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Die Mauern von Malapaga

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Rom, im September Es gibt in Europa einen volkreichen, hochorganisierten und zivilisierten Staat, der den Krieg verloren hat und nun die Kosten des Wiederaufbaus und die noch drückenderen einer notwendigen Aufrüstung tragen muß, der seit seinem Bestehen unter chronischem Mangel an Geld und Arbeit leidet, in dessen Boden die Natur keine Schätze gelegt hat, kurz, einen Staat, der mehr als andere die Einkommen seiner Bürger mit scharfen Augen beobachten und auf pünktliche Bezahlung nicht zu karg bemessener Steuern dringen müßte. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall: Italien war stets ein Paradies für Steuerhinterzieher, nirgends war es leichter als hier, dem Vertreter des Fiskus auf der Treppe auszuweichen, mit ihm handelseins zu werden oder ihn gar zu prellen.

Diese Feststellung hat jedoch nur mehr für wenige Tage Geltung. Denn am 10. Oktober tritt das Gesetz vom 11. Jänner 1951, Nr. 25: „Normen zur Steuerangleichung“ in Kraft, nach dem Finanzminister, der es eingebracht hat, auch kurz „Vanoni-Reform“ genannt. Zum erstenmal seit Bestehen des Staates müssen sich die Bürger zum Steueramt bequemen und eine Erklärung ablegen.

Eine seltsame Rückständigkeit des italienischen Steuersystems hat es mit sich gebracht, daß der Staat seinen Geldbedarf zum überwiegenden Teil aus den leicht kontrollierbaren indirekten Abgaben, vor allem aus den vom kleinen Volk bezahlten Verbrauchssteuern decken mußte, während die Einkommensteuer, die in anderen Ländern 30 oder gar 40 Prozent des gesamten Steueraufkommens ausmacht, in Italien nur 15 bis 18 Prozent ergab. Das durchschnittliche mittlere Jahreseinkommen des Italieners ist, wenn man der Statistik glauben soll, das niedrigste in Europa. Finanzminister Vanoni hat kürzlich erwähnt, daß das erklärte Einkommen der Angehörigen freier Berufe nur ein Zwanzigstel bis ein Dreißigstel des wirklichen Einkommens sein dürfte, denn es beträgt durchschnittlich nur 70.000 Lire im Jahr, das sind im Monat weniger als 6000 Lire — weniger als

10 Dollar! Die italienischen Ärzte und Advokaten beweisen also eine Genügsamkeit, an der noch chinesische Kulis lernen können.

Der Steuerbetrug hat in Italien eine jahrhundertealte Tradition, die, verschiedenen Historikern zufolge, auf die lange Fremdherrschaft zurückzuführen sein soll. Noch vor achtzig Jahren waren die Steuereinnehmer meist. Spanier, Franzosen und andere Ausländer. Sie zu hintergehen, wurde als nationale Pflicht, als patriotische

Tat empfunden. Später wurde die Steuerhinterziehung zu einer Art gedankensportlicher Übung, zu einem Intelligenz-Wettstreit zwischen dem Beamten und dem Besteuerten, dem die „ersparte“ Summe als Preisgewinn winkte. Der Fiskus wieder rächte sich dadurch, daß er den Erklärungen überhaupt keine Rechnung trug, sondern die zu besteuernden Beträge automatisch auf das Doppelte oder Mehrfache erhöhte. Als im Jahre 1919 die irredenti-stischen Patrioten von Triest zum erstenmal den Besuch der italienischen Steuerbeamten erhielten, erachteteten sie es als ihre heilige Pflicht, das Einkommen auf denCentesimo genau anzugeben. Die italienische Steuer„moral“ war ihnen unbekannt und ungewohnt. Die Vertreter des Fiskus wieder ahnten nichts von der altösterreichischen Gewissenhaftigkeit in Steuerungen und erhöhten den zu versteuernden Betrag auf das Doppelte. Sie glaubten, damit die „erlösten Brüder“ besonders begünstigt zu haben. Die Erregung der Triestiner von damals kann nur verglichen werden mit der, die heute die Besitzenden in Italien erfaßt hat, da der Staat zum erstenmal sich anmaßt, die ihm zukommenden Steuern im vollen Umfang einzutreiben.

