Der Arm im Handschuhfach

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In Italien blüht der illegale Handel mit gestohlenen Kunstwerken. Eine Spezialeinheit der Carabinieri heftet sich an die Fersen der Schmuggler.

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In Italien blüht der illegale Handel mit gestohlenen Kunstwerken. Eine Spezialeinheit der Carabinieri heftet sich an die Fersen der Schmuggler.

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Sehr weit ist er nicht gekommen, jener Lastwagen, der nach England aufgebrochen war und schon bei Ventimiglia seine kostbare Fracht preisgeben musste. Denn was die penibel kontrollierenden Beamten Anfang März an der italienisch-französischen Grenze ans Tageslicht brachten, war die "Sacra Famiglia", ein Gemälde von Bartolomeo Cavarozzi. Das auf drei Milliarden Lire geschätzte Werk aus dem frühen 17. Jahrhundert hing in der Galerie eines Privatsammlers in Genua. Dieser versprach sich damit ein gutes Geschäft und war drauf und dran, das Bild bei einer Auktion in London versteigern zu lassen.

Dass daraus nichts wurde, ist keineswegs dem puren Zufall zu verdanken, sondern vielmehr dem "Comando Carabinieri Tutela Patrimonio Artistico", kurz TPA genannt. Diese Spezialeinheit der italienischen Sicherheitskräfte, die für den Schutz des künstlerischen Erbes schon seit gut 30 Jahren auf der ganzen Apenninenhalbinsel operiert, zählt mittlerweile zu den erfolgreichsten Kunstfahndertruppen der Welt. Und sie hat alle Hände voll zu tun: Denn in Italien, mit seinen Zigtausenden Klöstern, Kirchen, Museen, Bibliotheken, Schlössern und archäologischen Stätten verschwinden im Schnitt täglich 80 Artefakte; auf das Jahr umgerechnet sind das soviel wie im übrigen Europa zusammen. Alte Gemälde und moderne Bilder, Drucke, Kirchengeräte, Skulpturen und Stilmöbel gehören zum begehrtesten Diebesgut genauso wie antike Vasen, Statuen, Schmuckstücke und alte Musikinstrumente.

"Wir haben bis dato rund 160.000 Kunstwerke und 326.000 archäologische Funde aufgespürt", zieht TAP-Chef, General Roberto Conforti stolz Bilanz. Außerdem wurden 56.000 gefälschte Objekte beschlagnahmt und insgesamt 3.200 Diebe und Hehler festgenommen; gegen weitere 9.000 Personen wurde Anzeige erstattet.

Sobald die geraubten und wiedergefundenen Werke identifiziert sind, können sie ihren rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben werden. "Für uns sind das die Momente echter Genugtuung", erinnert sich Mauro Zennaro, Chef der TAP-Einheit Venedig. Die zu Tränen gerührten Dorfbewohner von Luco dei Marsi in den Abruzzen wird er jedenfalls nicht so schnell vergessen: derart groß war ihre Freude über die Rückgabe einer Holzskulptur, die aus ihrer Kirche "Santa Maria delle Grazie" gestohlen wurde. Das Objekt hatte die TAP übrigens bei einem Universitätsprofessor aufgespürt.

"Höchste Professionalität", lautet das Selbstverständnis von Zennaros kleiner, achtköpfiger Mannschaft, die für den Veneto, Trentino Alto Adige und Friuli Venezia Giulia zuständig ist. Ausgebildet von Kunsthistorikern, Juristen und Kriminologen lassen sie ihre Erfolge für sich sprechen. Im vergangenen Jahr hat die TAP-Venedig 901 Objekte im Wert von 15 Milliarden Lire sichergestellt, 81 Personen angezeigt und sechs festgenommen. Und heuer scheint ein besonders gutes Jahr zu werden, denn schon Ende Mai sind 1053 Objekte aufgespürt worden. Mit dabei ist diesmal ein ganz besonderes Stück: Ein Gemälde des venezianischen Malers Giovanni Battista Tiepolo (18. Jahrhundert) im Wert von 6 Milliarden Lire. Zennaro und seine Leute, die eng mit der lokalen Polizei zusammenarbeiten, recherchierten wie so oft "undercover". Dann warteten sie auf den richtigen Moment, um in jene Privatwohnung zu dringen, wo das Werk gerade seinen Besitzer wechseln sollte.

Die TAP-Einheiten greifen zu allen technischen Mitteln, die ihnen der Gesetzgeber erlaubt: Das Telefonabhören beispielsweise. Die Telecom Italia greift ihnen dabei unter die Arme, indem sie gegebenenfalls das Handynetz anzapft und so den jeweiligen Aufenthaltsort verdächtiger Personen bestimmen kann.

