6661192-1960_07_14.jpg
Digital In Arbeit

Problematik der Jury

Werbung
Werbung
Werbung

Zweifellos wirken Preisausschreiben, die den Einsendern neben der erhofften Aufführung ihres Werkes den finanziellen Vorteil einer — meistenteils großzügigen — Prämie in Aussicht stellen, ermunternd und anregend; sie strahlen Impulse aus und bereichern die tausendfältigen Fangarme, die selbst in den abgelegensten literarischen Winkeln auf ihrer Jagd nach annähernd Brauchbarem das Unterste nach oben kehren. Zweifellos ist so ein Dramatikerwettbewerb unabhängig von seinem Endergebnis grundsätzlich zu begrüßen, schon deshalb, weil nach menschlichem Ermessen jede Mühe irgendwann einmal belohnt wird, und nicht zuletzt auch deshalb, weil jede Chance, und sei es die geringste, so lange als versäumt gilt, so lange man sie nicht wahrgenommen und geprüft hat. Ob freilich die Jury eines Dramatikerpreisausschreibens just jenes bedeutende Gegenwartsdrama zu Tage fördern wird, nach dem die Theater- und Bühnenverlage im ureigensten Interesse ohnehin seit Jahr und Tag fahnden — und zwar, wie wir von den Spielplänen her wissen, mit nicht eben überwältigendem Erfolg —, ist mehr als ungewiß, man gebe sich da keinen übertriebenen Illusionen hin.

Wir wollen gar nicht erst auf all die prinzipiellen Schwierigkeiten verweisen, vor die jede Jury gestellt werden wird: auf das allenthalben im Literaturbetrieb latent vorhandene Problem des Zeitmangels etwa (das von einer Jury noch viel schwerer zu bewältigen ist als in den Dramaturgien und Lektoraten, da die Juroren ihrem Geschäft meist neben anderen, tagausfüllenden Verpflichtungen nachgehen) — und auf die Fährnisse, denen die Entscheidungen der Jury ausgesetzt sind: schon durch die Kopfzahlabstimmungsmethode des Ermittlungsverfahrens, die für die künstlerische Qualität des ausgewählten Werkes keineswegs verbindlich sein muß.

Neben dieser prinzipiellen Problematik, die wir. nur in groben Umrissen streifen wolhen, beziehen wir unsere Skepsis vor allem aber aus der Praxis: Die Zusammensetzung einer Jury ist in der Regel weder kompetenter oder: an Erfahrung reicher als jenes hauptberuflich tätige Forum von Fachleuten, deren Aufgabe es ist,

Stücke zu lesen, noch werden die Juroren — und das ist das Entscheidende — hinsichtlich der Einsendungen bevorzugt „beliefert“ werden. Im Gegenteil: Die Wahrscheinlichkeit, daß sich die Jury mit Einsendern wird zu beschäftigen haben, die den Dramaturgen und Lektoraten schon längst bekannt sind, ist ebensowenig von der Hand zu weisen wie die Vermutung, daß sich unter der Flut der gefürchteten Schubladenstücke unermüdlicher Außenseiter zahlreiche Werke befinden werden, die an anderen Orten bereits geprüft und verworfen worden sind.

Mit anderen Worten: Die Jury wird sehr wahrscheinlich dazu verurteilt sein, jenes natürliche, über Jahr und Tag ausgedehnte Ausscheidungsverfahren, das andernorts bereits zu einem Gutteil vollzogen worden ist, in ihrem eiligen Schürfungsbereich in mühsamer Kleinarbeit zu wiederholen. So nun nicht ein ganz ungewöhnlicher, unvorhergesehener und unberechenbarer Fall eintritt, nämlich die Auffindung eines wahrhaft genialen Werkes aus mehr oder minder anonymer Meisterhand (was zwar nur alle paar Jahrzehnte einmal vorkommt), die Jury aber stets als gegebene Möglichkeit zur Wachsamkeit und gewissenhaften Sichtung anregen muß, geraten daher in den engeren Kreis der Auswahl meistens neue Stücke (oder Stückfragmente) bereits als hinreichend verläßlich bekannter und arrivierter Autoren — was ja wiederum nicht eigentlich Sinn eines breitangelegten Wettbewerbes ist.

Dennoch, trotz aller Schwierigkeiten und Probleme, trotz aller Skepsis und Problematik, wird es immer wieder versucht werden, stets von neuem und stets mit nur sehr geringen Chancen vor Augen — und das ist denn auch gut so: Denn die Schöpfung tritt vielleicht doch eines Tages just dort zutage, wo man sie kaum erwartet hat...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung