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Kotten und Mundl hatten Qualität

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Als „Folklore des 20. Jahrhun­derts" konnte man Österreichs Filmschaffen lange Jahre hindurch bezeichnen. Obwohl im heimischen Kino jahrzehntelang Polka- und Marschmusik den Rhythmus be­stimmte, edelmütige Förster, herz­liche Postilliontöchter und fidele Wehrmänner aus proletarischem Hause die Studios bevölkerten, und Höhepunkte der Handlung meist vor der Kulisse einer volkstümli­chen Festivität stattfanden, muß jeder Zusammenhang mit dem Gehalt dieser Definition streng zurückgewiesen werden. Die Aus­einandersetzung mit wirklichen Menschen, Landschaften und Lebenszusammenhängen, wie sie in Frankreich, Italien, England, selbst in den USA praktiziert wurde, fand hierzulande nur in seltenen Aus­nahmefällen statt.

Als solcher Paradefall wäre „Der weite Weg" von Eduard Hösch, entstanden im Jahre 1946, zu nen­nen. Diese Heimkehrergeschichte bezeugt zumindest den Versuch von Authentizität, vom Bemühen um Anschluß an internationale Strömungen der Nachkriegszeit. Statt Nachfolger fand Hösch jedoch kräf­tige Kontrahenten: Die offizielle Filmwirtschaft sprach sich für „gesunde" Ablenkung von tristen Verhältnissen aus.

1949 ging es dann noch tiefer ins Vor-Zivilisatorische, Harald Reinl drehte das Wildererdrama „Berg-kristall", ein Bekenntnis zuelpiner Archaik und eines der Fundamente für den Heimatfilm. Alltag schien endgültig vergessen. Auch dann noch, als im Zuge des wirtschaftli­chen Aufschwungs der physische Überlebenskampf von psychischen Problemen abgelöst wurde. Von dieser neuen Lage motiviert, ver­suchte 1952 der junge Regisseur Kurt Steinwender die Tugenden des Realismus nach italienischem Vor­bild zu etablieren, „Wienerinnen" hieß sein Film.

Auf gleichzeitig reißerische, tri­viale, melodramatische und alp­traumhafte Art entwarf Steinwen • der eine Serie von zeitgenössischen Frauenporträts, von Mädchen­schicksalen voll vorstädtischer Tristesse und unbewältigter Sexua­lität. Regisseur, Darsteller, allen voran Kurt Jaggberg, Edith Klin­ger, Karl-Heinz Böhm, und der Kameramann Elia Karniel bewie­sen, daß in Österreich das notwendige Potential für eine ernsthafte Filmkultur durchaus vorhanden war. Spätestens 1955, nach dem Mißerfolg von G. W. Pabsts „Der letzte Akt", kamen Projekte in die Schreibtischlade, die nicht für eine heile Welt plädierten. Es war das Jahr, in dem Karl-Heinz Böhm in „Sissi" brillierte.

In den sechziger Jahren hielten sich die verbliebenen Produktions-fiiynen mit billigen Sex-Klamotten über Wasser, 1965 entstand als Ne­benprodukt in all seiner Verzer­rung und Abartigkeit der durchaus realistische Film „Geißel des Flei­sches" von Eddy Salier, eine Kol­portage über einen Frauenmörder.

In diesen Jahren diente bereits das österreichische Fernsehen als Anlaufstelle für talentierte Regis­seure, Darstellerund Kameraleute. Im Sinne des kulturellen Auftrags konzentrierte sich die Produktion vorwiegend auf die Umsetzung von Literatur. Als Glanzstücke wären zu nennen: „Der Himbeerpflücker" (nach Fritz Hochwälder) von Erich Neuberg (1965), eine gewagte, längst vergessene Annäherung an Schnitzlers „Traumnovelle" von Wolfgang Glück (1969), die Visua­lisierung von Wolfgang Bauers Underground-Groteske „Change" von Franz Peter Wirth (1971).

Talenteförderer sollte der ORF selbst dann noch bleiben, als 1975 der erste, reichlich magere Entwurf einer Filmförderung in Kraft trat. Erste Schritte zur Rückeroberung des verlorenen Terrains, der So­zialkritik waren Axel Cortis „Tot­stellen" oder Wilhelm Pellerts „Jesus von Ottakring". Sie erwie­sen sich als holprige, ungelenke Versuche im Realismus und waren vor allem bieder.

Weitaus souveräner in der Ge­staltung von klein- und mittelbür­gerlichen Milieus gingen die Jung-filmer Peter Patzak und Reinhard Schwabenitzky bei ihren legendä­ren TV-Serien „Kottan ermittelt" oder „Ein echter Wiener geht nicht unter" vor. Für kurze Zeit erwies sich die vorstädtische Atmosphäre - Brutstätte für Gewalttätigkeit, Affekt-Delikte und Fälle von Wie­derbetätigung —als Markenzeichen des österreichischen Films. Weitere adäquate Darstellungen dieser faulen Idylle lieferten Patzak mit „Kassbach" (1978), Franz Novotny mit„Exit- NurkeinePanik" (1980) und Gerhard Kargl mit „Angst" (1981).

Daß bald darauf schon wieder die bewußte Abwendung von der Wirk­lichkeit, das aktive Vergessen den Vorrang erhielten, ist mittlerweile hauptsächlich den Filmschaffenden selbst anzulasten. Der private Konflikt in der Wohngemeinschaf t, die Second-Hand-Phantasie in Neonbeleuchtung und die verloge­ne Vergangenheitsbewältigung sol­len und dürfen nicht alleiniges Thema im österreichischen Film sein. Sind es aber und interessieren niemanden.

Der Autor, geboren 1959 in Wolfsberg/ Kärnten, studierte Publizistik, Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und an der Akademie der bildenden Künste, warChefredakteurdes „Film­logbuch", lebt in Wien als Filmkritiker, Filmre­gisseur und Drehbuchautor.

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