"Unsere Vorgangsweise basiert auf einem dichten Informationsnetz, das wir knüpfen, indem wir selbst in die Welt der Hehler und Diebe eintreten", erklärt Zennaro mit funkelnden Augen. Gewisse freundschaftliche Bande können sich dabei auch entwickeln und helfen mit, ständig auf dem Laufenden zu sein: Denn zu wissen, wo bestimmte Objekte in der Unterwelt, der Malavita, zirkulieren und wann sie verkauft werden sollen, sind die Schlüsselinformationen schlechthin. Die TAP-Leute gehen sogar soweit, dass sie sich selbst als potentielle Käufer ausgeben und fachkundig Scheinverhandlungen führen. "Unser Einsatz spielt sich rund um die Uhr ab", betont Zennaro, der sich sichtlich über seine aufregende Arbeit freuen kann. Und einmal im Jahr trifft er sogar Gleichgesinnte beim internationalen TAP-Kongress für Kunstfahnderexperten, organisiert vom Hauptquartier in Rom. Dort steht auch ihr Zentralcomputer, derzeit die weltweit größte spezialisierte Datenbank in Sachen Kunstraub. Rund 500.000 vermisste Objekte sind hier gespeichert; mehr als bei Scotland Yard, beim FBI oder dem deutschen Bundeskriminalamt. Die römische Datenbank ist jedenfalls das Vorbild, nach dem sich Franzosen, Palästinenser und Portugiesen schon heute orientieren. Für die Zukunft ist eine europäische Datenbank in Diskussion.

Die Kollegen in den TAP-Einheiten von Palermo, Florenz, Bari, Bologna, Neapel, Monza und Venedig wissen jedenfalls, dass es für eine erfolgreiche Fahndung auf jedes Detail ankommt. Sie gehen daher systematisch vor und kontrollieren Antiquariate, Auktionen, Ausstellungen, Restauratoren und Flohmärkte. Kunst, die für den Verkauf bestimmt ist, wird fotografiert und - mit den wichtigsten Daten versehen - in die Hauptstadt geschickt. Sollte ein so registriertes Werk auftauchen, dann sind genau diese Angaben wichtig, um eine sichere Identifizierung zu ermöglichen. Mindestens 16 Details müssen übereinstimmen, bei Gemälden etwa Faltenwurf oder Konturen von Wolken. Ein schwieriges Unterfangen jedenfalls, denn die Wege in der Malavita verlaufen oft ziemlich kompliziert. Die Kriminellen verfälschen und verstümmeln ihre Beute, um der Polizei ein Schnippchen zu schlagen. Da werden Leinwände zerstückelt und Vasen zerschlagen, um nach dem illegalen Transport wieder zusammengefügt zu werden.

Ähnliches geschah 1993 bei der Großfahndung nach der "Trecapitolina" einer antiken Götterskulptur aus Rom. Als ein Unterarm im Handschuhfach eines Autos gefunden wurde, waren die Carabinieri bereits auf einer heissen Spur. Zeichnungen des kostbaren Standbildes wurden weltweit verbreitet und auch die Medien informierten kräftig mit, um den Absatzmarkt für das gute Stück empfindlich einzuschränken. Der Fahndungsdruck wurde verstärkt, und Kenner der Materie davon abgeschreckt, das gestohlene Werk zu erwerben. Gefunden wurde die kapitolinische Trias schließlich in einem Schuppen nahe der Schweizer Grenze. Sie zählt derzeit zu den wichtigsten wiederbeschafften Objekten der TAP.

Das ist Grund genug, den Umschlag des "Museo ritrovato" (wörtlich: wiedergefundenes Museum) zu zieren. Dieser dreibändige Katalog zeigt die wichtigsten Trophäen der italienischen Fahnder. Sakrale Kunst und Archäologie sind schon zu haben, die Bände über die Zeitgenössische und Angewandte Kunst werden demnächst erscheinen. Eine weitere Publikation der TPA ist der jährlich erscheinende Katalog mit den wichtigsten gestohlenen Kunstwerken. Verteilt an Galeristen, Auktionäre, Händler, Wissenschaftler, Restauratoren und Fachjournalisten im In- und Ausland, soll er insbesondere auf die Hehler abschreckend wirken. Denn "der illegale Handel blüht, angetrieben durch einen ungebremsten Sammlertrieb und zahlreiche Aufträge aus dem Ausland", klagt Sergio Siracusa, oberster Kommandierender der Carabinieri in Rom. Der Kunstschmuggel ist ein einträgliches Geschäft, das in Italien nach dem Drogen- und Waffenhandel an dritter Stelle rangiert.

Die italienische Gesetzgebung in Sachen Kunsthandel ist streng: Für keines der wichtigen Objekte wird je eine Ausfuhrgenehmigung erteilt und dennoch: die Schweiz gilt als internationale Drehscheibe für Transit und Handel mit illegalen Kulturgütern. Im globalen Geschäft mischen insbesondere Sammler aus den USA, Japan, Frankreich, Deutschland und Grossbritannien mit. Die geraubten Schätze kommen vor allem aus Italien, Ägypten, der Türkei, aus Kambodscha und Peru.

