Bei der zur Zeit laufenden Viennale wird eifrig über die Diagonale diskutiert Österreichs Filmbranche zeigt sich uneinig wie seit langem nicht.
Die Zeiten des fröhlichen Einklangs sind vorüber. Die österreichische Filmszene streitet wieder. Die großen Festivalerfolge für den heimischen Film blieben heuer aus, und seit Kulturstaatssekretär Franz Morak (VP) "ohne Konsultation der heimischen, kreativen und filmwirtschaftlichen Kompetenz" (der Verband österreichischer Produzenten) eine neue Führung für das Filmfestival Diagonale installierte, ist Feuer am Dach. Von Boykottaufrufen (Viennale-Direktor Hans Hurch) bis zu zeitgleichen Gegenveranstaltungen der im März 2004 stattfindenden Diagonale reicht das Protestspektrum. Ein Besuch des Verbandes österreichischer Regisseure im Kunststaatssekretariat blieb erfolglos und Franz Morak blieb hart.
Nicht am gleichen Strang
Im Internet kann unter www.rundumdiediagonale.at eine Petition gegen die "neue" Diagonale mit südosteuropäischer Ausrichtung und ihre Leiter Miroljub VuÇckovi´c (ehemaliger Direktor des Belgrader Filmfestivals) und Tillman Fuchs (vormals Manager bei ATV) unterzeichnet werden. Bis dato sind dort rund 600 Unterschriften zu finden, die Namen reichen von Filmemachern wie Michael Haneke, Ulrich Seidl und Virgil Widrich über Schriftsteller wie Elfriede Jelinek bis hin zu namhaften Journalisten und Politikern. Doch so einheitlich ist der Protest nicht: Einige gewichtige Namen aus der Branche fehlen auf der Boykott-Liste.
Ein Indiz dafür, dass die Branche, die man über die letzten Jahre mühsam geeint hat, wieder beginnt, an unterschiedlichen Strängen zu ziehen. Freilich: Momentan teilt sie sich in die radikalen Gegner der neuen Diagonale und die ratlosen, schweigenden Gegner auf. Allen gemein bleibt, dass sie mit Franz Morak wohl nie auf einen grünen Zweig kommen dürften.
Die Viennale gibt - fernab vom üblichen hochkarätigen Filmprogramm - dem Protest eine Bühne. Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ), ein bekennender Freund des Wiener Filmfestivals: "Ich bedaure es zutiefst, dass man etwas, was gut gewachsen ist und für den österreichischen Film wichtig war, mutwillig zerstört hat. Aber es ist wichtig, dass sich die Filmszene nicht auseinander dividieren lässt. Dafür ist sie viel zu klein." Mailath-Pokorny, sichtlich stolz auf die langjährige finanzielle Unterstützung der Viennale durch die Stadt Wien, fordert eine Neuausschreibung des Diagonale-Postens: "Zurück an den Start!"
Viennale-Erfolgsstory
Doch die aktuelle Stunde gehört der Viennale: Erst kürzlich wurde sie vom renommierten Online-Filmmagazine IndieWIRE zu den 15 wichtigsten Festivals der Welt gewählt und teilt sich diese Ehre unter anderem mit Berlin, Venedig oder Cannes. Während die Viennale in diesem Jahr erstmals eine größere Anzahl heimischer Filmproduktionen im Programm hat - unter dem Titel "News from Home" laufen neue Werke von Ulrich Seidl, Barbara Albert oder Goran Rebic -, setzt sie auch Zeichen im Bezug auf die Kinolandschaft. Die wieder eröffnete Urania stellt ihren neuen Glanz dem Festivalzentrum der Viennale zur Verfügung und die Bespielung von fünf Innenstadtkinos durch die Viennale (darunter die krisengebeutelten Häuser Gartenbau und Metro) rissen MailathPokorny stolz zu der Aussage hin, Wien habe das Kinosterben erst einmal überlebt. Dank der Unterstützung der Stadt Wien, selbstredend.
Kinemathek von Weltrang
Auch im Österreichischen Filmmuseum wurde aufgeräumt: Mit der traditionellen Retrospektive zur Viennale wurde das Haus Anfang Oktober frisch renoviert eröffnet. "Wien hat wieder eine Kinemathek von Weltrang", schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Trotz dieser Jubelbilanzen ist die Stimmung getrübt: Denn erstmals wird ersichtlich, welche einigende Brückenfunktion die Diagonale unter der Leitung von Christine Dollhofer und Constantin Wulff für die Branche gehabt hat. "Es bleibt zu hoffen, dass es gelingt, das Festival in Graz als offenes, kritisches Forum für den österreichischen Film zu erhalten. Alles andere wäre fatal", befand die scheidende Intendanz Ende September.
Die Filmszene ist also wieder mit sich selbst beschäftigt. Was dabei auf der Strecke bleiben kann, ist das Filmschaffen an sich. Denn die großen internationalen Erfolge des österreichischen Films sind auch möglich gewesen, weil man an einem Strang gezogen hat. Das Bild eines kreativen, richtungsweisenden Filmschaffens im Ausland ist unter den gegenwärtigen Voraussetzungen nicht aufrecht zu erhalten.
PROGRAMM: www.viennale.at
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