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Doktorhut für Fumetti

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ITALIENS POTENTIELLSTE MASSENKOMMUNIKATIONSMITTEL, die Comic strips (Auflage fünf Millionen), erleben ein ambivalentes Schicksal. Die „schwarzen“ Papierheroen, die „Fumetti neri“ (so genannt, weil ihnen die Brutalitäten Jeweils in Rauchwölkchen aus dem zynischen Mund quellen), stehen nicht nur in Mailand vor dem Richter, sondern sie haben auch eine beachtliche akademische Karriere gemacht. In Universitätskreisen werden die Gruselbreviere der 58 „schwarzen“ Bildserien, die seit rund vier Jahren die Italiener über alle Maßen faszinieren, nicht nur gelesen, sondern gründlich studiert und inzwischen als italienisches Phänomen bereits analysiert. Das hat seinen Grund: Italien stellt die satanischsten Supermänner auf dem internationalen Comic-strips-Markt Und das hat seine Konsequenzen.

200 MILLIONEN LESER in rund 60 Ländern entfliehen täglich in ihre Comic strips, eine Welt aus Salzsäure und Zuckerguß, eine Welt auch, in der das Unmögliche möglich wird. Nach Amerika ist Italien heute nicht nur das auflagenstärkste Fumetti-Land (mindestens zehn italienische Zeitschriften bieten täglich eine viertel bis ganze Seite „Rauchwölkchen“ an), sondern auch das grausamste. Während in Frankreich ein komisch-köstlich gezeichneter Held namens „Asterix“, in England eine politisch und sozial ironische Cartoon-Figur triumphieren, Amerika von Papierheroen unterhalten wird, die in letzter Instanz doch noch das Gute und Moralische respektieren, terrorisieren Italien die vulgären, kriminellen Fumetti. Ihre „cronaca nera“, bereits in 17 Länder exportiert, sollte nach einer Selbstauflage der italienischen Verleger für italienische Teenager unerreichbar bleiben. Indes, der den 150-Lire-Heftchen aufgedrückte Stempel „Nur für Erwachsene“ erwies sich als zugkräftiges Werbemittel. Die jungen Leute kaufen sturmisch, niemand zückt den Personalausweis, um das Erwachsensein zu bekunden, unersättlich schlucken sie das verbotene Futter. An den Verleger ihrer Fumetti schreiben sie dann: „Sehr geehrter Herr Direktor. Ihr Fumetti .Satanik' ist der schönste und beste. Aber mir scheint, er wird seinem Ruf nicht mehr ganz gerecht. Könnte man ihn nicht noch ein bißchen satanischer gestalten.“

Besorgte italienische Eltern nahmen die dunklen Sehnsüchte ihrer Kinder zum Anlaß und verklagten die vier ausgekochten Anführer des schwarzen Fumetti-Boom, „Kriminal“, „Sadik“, „Dämoniak“ und „Satanik“, in Mailand, der Hochburg der makabren Vergnügungswelt, weil sie „zum Verbrechen anstiften und weil sie das allgemeine Schamgefühl verletzten“.

Der Mailänder Prozeß, der über die Zensur dieser Fumetti „zu Gericht saß“, war nicht die erste Attacke gegen die schäumende Gruselwelt, war nicht der erste Alarm für eine makabre Industrie, deren Bildmaschinen auf Hochtouren laufen. Schon ein Jahr zuvor sind verantwortungsbewußte Stadtväter aus der Provinz Padua gegen die papierene Unterwelt eingeschritten. Der Vertrieb der am meisten ärgerniserregenden Fumettis wurde als sittengefährdend verboten. Die Jugendbuchverleger des Stiefellandes erließen vor einigen Jahren einen „Moralkodex“. Dieser Fumetti-Index empfiehlt, das „Mordwerkzeug in den Fumetti-Geschichten möglichst so zu wählen, daß es für den Leser unerreichbar und die Nachahmung des Verbrechens damit ausgeschlossen“ sei.

DAS PHÄNOMEN „FUMETTI NERI“ deuteten Experten der neuen Literaturgattung erst unlängst auf ihrem zweiten Kongreß in Lucca „als Hunger des gehetzten Großstadtmenschen, der seinem grauen Alltag entfliehen möchte und seine Selbstbefreiung in einer abenteuerlichen Welt sucht“. 200 Fumettologen, Soziologen, Zeichner, Verleger und Philosophen waren der Einladung des Kongreßveranstalters, des Pädagogischen Institutes der Universität Rom, in die Toskana gefolgt. Nach einer Woche war man sich im großen und ganzen einig darüber: Comic strips auf italienisch sind ebenso wie die Beatmusik Ausdruck einer Masse nkultur.

Fumetti, so reifte ein neues Dds-sertationsthema heran, können wertvolle Hinweise zu einem gründlichen Studium unserer Zivilisation beisteuern. Von einer Zensur, wie einige Parlamentsabgeordnete in Rom sie durchfechten möchten, wollte man in Lucca nichts wissen. Es fiel das Wort von der Pressefreiheit. Außerdem rolle die schwarze Flutwelle weniger dramatisch als geschildert. Die Psychologen hielten die Hand über Italiens grausamer Stripindustrie. Die Italiener, statuierten sie, sähen die Wirklichkeit eben weniger hypokritisch.

