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Französischer Film: Unkritisch und leer

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Neues Kino, Kino abseits der Gleichförmigkeit amerikanischer und westeuropäischer Kommerzproduktionen, das ist der Schwerpunkt, den sich das Filmfestival im mittelitalienischen Pesaro seit fast dreißig Jahren setzt.

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Neues Kino, Kino abseits der Gleichförmigkeit amerikanischer und westeuropäischer Kommerzproduktionen, das ist der Schwerpunkt, den sich das Filmfestival im mittelitalienischen Pesaro seit fast dreißig Jahren setzt.

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Vom 10. bis 18. Juni wurden heuer in zwei verschiedenen Kinos Filme aus vier sehr unterschiedlichen Reihen gezeigt: Stummfilme aus der Zeit von 1911 bis 1914, Kino aus Südkorea, eine umfassende Retrospektive des Schauspielers und Regisseurs Vittorio De Sica sowie ein Überblick über das junge französische Kino.

Gerade diese Reihe war als Highlight gedacht, umso mehr als nach Pesaro immer sehr viele junge Festivalbesucher kommen, Studenten italienischer Filmhochschulen, die sich natürlich stark für die Arbeit ihrer französischen Kollegen interessieren.

Um es gleich vorwegzunehmen, ihre Erwartungen wurden wohl nicht erfüllt. Oberflächliche Dialoge, langweilige Geschichten und vor allem das völlige Fehlen jeglicher Gesellschaftskritik zogen sich wie ein roter Faden durch die französischen Produktionen. ,

Vor allem dieser letzte Punkt, das totale Ausklammern sozialer Probleme und Themen, wurde von vielen kritisiert. Gibt es im Frankreich der neunziger Jahre wirklich keine gesellschaftlichen Phänomene, die junge, engagierte Filmemacher darstellen könnten? So oder ähnlich wurde die Frage immer wieder an die französischen Regisseure gestellt. Die Antwort darauf blieb aus, auch während des Round-table-Gespräches, bei dem dieser Aspekt heftig diskutiert wurde.

Sind die zahlreichen Liebesgeschichten eine Flucht ins Persönliche? Was ist aus der französischen Tradition geworden, im Film die Lebenswirklichkeit der Durchschnittsbürger und der kleinen Leute zu zeigen?

Der Drehbuchautor Michel Gautier versucht es folgendermaßen zu erklären: „In Frankreich herrscht eine allumfassende gesellschaftspolitische Verwirrung. Alles zersplittert, niemand kennt sich mehr aus." Die Filme der jungen Regisseure seien demzufolge Ausdruck dieser Zersplitterung und der tiefen Krise, in der sich die französische Gesellschaft befinde.

Ohne Freude am Beobachten

Allein, diese Erklärung vermag kaum zu überzeugen. Und die Verwunderung ist umso größer, als die meisten der in Pesaro anwesenden jungen französischen Regisseure eigentlich vom Dokumentarfilm her kommen. Man sollte meinen, daß sie allein schon deshalb ein Gefühl für die Umsetzung gesellschaftlicher Probleme hätten.

Aber nicht nur daran fehlt es, sondern auch an der Glaubwürdigkeit der Darstellung, für die ja das Drehen von Dokumentarfilmen eine gute Schule sein müßte. Doch auch davon ist nicht viel zu merken. Die Dialoge sind oft oberflächlich und wirken gekünstelt, ebenso die Führung der Schauspieler. Ergebnis: den Zuschauer beschleicht immer wieder das Gefühl: So wie der Filmemacher sich das vorstellt, so sieht Leben nicht aus.

„Es fehlt die Freude am Beobachten", bestätigt der Regiestudent Filippo Redren-na, „Kameraführung und filmisehe Technik bekommen einen viel zu großen Stellenwert. Sie werden wichtiger als die Geschichte, die erzählt werden soll."

Dabei, so meint er weiter, seien die Geschichten teilweise gar nicht so uninteressant, nur daß sie eben oft dem Medium Film nicht entsprächen. „Wenn es in einem Film nur auf die Dialoge ankommt und auf sonst nichts, dann ist es doch besser, das ganze gleich in einem Buch zu lesen", sagt Redrenna.

Revolutionär sind aber auch die Inhalte der Filme nicht. Es geht in der Mehrzahl um Beziehungsgeschichten. Für jene, die es schaffen, sich damit zu identifizieren, mögen sie ein Erlebnis sein (es gab auch Stimmen in diese Richtung), den anderen aber stellt sich unweigerlich die Frage: War das wirklich notwendig? Wozu das ganze?

Gewalt, Tränen, Konflikte gibt es in diesen Filmen genug, was fehlt sind Charaktere, die imstande wären, diese auszutragen oder vielleicht sogar Lösungen zu finden. „Du gehst deprimiert aus dem Kino", meint Filippo Redrenna, „aber nicht, weil dich die Geschichte so mitgenommen hat, sondern weil das ganze irgendwie an dir vorbeigegangen ist, weil du dich fragst, wozu der Film gut war."

Im Grunde handeln die Geschichten von einer Elite, die im Alltagsleben kaum Sorgen hat und für die daher Leidenschaft und Eifersucht zu alles beherrschenden Themen werden.

„Was mich dabei am meisten betroffen macht", sagt Redrenna, „ist die Frage, wohin das alles führen wird. Wenn diese Regisseure schon mit dreißig so leer sind, daß sie solche Filme machen, was machen die dann mit sechzig?"

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