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Gefährdete Kunstschätze

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Der Kunstraub von Herkula-neum, bei dem archäologische Funde und Schmuck von unschätz­barem Wert aus dem ersten Jahr­hundert n. Chr. - vermutlich im Auftrag ausländischer Geldgeber -gestohlen wurden und - kurz dar­auf - der Einsturz eines barocken Palastes in Noto, einer der schön­sten Kunststädte Siziliens, haben neuerdings das Interesse der italie­nischen und nichtitalienischen Öffentlichkeit auf die unfachgemä­ße Beaufsichtigung der unermeßli­chen Kunstschätze der Apenninen-halbinsel gelenkt.

Kunstdiebstähle haben in den letzten Jahren erschreckend zuge­nommen. Allein 1989 wurden 2.387 Gemälde, 902 Skulpturen, 6.500 hauptsächlich aus Kirchen stam­mende Kunstgegenstände entwen­det, von unzähligen Münzen gar nicht zu sprechen. Aber während man vom Verschwinden dieser Objekte zumindest erfährt, feststel­len kann wann und wo sie gestoh­len wurden, ist über den Diebstahl archäologischer Funde meist gar nichts bekannt, da dieser unermeß­liche unterirdische Reichtum vieler Gebiete Italiens aus noch unbe­kannten Gräbern entwendet wird.

Ungestört arbeiten die „tomba-roli", die Grabschänder, die offi­ziell auf der Liste der Arbeitslosen stehen und nachts in denen von ihnen selbst mittels einer Sonde entdeckten Gräbern fündig werden: Jede „Grabung" bringt ihnen einen Durchschnittsertrag von 200 bis 300 Millionen Lire, das sind rund zwei bis drei Millionen Schilling. Im Jahr 1985 wurden in der vorrömischen Nekropolis von Arpi bei Foggia allein in einem Monat hundert Gräber geleert. Die Bauern des Gebietes schweigen, sonst werden ihre Brunnen vergiftet. Die zustän­dige Behörde wird immer zu spät verständigt.

Gewöhnlich taucht die Beute dann in japanischen oder amerika­nischen Museen auf, wie etwa die Aphrodite von Morgantina im Paul Getty Museum in Malibu oder zwei wertvolle hellenische Silberscha­len im Metropolitan Museum in New York. Derzeit befindet sich ein geheimnisvoller Schatz aus der späten Römerzeit (4./5. Jahrhun­dert) im Auktionshaus Sotheby in London und könnte dort zum Wert von rund hundert Millionen Pfund (rund zwei Milliarden Schilling) zur Versteigerung kommen; Interpol versucht, den Ursprung des Schat­zes zu eruieren, da angenommen werden kann, daß es sich um ge­stohlenes Gut handelt.

Aber nicht nur Diebstähle gefähr­den die Kunstschätze Italiens. Tausende Monumente der Kunst sind von der Gefahr des Einsturzes bedroht, von Erdbeben, von unter­irdischen Auswaschungen, von Wind und Wetter, vor allem auch infolge der Nachlässigkeit der Menschen. Im März 1989 stürzte der 78 Meter hohe Stadtturm von Pavia ein, innerhalb weniger Mi­nuten verwandelten sich neun Jahr­hunderte Geschichte in 8.000 Ku­bikmeter Schutt.

Die Experten am zentralen Re­staurierungsinstitut sind besorgt, sie haben eine Landkarte angefer­tigt, auf der jene Gebiete einge­zeichnet sind, in denen das größte Risiko für Bauwerke und Monu­mente besteht. Ein großer, roter Fleck verläuft, wie eine blutige Wunde, vom Zentrum der Halbin­sel gegen den Süden.

Was müßte geschehen, um die Kunst- und Kulturschätze Italiens, die 70 Prozent des gesamten Be­standes unserer Erde ausmachen, zu retten? Am wichtigsten wäre die Katalogisierung der beweglichen Güter, um einer unkontrollierten Ausfuhr (vor allem bei der Öffnung des europäischen Marktes 1993!) vorzubeugen. 3.800 junge Informa­tikabsolventen wurden um 600 Milliarden Lire (60 Millionen Schil­ling) dafür ausgebildet.

Antonio Janello vom Umwelt­schutz-Verein „Italia Nostra" pran­gert die Freunderlwirtschaft bei der Aufnahme von ungeeigneten, un­motivierten Aufsehern für die Kunst- und Kulturschätze an und ist empört, daß ein Ex-Fußballer in den Aufsichtsrat der Behörde zum Schutz der Kulturgüter aufgenom­men wurde. Hingegen ist Frances­co Sisinni, Generaldirektor des Ministeriums für Kulturgüter, ver­trauensvoller, gibt aber zu, daß die Mittel völlig unzureichend sind und das technische Personal oft gerade­zu heroisch (für Hungerlöhne!) arbeitet.

Diskutiert wird auch über den eventuellen Einsatz des Heeres und über die Gewinnung privater Spon­soren - hat doch der Vatikan be­reits für die Restaurierung der Sixtinischen Kapelle japanische Geldgeber gewinnen können.

Einerseits ist die Erhaltung die­ser kulturellen Güter - etwa zwei Drittel der Kunstschätze der Welt -für den italienischen Staat allein eine finanzielle Überforderung, andererseits ist die Bedeutung die­ser Aufgabe auch gerade im Hin­blick auf den Tourismus bewußt. Daß die Schätze der Kunst und Kultur Gemeingut aller Völker sind, wird immer mehr akzeptiert, die Erhaltung dieser Güter müßte daher zunehmend das Anliegen aller sein.

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