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Die Erde bebte in Palermo

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Gleich nach dem Eintreffen der Nachricht von der jüngsten Erdbebenkatastrophe auf Sizilien begannen Caritas und das österreichische Rote Kreuz mit der Spendensammlung zur Hilfeleistung für das Unglücksgebiet. Schon einmal, zur Zeit, als Sizilien unter der Herrschaft des Doppeladlers stand, leistete Österreich nach einem Erdbeben in Palermo tätige Hilfe. Sizilien war unter Kaiser Karl VI. der Schauplatz eines zweijährigen Krieges. Die Spanier besetzten das im Utrechter Frieden dem Herzog von Savoyen zugesprochene Königreich. Palermo öffnete angesichts der spanischen Flotte, die eine Kriegsmacht von 35.000 Mann heranführte, Ende Juni 1717 die Tore. Die von England,

Frankreich und Holland geschlossene Tripelallianz, durch den Beitritt Karls VI. zur Quadrupelallianz erweitert, sprach Sizilien dem Kaiser zu, der dafür Sardinien an Victor Amadeus von Savoyen abtrat. Am 11. August 1717 vernichtete der englische Admiral George Byng Viscount Torrington beim Capo Passero die spanische Flotte. Obwohl dadurch vom Mutterland abgeschnitten, gelang es der spanischen Armee mehr als zwei Jahre lang, sich aus dem Lande selbst zu erhalten. Erst nach harten Kämpfen, deren letzte zwischen Palermo und dem Monte Pellegrino am 2. Mai 1720 stattfanden, wurde am 6. Mai der Waffenstillstand mit Spanien unterzeichnet.

Es kam der 1. September

Am 1. September 1726 zerstörte ein Erdbeben einen großen Teil von Palermo. 250 Tote wurden aus den Trümmern gezogen. Der kommandierende General Feldzeugmeister Freiherr von Zumjungen, der sich rühmen durfte, den Buchdrucker Gutenberg zu seinen Ahnen zu zählen, stellte zu den Räumungs- arbeiten 200 Soldaten bei, die, wie es in einem Bericht heißt, in wenigen Tagen vollbrachten, wozu die Einheimischen Monate gebraucht hätten.

Noch im Jahre des Erdbebens wurde durch die Demolierung einiger Häuser die Piazza Imperiale geschaffen und in ihrer Mitte die in einer eigens dazu hergerichteten Gußhütte gegossene Bronzestatue der Immaculata von Giambattista Ragusa und Standbilder des Kaiserpaares Karl und Elisabeth aufgestellt.

Zum Wiederaufbau der zerstörten Häuser wurde die Colonna frumen- taria herangezogen. Ihre Aufgabe bestand darin, nach der Ernte Brotgetreide zu gedrückten Preisen zu kaufen, zu höheren Marktpreisen abzugeben und die angesammelten Gewinne zur Haltung des Brotpreises auf gleicher Höhe auch in Jahren von Mißernte und Teuerung zu verwenden. Zur Aufbewahrung des Getreides dienten eigene Lagerhäuser, die aber auch von Privaten benützt wurden, wodurch argen Schiebungen die Tore geöffnet waren. Das Monopol des Senats, Brot zu backen, wurde durch das kaiserliche Militär durchbrochen, so daß an manchen Tagen nichts von den städtischen Backöfen abgenommen wurde, die im schlechten Ruf standen, Spreu in das Mehl zu mischen. Das von den Soldaten gebackene und verkaufte Brot bot einen Ersatz für den meist rückständigen Sold. Wenn die Frage aufgeworfen wird, wie die Soldaten oft monatelang ohne Sold leben konnten, bietet Palermo dafür ein gutes Beispiel. Sie verkauften nicht nur mit Umgehung des Monopols billigeres und besseres Brot, sondern auch Fleisch, ohne die Verzehrungssteuer zu entrichten, die sie mit den Kunden teilten, oder ließen sich den Schutz, den sie Händlern mit unversteuerter Ware gewährten, bezahlen. Eine weitere Einnahme bildeten die Weinschenken des Militärs, die keine Abgaben leisteten und in denen die Bevölkerung sich mit den Soldaten verbrüderte.

Temperamentvoller Lampedusa

An der Spitze des Senates, der Stadtverwaltung von Palermo, zu dessen Wirkungskreis die Colonna frumentaria gehörte, stand der Pretor. Unter den Baronen, die die Würde des Pretors, die eine schwere Last war, trugen, befindet sich auch ein Vorfahre des Verfassers des „Gattopardo“, Ferdinando Tomasi Principe di Lampedusa. Dieser hatte 1729 eine heftige Auseinandersetzung mit dem Vizekönig Don Cristoforo Fernandez de Cordova de Alagon Conde de Sastago y Morato Marques de Aquilar Grande de Spagna de Prima Člasse. Der Vizekönig be richtete über das respektlose Auftreten Lampedusas nach Wien, entschuldigte aber, nachdem sein Ärger verraucht war, den Temperamentsausbruch Lampedusas, dessen Aufregung mit seinem aus edlen Motiven entsprungenen Auftreten für die Brotversorgung der Stadt erklärt wurde. Vier Jahre vorher hatte Karl VI. den Principe di Lampedusa zum Grande von Spanien erhoben. Sein Haus war der Sitz der von ihm 1721 gegründeten Akademie „Colonia arcadica Oretea“.

