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Die Diagonale-Leiter: "Die Welt brennt, und ihr geht ins Kino?"

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Film ist immer Ausdruck von Gesellschaft, meinen Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Diagonale, auch wenn Film mitunter "über die Bande spielt".

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Film ist immer Ausdruck von Gesellschaft, meinen Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Diagonale, auch wenn Film mitunter "über die Bande spielt".

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Die diesjährige Diagonale ist die erste, die unter der Leitung von Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber stattfindet. Die FURCHE sprach mit den Festivalleitern über ihre Sicht der gesellschaftlichen Relevanz von Film( en) in der gegenwärtigen Situation.

DIE FURCHE: Man kann nicht über ein Filmfestival reden, ohne auch von der politischen Situation auszugehen.

Peter Schernhuber: Das kann man gar nicht unabhängig voneinander tun, weil Film immer Ausdruck von Gesellschaft ist. Und ein Festival ist immer so stark wie die Filme, die es zeigt. Man muss aber die Rolle eines Festivals präzise fassen: Immer wenn große politische Änderungen anstehen, gibt es so eine Sehnsucht nach der Kunst und Kultur als die Feuerwehr, die jetzt einspringt und mit Lösungsvorschlägen parat stehen muss oder thematisch zu reagieren hat. Diese Tendenz haben wir in der Vorbereitung als sehr problematisch empfunden. Zielführender erscheint es uns zu fragen: Was können uns Filme erzählen, was können sie leisten? Welche Rolle nimmt das Kino in Krisenzeiten ein? Film ist ein ganz anderes Medium als beispielsweise der echtzeitorientierte Tagesjournalismus und benötigt ganz andere Vorbereitungszeit, darin liegt auch sein Potenzial.

DIE FURCHE: Österreich befindet sich in einer bislang ungekannten Polarisierung. Die Flüchtlingskrise ist da nur der Auslöser.

Schernhuber: Man könnte natürlich polemisch sagen: Die Welt brennt und ihr geht ins Kino Aber es lohnt sich gerade jetzt ins Kino zu gehen und zu fragen: Was erzählt uns die Leinwand, und wo liefert gerade das Kino Bilder zur politischen Situation? Wie kann Film komplexe Zusammenhänge in Bilder fassen? Wo schafft das Kino Perspektiven, die der Politik fehlen, wo liefert die Politik Handlungsvorschläge, die außerhalb des Möglichkeitsraums des Kinos liegen? Genau an dieser Stelle ist es der Auftrag für ein Filmfestival, Begegnung und Dialog herzustellen. Denn der reguläre Kinobetrieb macht das in der Regel ja nicht. Es geht uns dann darum, den Dialog zwischen Filmschaffenden und Publikum - und auch mit der Politik - zu verdichten. Wir gehen da beispielsweise im Rahmenprogramm der Diagonale mit einem Talk in Kooperation mit dem Forum Alpach "Aufruf zu Europa" darauf ein, wo der Film auf Politik trifft.

DIE FURCHE: Seit der digitalen Revolution kann jeder sehr spontan mit Film reagieren. Die Abstände sind sehr viel kürzer geworden: Man konnte etwa innerhalb eines halben Jahres einen Film über den Majdan in Kiew und den Protest dort machen - da waren die Rauchschwaden dort noch nicht einmal verzogen. Dieser Film hat natürlich eine völlig andere dramaturgische Konzeption als einer, der klassisch als Film konzipiert wurde. Da muss man spontan sein und anders arbeiten, viel simpler. Gab es solche spontaneren Arbeiten auch bei den Einreichungen für die Diagonale?