Sowohl Marktspekulanten als auch den Grabräubern Paroli bieten, lautet eine der Devisen der TAP. Denn die rabiaten Methoden der Tombaroli (Grabplünderer) versprechen nicht nur unlauteren Profit, sondern reißen das archäologische Fundstück aus seinem Kontext und schaden damit der Wissenschaft. Tombaroli sind insbesondere im Süden am Werk, wo die weitesten fundträchtigen Areale sind und die Wirtschaft schwach ist: "Wer nichts zu essen hat, geht rauben, das ist ganz normal", kommentiert Zennaro das Phänomen.

Zur Verbrechensbekämpfung setzt Italien verstärkt auf Prävention: "Information und Aufklärung sind die wichtigsten Waffen gegen diese Art von Kriminalität", meint Kulturminister Giovanni Melandri und weist darauf hin, dass letztes Jahr die archäologischen Zonen im Süden, von denen noch wertvolle Funde zu erwarten sind, abgesichert wurden. Noch heuer will der Staat 11 Milliarden Lire lockermachen, um die TAP zu vergrössern. Fünf neue Einheiten sollen in Turin, Cerveteri, Foggia, Cosenza und Sassari dazukommen.

Risikogruppen sind Kirchen und Privathäuser, insbesondere jene Villen, die nur zu bestimmten Jahreszeiten bewohnt werden. Alarmanlagen sind längst kein wirkungsvoller Schutz - am ehesten noch dann, wenn sie einen Draht zur lokalen Polizei haben. "In gute Alarmanlagen investieren und ebenerdige Fenster vergittern", rät Zennaro den Besitzern und ermuntert sie auch zum Führen eines privaten Fotoarchivs, das den jeweiligen Kunstbestand mit seinen Details erfasst. Eine Maßnahme, die sicherstellt, dass die Behörden ein gestohlenes Werk schneller finden, identifizieren und zurückgeben können. "Abgelichtete Werke werden nach dem Diebstahl in 80 Prozent der Fälle wiedergefunden", weiss General Conforti aus Erfahrung.

Es ist jedenfalls kein Leichtes, den unlauteren Gesellen das Handwerk zu legen. Zur Entschärfung der Alarmanlagen engagieren die Diebe Spezialisten, die nur für diese eine Aufgabe zuständig sind. Arbeitsteilung als beliebte Organisationsform der Malavita: Die Räuber sind sehr oft auf Kommission für Privatsammler tätig, die ihrerseits das Werk eine Zeitlang versteckt halten, bis die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit schwächer wird; dann erst wird verhandelt. Dieser klassische Weg des Verbrechens kann sehr verschlungen sein: 1996 beispielsweise hatte Zennaros Mannschaft ein Kruzifix bei einem der Restauratoren in der Lagunenstadt fotografiert. Nach Recherchen in der Datenbank war klar, dass dieses Objekt aus der Kirche "Santa Maria di Costantinopoli" in Salerno geraubt und illegal in ein ehemaliges Ostblockland gebracht wurde. Dort hat es ein Italiener gekauft, der es wiederum illegal in sein Heimatland zurückbrachte. Da das Kruzifix bei dieser Odyssee beschädigt wurde, sah sich sein neuer Besitzer gezwungen, einen Restaurator in Venedig aufzusuchen. Durch die regelmäßige TAP-Kontrolle von einschlägigen wirtschaftlichen Aktivitäten und den Vergleichen in der Datenbank, flog die Sache schließlich auf. "Dieses System erlaubt uns, dass kein Kunstwerk aus der Evidenz verschwindet oder in Archiven verstaubt. Nichts wird vergessen, auch nicht ein Raub, der vor 30 Jahren passiert ist", hält Zennaro fest.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor der TAP ist die Zusammenarbeit mit der Interpol. "Sie klappt hervorragend", freut sich Zennaro und hat auch gleich ein Beispiel parat. So konnten sie letztes Jahr gemeinsam mit einem Team aus französischen und italienischen Polizisten, 60 wichtige Stilmöbel in der Provinz Verona sicherstellen; die Stücke stammten aus südfranzösischen Schlössern. Auch das wertvolle Manuskript "Mariegola della Congregazione di San Marco" (14. Jahrhundert) konnte mit internationaler Hilfe wieder retourniert werden. Ein grosser internationaler Erfolg wurde schon 1996 verbucht, als ein Miro, der aus einer Privatwohnung in Paris geklaut wurde, in Triest auftauchte. Ganz zu schweigen von jenem Einsatz der Kollegen, die 1998 zwei van Goghs und einen Cezanne, die der Nationalgalerie in Rom abhanden gekommen waren, aufspürten und die Langfinger dingfest machen konnten.

Um diesen Erfolg auch mit kunstinteressierten Besuchern der "ewigen Stadt" zu feiern, zeigt das Castel Sant'Angelo alljährlich im Frühjahr einige der von der TPA gefundenen Werke. Und wer weiß, vielleicht ist im nächsten Mai endlich auch die "Nativita" von Caravaggio (16. Jahrhundert) mit dabei, also jenes Gemälde, nach dem die TAP schon seit ihrem Gründungsjahr 1969 fieberhaft fahndet.

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