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Gespräch mit dem Regisseur Kazimiera Dejmek

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FRAGE: Haben Sie, Herr Regisseur, schon einmal Ionesco inszeniert? DEJMEK: Nein, noch nie, es ist das erste Werk von Ionesco, mit dem ich . mich jetzt befasse. »

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FRAGE: Haben Sie, Herr Regisseur, schon einmal Ionesco inszeniert? DEJMEK: Nein, noch nie, es ist das erste Werk von Ionesco, mit dem ich . mich jetzt befasse. »

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FRAGE: Wie stehen Sie zu (lern Stück: „friumph des ‘TodeS* öder „Jeu de Massacre”. Warum haben Sie die Inszenierung übernommen? DEJMEK: Ich sehe in diesem Stück etwas Geniales. Man findet darin Angst vor Zerstörung, Angst vor dem Tod und eine gewisse Besessenheit, die sich schon in früheren Werken Ionescos bemerkbar machte. Freud und Leid des Daseins und das Grauen vor dem Nichts waren schon immer Themen der großen Werke der Weltliteratur. Dies ist eines der wenigen modernen Stücke, das sich mit den heutigen Grundproblemen ausein- andersetat. Unsere Kultur und Zivilisation, in der wir leben, unternimmt alles, um uns nur mit dem angenehmen Sinn des Lebens zu beschäftigen. Doch der Jugend wegen, die fast unbewußt wie ein Seismograph auf die verschiedenen sozialen, politischen und metaphysischen Stimmungen reagiert, sollten wir uns auch mit den uns herausfordernden Fragen aus- einamdersetzen, wie dem Tod, dem Leid, dem Grauen vor dem Nichts. FRAGE: Glauben Sie, Herr Regisseur, daß die heutige Jugend in der Zeit des Wohlstandes, der Übersättigung und der Drogen, aber auch im Zeitalter der schmutzigen Kriege und der drohenden Atomkraft ein eigenes Verhältnis zum Tod hat, daß er vielleicht eine gewisse Anziehungskraft auf sie ausübt oder daß sie auch von Todesängsten geplagt wird?

DEJMEK: Es ist ein Faktum unserer Zivilisation, daß zum ersten Mal die junge Generation überhaupt der Möglichkeit gegenübersteht, daß die Gattung Mensch total vernichtet werden kann, ein vollkommen unberechenbares Ereignis, eine Alternative, in der wir alle leben. Allerdings ist diese Möglichkeit bald 30 Jahre alt, aber es hat sich bis jetzt nichts gebessert. Ich überlebe diese Situation ganz anders als ein junger Mensch zwischen 18 und 25 Jahren. Für dieses Alter ist Liebe, Zärtlichkeit, Schönheit der Natur und Zu- kunfitsaussichten der Inhalt ihres Lebens. Sie stehen am Beginn. Die moderne Jugend zieht nunmehr unbewußt ihre Konsequenzen und reagiert entweder in Aggression oder in Passivität. Wir aber sind die Urheber dieser Lage. Wir kritisieren sie, aber wir müßten bei uns, bei den

„Heiligen”, den „Unantastbaren”, den Alten anfangen! Was für eine Welt haben wir denn unserer Jugend geschaffen?! Ein ständiges Schießen, Kriegsdrohungen ohne Ende, Sterben yor Hunger, Einkerkerungen —,

‘ did Welt ist ein Schlachthaus geworden! Wir machen dazu gute Miene, doch die jungen Leute verabscheuen die Verstellung. Ich finde, die Jugend soll zu uns nicht aufschauen, sie soll kein Vertrauen zu uns haben und uns keinesfalls schätzen! Sie muß uns ablehnen, das ist unser wirkliches Verdienst!

FRAGE: Haben Sie, Herr Regisseur, von dem Stück, daß Sie jetzt am Burgtheater inszenieren, eine gewisse vorgefaßte Auffassung oder verändern Sie noch während der Proben Ihr Konzept?

DEJMEK: Ich habe keine Prinzipien auf dem Theater. Ich gehe ganz von der konkreten Situation, von dem Stück aus, außerdem hängt es auch von dem Ensemble ab. Ich habe wohl meinen Plan. Ich weiß, um bildlich zu sprechen, wie die Brücke gebaut werden muß, sie muß von einem Ufer zum anderen Ufer kommen. Ich weiß alle artistischen und technischen Details. Ich weiß, wie ich die Hauptpfeiler setzen muß, welches Material zu verwenden ist. Doch ich habe keine definitive plastische Form, die wird improvisiert und hängt von den Persönlichkeiten und dem gesamten Ensemble ab. — Allerdings haben nicht alle meine Brücken das andere Ufer erreicht, manche wurden von der Presse gesprengt, bei anderen war dier Plan falsch.

FRAGE: Das Werk „Triumph des Todes” hat Massenszenen und lyrische mit nur wenigen Personen. Welche liegen Ihnen mehr am Herzen?

DEJMEK: Vor etwa 15 Jahren hatte ich großes Interesse an Massenszenen. Heute interessieren sie mich nicht mehr. Ich weiß, wie sie gemacht werden. Wenn ich jetzt Massenszenen machen muß, bekomme ich Zahn- schmerzem.

FRAGE: Wie stehen Sie als Regisseur zu den Schauspielern? Glauben Sie, daß man mit minutiös genauer Regie und festem Kommando oder mit einer etwas legeren und weicheren Führung heutzutage mehr erreichen kann?

DEJMEK: Ich glaube, daß die Schauspieler und das Ensemble ihre Hauptaufgaben und ihre Hilfsaufgaben kennen müssen. Doch ln diesem Rahmen hat bei mir der

Künstler absolute Freiheit. Jeder Schauspieler muß in diesem Rahmen selbst agieren, improvisieren und arbeiten. Ich sitze im Zuschauerraum, um zu kontrollieren, ob der Künstler den Rahmen überschreitet oder nicht. — Im deutschen Sprachraum sind die Schauspieler gewöhnt, alles auf Befehl zu tun. Meine Auffassung als Regisseur ist nicht die eines Feldwebels, sondern die eines Offiziers. Der Schauspieler muß Mitarbeiter und nicht Befehlsempfänger sein. FRAGE: Was sind Ihre nächsten Pläne?

DEJMEK: Möglicherweise werde ich zu Stoux nach Düsseldorf gehen und dort das Stück „Prozeß 9” von Ber- rigan inszenieren. Berrigan ist der amerikanische Jesuitenpater, der sich sehr stark gegen den Vietnamkrieg engagiert. Ich habe das Stück noch nicht gelesen und weiß nicht, ob die aufgeworfenen politischen, soziologischen und metaphysischen Fragen in Europa nicht sehr verschieden sind. Die Übersetzung ist noch nicht herausgekommen, ich habe es daher noch nicht lesen können.

*

Das Gespräch mit Kazimierz Dejmek führte Linda de Elias-Blanco.

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