Sebastian Höglinger: Es stimmt, dass man schneller reagieren kann. Beim politischen Kino finde ich es dennoch spannend, einen Schritt zurückzutreten, weil ja auch viel auf der Strecke bleibt, wenn man einfach in die Aktion hineingeht und das Filmische ganz hintanstellt. Das kann durchaus glücken. Es gab auch einige Einreichungen, die es dann nicht ins Diagonale-Programm geschafft haben. Arbeiten, die eher dokumentieren oder vor Ort abbilden, aber den größeren Kontext ausblenden. Diese Filme halten einen Istzustand fest und haben auch gar nicht den Anspruch, die große Narration fürs Kino zu gestalten. Vieles ist zum Zeitpunkt der Sichtung auch schon überholt gewesen: Da zeigt sich das Phänomen, dass es zurzeit wirklich schnell geht, es hat sich so rasch geändert ...

DIE FURCHE: ... die "Willkommenskultur" kann man auch filmisch jetzt ja nicht mehr so thematisieren wie man es vor einem halben Jahr getan hätte ...

Schernhuber: ... und auch andere Konflikte: Wenn man etwa in den Nahen Osten, nach Syrien schaut, an die türkische Grenze. Es gibt mehrere Schauplätze auf der Welt, wo sich zuviel getan hat.

DIE FURCHE: Man braucht also eine filmische Langzeitbeobachtung und weniger eine spontan gemachte.

Höglinger: Oft ist es wichtig, eine politische Situation nicht nur explizit darzustellen, sondern das Thema über die Bande zu spielen. Ein interessantes Beispiel ist Jakob Brossmann, wie er es bei "Lampedusa im Winter" gemacht hat: Dort wurde für seinen Film über Lampedusa ein Unglücksfall zum Glücksfall, weil die Fähre, die das Festland mit der Insel verbindet, abgebrannt ist, und er eigentlich gar nicht wusste, ob er seine Pläne für den Film überhaupt umsetzen kann. So rückt ein ganz anderer Konflikt in den Mittelpunkt des Films und erzählt die Flüchtlingssituation vor Ort quasi über Umwege. Das sind starke Momente. So ein Film funktioniert dann auch länger, weil er die größere Klammer hat.

Schernhuber: Es ist ja längst nicht mehr so, dass die Bildwerdung an sich schon einen Mehrwert darstellt. Die Bilder hat man ja laufend - auf Twitter, Facebook. Man sieht, was dort abgeht, umso dringlicher und wichtiger werden die Kontexte. Deshalb finde ich die Entscheidung von Gerald Igor Hauzenberger bei "Last Shelter" interessant, dem Dokumentarfilm über die Votivkirchen-Flüchtlinge, am Schluss einen Teil an der ungarischen Grenze zu zeigen, wo 2015 wieder Zäune aufgestellt wurden. Dieser Schluss fällt aus diesem narrativen Teil heraus - was auch kritisiert wurde -, aber auf diese Weise wurde eine Aktualisierung hergestellt ...

DIE FURCHE: ... so hat er den Film mit einer Langzeitbeobachtung ergänzt. Man kann Filme da auch als Work in Progress begreifen. Schon vor zwei Jahren hat die FURCHE ihre Diagonale-Berichterstattung auf Flüchtlingsfilme fokussiert - unter anderem der Brüder Riahi. Was also jetzt in aller Munde ist, war schon 2014 filmisch so präsent. Weist etwas im Diagonale-Programm heuer in eine vergleichbare Relevanz-Richtung?

Schernhuber: Es ist die Frage, ob sich die Themen so geändert haben. Es ist eher Zuspitzung und Aktualisierung geschehen. Die Dinge, die auf der Leinwand bekannt waren, sind nun auch örtlich nahegekommen, sie finden wenige Kilometer von den Diagonale-Kinos an der Grenze statt. Weil das Wort "Willkommenskultur" gefallen ist: Es wird zurzeit verstärkt nach der Frage, wie wir leben wollen, gefragt: Wie geht man mit neuen Lebenssituationen um - von jenen, die gekommen sind, und jenen, die schon länger hier sind oder schon immer hier leben.