Eigenartig ist das immer noch übliche System der Steuereintreibung, die privaten Personen oder Instituten anvertraut ist, wobei diese an den erhobenen Summen prozentuell beteiligt sind. Die Vergebung des Auftrages erfolgt auf Grund einer öffentlichen Ausschreibung, und berücksichtigt wird jenes Angebot, das die günstigsten Bedingungen bietet, geradeso als ob es sich um einen Brückenbau oder um die Straßenreinigung handelte.

Unter solchen Umständen kann Va-nonis Reform als revolutionär betrachtet werden; sie steht und fällt damit, wieweit es gelingt, dem Kalten Krieg zwischen Fiskus und Steuerträger ein Ende zu machen, die Beziehungen zwischen den beiden auf den Boden des Vertrauens zu stellen und die Steuermoral im Italiener zu wecken. Der Finanzminister hält es durchaus für möglich, daß das Steuereinkommen zunächst noch sinken kann, aber er vertraut darauf, daß seine Reform Früchte tragen wird, sobald der Bürger merkt, daß der Staat seinem Worte glaubt. Gefängnisstrafen sind zunächst für Steuerhinterziehung nicht vorgesehen, „ohnedies würden die Gefängnisse Italiens nicht ausreichen, alle Übeltäter aufzunehmen“. Aber wird sich der Fiskus mit Geldstrafen begnügen? Dies scheint nicht der Fall zu sein. Denn eine kleine Propagandaschrift, welche die Ministerpräsidentschaft herausgegeben hat, erwähnt das Beispiel der alte italienischen Seerepubliken, wie etwa Genua, wo jede Woche die Namen der Kaufleute, die ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkamen, auf den „Ma u-e r n v o n Ma lapaga — denMauern der schlechten Zahler“ angeprangert wurden. Will man etwa auf diese Gepflogenheit zurückgreifen? „Denke daran, ob Du Deinen Namen unter diesen Verdammten sehen willst“, heißt es in dem Büchlein.

Dieses kleine, mit lustigen Illustrationen ausgestattete Propagandawerk wendet sich mit gütig-väterlichem Du an den Steuerträger, klärt ihn über seine Pflichten dem Staate gegenüber auf, ohne den er das Leben eines Robinson Crusoe führen müßte. Ein Fauxpas, der dem Verfasser unterlaufen ist, hat bitteren Hohn hervorgerufen. Im Lesebuchton erzählt er von einem alten Mütterlein, das allmonatlich seine Pension abhebt und in drei Teile teilt, von denen einar für die Lebenshaltung bestimmt ist, ein weiterer für die Anlage in Staatsbons und der dritte endlich für den Steuerbeamten. „Das liebe Mütterlein sei Dir Vorbild!“ ermahnt die Broschüre. Eine solche rührende Geschichte muß jeden, der das Los italienischer Rentenbezieher kennt, als grausame Ironie erscheinen. Man beeilte sich daher, die betreffende Stelle aus den folgenden Auflagen zu entfernen, aber hunderttausende Exemplare waren bereits in den Provinzen verteilt worden.

Nicht weniger Kritik haben die Steuer-formulare selbst veranlaßt. Auf vierzig langen Seiten reihen sich die auszufüllenden Kolonnen und Spalten, „eine bürokratische Monstrosität“, bei der man sich fragen müsse, wie der einfache Mann ohne Hilfe eines Sprachkundlers und eines Doktoranden in Finanzwissenschaften sich zurechtfinden könne.

Aber zweifellos handelt es sich hier um Kinderkrankheiten der Reform, die endlich jene finanzielle Selbsthilfe bringen soll, auf die die amerikanischen ECA-Vertreter seit langem gedrungen haben.

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