Die synthetische Fumetti-Sprache — Urwaldlaute wie gulp, slam splash, zzzzzzzzz, squicccc, bla, bla, bja, wwoosk, fantastico — destillierten die Fachleute ernsthaft als „Ausdrucksweise des modernen Menschen, der sich schnell informieren und mitteilen will, ohne das lange .warum' der traditionellen literarischen Sprache“. Paragraphen, so bekräftigte man in Lucca schließlich einstimmig, seien nicht das geeignete Mittel, um künstlerischen Ausdruck zu messen, wie beispielsweise Virtuosität der Erfindungskraft und zeichnerisches Talent.

FEDERICO FELLINI, EIN LIEBHABER dieser verbrieften Fumetti-Vorzüge („Ich lese kaum etwas anderes“), zieht zwischen den kaltblütigen Übeltätern auf dem Papier und jenen auf der Leinwand der italienischen Western (ebenfalls berühmt und zugleich berüchtigt) eine direkte Parallele. Die Fumetti-Sucht auf seine Weise deutend, zitiert der Römer einen Ausspruch seiner amerikanischen Kollegen nach der Vorführung eines Western alFitalia: „Ihr seid ein blutrünstiges Volk.“ Auch der Regisseur i<st der Meinung, daß die italienische Tiefenpsychologie nicht „ohne Blut und Makabrität auskommt. Selbst der Faschismus“, zielt der Filmmann auf das breite Feld der politisch manipulierten Fumetti, „habe den düsteren Symbolismus von Schädel und Fäusten zwischen den Zähnen für seine Zwecke genutzt“. Fellini meinte zusammenfassend: „Uns Italienern fehlt der Humor, mit dem zum Beispiel die Amerikaner so etwas drehen. James Bond ist ein gutes Beispiel dafür.“

ALBERTO MORAVIA UNTERSCHEIDET drei Fumetü-Kategorien, die sozialkritischen, zu denen er die amerikanischen zählt, „aus denen man Amerika kennenlernt, wie es ist“; die Fumetti mit metaphysischem Charakter, wie die „Peanuts“; und schließlich jene, die sich mW Abenteuer und Erotik ins Unterbewußtsein einspielen. Diese dritte Kategorie, die auflagenstärkste Marke Italiens, hält der Schriftsteller mehr für Photoschnulzen, und nach seiner Auffassung haben sie nichts mehr mit den wirklichen, echten Fumetti zu tun.

Auch die italienischen Fumetti-Künstler selbst, wie Jacovetti, Rübino, Craveri, Albertarelli, deren Namen man in Lucca so „ehrfürchtig wie Tizian, Rembrandt, Raffael aussprach“ (Borghese), stellen den abenteuerlichen Fumetti ein vernichtendes Zeugnis aus. Auch sie halten sie für die wenig Legitimsten ihrer Kaste.

Rino Albertarelli, einer der Pioniere der italienischen Cartoon-Welt, der sich wie einige seiner Kollegen von amerikanischen Verlegerprodu-zenten anheuern ließ, bedauerte in Lucca den Mangel eines wirklich italienischen Fumetti-Gharakters. „Es darf keine abenteuerliche Gestalt sein, weil die italienische Gesellschaft nicht abenteuerlich gesonnen ist.“ Das sagt der Künstler. Albertarelli, wegen seines stürmenden Zeichenstiftes und seines außergewöhnlichen Spiefltriebs berühmt hält einen klassischen italienischer! Fumetti-Helden seiner Vorstellung in seiner Schreibtischschublade bereit, an dem er jahrelang gearbeitel hat. Aber für diesen „weißen“ Heroer fehlt der Verleger. Albertarelli meinte: „Zeitungen können so etwas nicht drucken. Und ein Buch wurde zu teuer.“

„SCHWARZE HELDEN“ LASSEN SICH besser verkaufen. „Diabolik“, der teuflischste Geselle der gesamten Fumetti-Produktion — sie spiell ihren Verlegern fünf Milliarden Lire ein — ist Publikumsliebling und Spitzenreiter des schwarzen Siegeszuges. Nach seiner bizarren, bro-schürten Welt strecken allein 160.000 Leser alle 14 Tage ihre Hände am Kiosk aus.

Für sadistisch sexuelle Übeläter seines Kalibers hat der FumettiKongreß eine internationale Föderation von Comic-strips-Studienzen-tren gegründet, die sich in Zukunft mit der gezeichneten Gangsterwelt wissenschaftlich auseinandersetzen und ihrer Herr werden sollen.

Den schwarzen Helden, die nicht müde werden, stehen darnach die Pforten der akademischen Aulen in Italien, Frankreich, Amerika, Belgien, Spanien und Schweden offen. Es ist nicht mehr zu leugnen: die Muskelmänner nehmen den Doktorhut

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