DIE FURCHE: Diese Frage thematisiert ja auch der eben gekürte Berlinale-Preisträger Gianfranco Rosi in "Fuocoammare", wo auch er den Ausnahmezustand auf Lampedusa mit dem Alltäglichen zu verknüpfen sucht.

Schernhuber: Das findet man auch auf der Diagonale in ganz unterschiedlichen Formaten - von den Brüdern Riahi mit "Kinders" bis zu Patric Chihas "Brüder der Nacht" über bulgarische Roma, die sich in Wien als Stricher verdingen: Beide Filme zeigen auf unterschiedliche Weise eine gewisse Normalität im Nichtnormalen oder andersrum ...

Höglinger: ... bei "Kinders", der von Kindern aus prekären Verhältnissen und dem Musikförderprojekt "Superar" handelt, ist das interessant, weil der Film seine Protagonist/innen begleitet und bühnenhaft inszeniert. Es gibt aber eine Szene bei einem bunten Abend beim Sommercamp, wo ich das Gefühl habe: Da ist die Kamera zufällig dabei; sie zeigt den Streit eines Bruders mit seiner Schwester, der ihr das Tanzen ankreidet - er führt da auch die Scharia ins Treffen. Da wird es spannend, weil man das Gefühl hat, hier ist der Film so richtig drinnen in der Realität, wie das eskaliert ,und wie sich dann die Mädchen zusammentun, um dem entgegenzuhalten und der Freundin Stütze zu sein. Das ist ein starker Moment.

DIE FURCHE: Was wird heuer, mit der neuen Intendanz, auf der Diagonale anders sein?

Höglinger: Die Diagonale, das hat schon unsere Vorgängerin Barbara Pichler durchgesetzt, ist keine Werkschau der gesamten österreichischen Jahresproduktion mehr, der Output ist mittlerweile viel zu groß. Die Rolle der Diagonale hat sich über die Jahre verändert -vom reinen Branchenfestival in Richtung Publikumsfestival -und auch als Festival mit starkem kuratorischem Anspruch.

DIE FURCHE: Gewisse Vollständigkeit gibt es doch. Man müsste etwa Elisabeth Scharangs Unterweger-Film "Jack" nicht mehr spielen, der hat seine Öffentlichkeit ja längst gehabt.

Schernhuber: Die Diagonale hat als Festival des österreichischen Films eine gewisse Sonderstellung. Da geht es auch um ein Auspendeln zwischen Repräsentativität und Haltung. Wenn Sie jetzt "Jack" ansprechen, dann operiert dieser Film einerseits mit einem sehr österreichischen Thema und zweitens auch mit einem Mythos. Der kuratorische Kniff besteht jetzt darin, dass "Jack" in der Reihe "In Referenz" mit Wilhelm Hengstlers "Fegefeuer", der Verfilmung des Unterweger-Romans aus 1988, ein Vis-à-Vis hat. In einer Begleitveranstaltung werfen wir die Frage auf, wie man sich solch einem Thema überhaupt filmisch annähern kann, wie sich dazu Bilder finden. Man kann da ganz unterschiedlich herangehen - wie Willi Hengstler, wo ja Jack Unterweger auch am Drehbuch selbst beteiligt war, oder wie eben mit "Jack" - viele Jahre später und einem ganz anderen Wissensstand.

Höglinger: Wichtiger Teil unseres Konzept ist, rote Fäden durchs Programm zu spannen und, wo es möglich ist, an aktuelle Tendenzen und an aktuelle Positionen im Wettbewerb anzuknüpfen und die Fäden weiter ins Rahmenprogramm zu ziehen. Nicht zuletzt dazu haben wir die Reihe "In Referenz" eingeführt: Das ist unser Kitt im Festivalgemäuer. Die Ausgangsüberlegung war, internationales Filmschaffen mit österreichischem in Dialog zu bringen und zu versuchen, wie da wirklich Korrespondenz hergestellt werden kann.

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