gesenkt werden. Auf einem angespannten Arbeitsmarkt werden sich nur die Bestausgebildeten durchsetzen können.

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