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Die Senioren erobern die Universitäten

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Der Andrang der Jugend an den Universitäten hält an. Sie erhofft sich von einem Studium verbesserte Berufsaussichten. Aber auch die Senioren werden an den „Unis” immer zahlreicher. In Osterreich sind es heuer rund 10.000.

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Der Andrang der Jugend an den Universitäten hält an. Sie erhofft sich von einem Studium verbesserte Berufsaussichten. Aber auch die Senioren werden an den „Unis” immer zahlreicher. In Osterreich sind es heuer rund 10.000.

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Viele Senioren ziehen heute den „Uni”-Hörsaal der Parkbank vor. Immer mehr ältere Menschen beginnen zu studieren. Allein in Wien verdoppelte sich in den letzten fünf Jahren die Zahl der Studenten „älteren Semesters”. Waren es 1989 noch 5.000, so stieg ihre Zahl in den Jahren 1992/93 bereits auf 8.996, und für 1995 wird eine Gesamtzahl von 10.000 in ganz Osterreich erwartet.

„Der Wissensgewinn verleiht dem Leben Sinn”, bestätigt eine 58jährige Philosophiestudentin, die zeitlebens als Hausfrau tätig war. Zu ihrem Studium meint sie: „Ich schätze meine zunehmende Freiheit und fürchte das Alleinsein nicht.”

Für den Leiter der Senioren-Beratungsstelle der Universität Wien, Erhart Lebherz (75 Jahre, bereitet sich derzeit auf das Doktorat vor), ist das Studium der Senioren eine logische Folge unserer - durch den Drang nach Wissen und Verständnis geprägten -Zeit und daher begrüßenswert und unterstützungswürdig. Die österreichische Bektorenkonferenz hat für Frauen das 40. und für Männer das 45. Lebensjahr als Altergrenze für das Seniorenstudium festgelegt. Für diese Altersgruppe wird auch die spezielle Studienberatung angeboten.

Mit dem Seniorenzustrom liegt Österreich im internationalen Trend. Weltweit gibt es bereits 130 Senioren-Hochschulen. Nicht überall besuchen nämlich die älteren Menschen eine allgemeine Universität. So wurden in Frankreich bereits 1973 die „Universitäten des dritten Lebensalters” gegründet. Auch Polen richtete eigene Senioren-Hochschulen ein. In den USA wiederum bieten die Universitäten in den Ferien mehrwöchige Kurse für ältere Menschen an.

Weltweit steigt also die Zahl der studierenden Senioren seit Jahren: Ein

Extrembeispiel ist St. Gallen in der Schweiz. Dort besuchen 4.000 Männer und Frauen höheren Alters die Hochschule: Sie haben bereits die Zahl der jungen Studenten übertroffen.

Den „Run” der Senioren an die Universitäten erklärt Lebherz so: „Für die meisten älteren Menschen ist es wichtig, ein Ziel vor Augen zu haben. Für sie bedeutet das Studium Leistung. Sie kommen nicht an die Universität, um die Zeit totzuschlagen, sondern weil sie abschlußorientiert studieren wollen.

Dazu kommt, daß sie mit sehr viel Liebe und Interesse bei der Sache sind. Auch spielt der Faktor „Zeit” eine große Rolle. Senioren verfügen meist über viel freie Zeit, sodaß die sogenannte „Drop-out-Rate” (Studienabbrecher) im Vergleich zu jungen Studenten viel niedriger ist.”

Was inskribieren nun die Senioren an den Universtiäten? Die beliebtesten Studienrichtungen sind im Bereich der Geisteswissenschaften zu finden und hier vor allem die Fächer Geschichte und Kunstgeschichte. Großer Beliebtheit erfreuen sich auch Sprachen wie Englisch, Französisch und Italienisch. Auch Theologie ist eine von Senioren oft inskribierte Studienrichtung.

Seniorenberatung großgeschrieben

Interessant ist die Altersverteilung der älteren Studenten in den verschiedenen Studienrichtungen: In der Medizin und den Bechtswissenschaf-ten überwiegt der Anteil der 40- bis 60jährigen.

Die geschichtlichen Fächer werden eher von Senioren belegt, die schon älter als 60 Jahre sind. (Übrigens ist der älteste Seniorstudent in Wien bereits über 80 Jahre alt!)

Es gibt sogar Studienrichtungen, in denen die älteren Menschen die Mehrzahl der Studenten stellt: Die Numismatik, die Münzkunde, wurde in Wien von zehn Studenten inskribiert, wovon mehr als die Hälfte Senioren waren.

Die Motive, aus denen heraus ältere Menschen den Entschluß fassen an die Universität zu gehen, sind vielfältig. Für viele steht die Wissensbereicherung im Vordergrund. „Ich habe immer den Wunsch gehabt, mich im Alter geistig zu beschäftigen und viel zu lesen”, begründet eine 57jährige Dolmetschstudentin die nie berufstätig war, ihren Entschluß.

Für andere Spätstudierende steht die sinnvolle Freizeitgestaltung oder ein Nachholbedarf - als Ausgleich zu. fehlenden Möglichkeiten in der Jugend - im Vordergrund.

Bei einem 68jährigen Philosophiestudenten, der in nur drei Jahren das Magisterium schaffte und nun an seiner Dissertation schreibt, war das fachliche Interesse ausschlaggebend. „Ich wollte sehen, wie junge Menschen an der Universität für die Zukunft vorbereitet werden.”

Alt sein bedeutet nicht Rückschritt

Ein Großteil der Lehrenden an der Wiener Universität äußerte sich übrigens im Rahmen einer Befragung äußerst positiv zum Seniorenstudium. „Sie sind ehrgeiziger, pünktlicher, besser vorbereitet und kommen regelmäßiger zu den Lehrveranstaltungen als ihre jüngeren Kollegen” ist die einhellige Meinung der Professoren zu ihren „älteren Semestern”.

Dem Wunsch nach eigener Beratung wird auch von offizieller Seite Rechnung getragen. So wurden an den Universitäten Wien, Graz, Salzburg und Innsbruck von der Österreichischen Hochschülerschaft Seniorenreferate eingerichtet und Seniorenberatungen durchgeführt.

Daß alt sein nicht unbedingt einen Rückschritt bedeutet, unterstreicht auch die Wissenschaft. Laut neuester Altersforschung sind Senioren geradezu dazu prädestiniert, wieder die Schulbank zu drücken. Leopold Ro-senmayr, Vorstand des Instituts für Soziologie an der Universität Wien, hat dies in seiner Studie „Älterwerden als Erlebnis” festgestellt:

„Ältere Menschen haben den Vorteil, an früher Gelerntes anknüpfen zu können, sie vermögen ihr Wissen in einen soliden Rahmen einzuordnen und können sich den Luxus leisten, auch einmal etwas nicht wissen zu wollen.”

Die Universität Wien wartet mit einem eigenen Studienführer für das Studium älterer Menschen auf. Jeden Dienstag zwischen 16 und 17 Uhr gibt es in Wien 9, Universitätsstraße 10, Parterre, eine Senioren-Studienberatung.

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