Lampedusa war nur schwer zu bewegen, das verantwortungsvolle Amt des Pretors zu übernehmen, in dem er sich bald der Notlage der Brotversorgung gegenübersah. Es wurde ihm versichert, daß die Lagerhäuser für das ganze Jahr mit Getreide versorgt seien. Schon Ende September waren sie leer. Die Versorgung Palermos reichte nicht bis zum Sommer. Auch die Versorgung der Truppen war gefährdet. Bald stellte sich bei Überprüfung der falschen Rechnungen und gefälschten Lagerlisten ein großangelegter, aber : keineswegs außergewöhnlicher Betrug heraus. Ein Ring von Baronen und Händlern, unter einer Decke mit den Beamten der Colonna, zog das Geschäft an sich und verkaufte unter der Hand große Mengen des der Brotversorgung der Stadt zugedachten Getreides zu weit höheren

Preisen. Nur das Getreide minderer Qualität blieb in den Lagern zurück. Auf diese Weise wurde der Preis ln manchen Jahren auf die doppelte Höhe getrieben.

Das Tribunal

Sizilien hatte seine eigene, von der römischen unabhängige Inquisition. Sie war unter Ferdinand dem Katholischen von Torquemada eingeführt worden und unterstand dem spanischen Generalinquisitor. Frevler gegen die Religion gehörten nach dem Rechtsgefühl vergangener Zeiten ins Feuer, denn ihr Verbrechen, schlimmer als Hochverrat, war gegen die Gottheit gerichtet, während Staat, Leben und Eigentum nur als deren vergängliche Gnadenbeweise galten. In den evangelischen Ländern dachte man darüber nicht anders als in den katholischen, nur übergab man Gotteslästerer, Zauberer und Hexen auf kürzerem Wege dem Scharfrichter. Nicht die Strafe war Streitgegenstand zwischen Staat und Kirche, sondern die Kompetenz des Strafverfahrens. In dein österreichischen Erbländern scheiterten die Bemühungen des Klerus, es der Kirche zu überlassen, am unbeugsamen Widerstand der Regierung.

Im April 1724, zwei Jahre vor dem Erdbeben, fand in Palermo ein feierliches Autodafė statt. Ein Glaubensgericht war in Sizilien bereits von dem Hohenstaufen Friedrich II. 1224 eingesetzt worden. Karl VI. fiel somit die Jubiläumsfeier eines halben Jahrtausends zu, die mit dem gleichen Prunk abgehalten werden sollte wie die beiden feierlichen Autodafės von 1573 und 1658. Der öffentliche Glaubensakt, bei dem sich der volle Glanz kirchlicher und weltlicher Herrlichkeit entfalten konnte, endete mit dem Feuertode einer Klosterfrau und eines Laienbruders, deren Geisteskrankheit damals noch nicht erkannt werden konnte. Es verdient Erwähnung, daß während des einer Festoper vergleichbaren Glaubensgerichts den Ehrenplatz neben dem Vizekönig auf dem Balkon des erz- bischöflichen Palais der kommandierende General Freiherr von Zum jungen, dem die Sicherheit des Landes anvertraut war, einnahm — ein Protestant!

Das Amt des spanischen General inquisitors wurde nach der Eroberung Siziliens in Wien eingerichtet. Es bezog sich ausschließlich auf das Tribunal von Palermo. Den Posten des Generalinquisitors erhielt Kardinal Kollonitz zur Aufbesserung der mageren Einkünfte der Wiener Diözese.

Das Ende der österreichischen Herrschaft

1735 endete mit dem Fall von Messina die österreichische Herrschaft in Sizilien. Der Verteidiger der Festung, ein Fürst Lobkowitz, hatte unter seiner Dienerschaft einen vierzehnjährigen Negerknaben, den er auf dem Sklavenmarkt gekauft hatte. Angelo Soliman diente Lobkowitz, stets in seiner Begleitung, bis zu dessen Tod und später dem Liechtensteinschen Hause. Kaiser Joseph unterhielt sich mit ihm, wenn er ihn auf seinen Spaziergängen traf. Er heiratete eine verwitwete Frau von Cristiani, geborene Ke Hermann. Der Ehe entsproß eine Tochter, welche die erste Frau des Frei- herm von Feuchtersieben wurde und Mutter des Außeer Sudmeisters Eduard. Er war der Stiefbruder des aus des Freiherrn zweiter Ehe stammenden Verfassers der „Diätetik der Seele“, Ernst Feuchtersieben. Soliman starb mit siebzig Jahren. Kaiser Franz erbat seine Leiche, ließ sie ausstopfen und als Kuriosität seines Naturalienkabinetts auf dem Dachboden der Stallburg aufstellen, wo sie bei der Beschießung Wiens durch Windisdh-Grätz in Flammen auf ging.

So ruft das Erdbeben von Palermo die Erinnerung an die kaiserliche Herrschaft in Sizilien wach, an das alle Pracht entfaltende Glaubensgericht, an den Neger Soliman und nicht zuletzt an den Ahnherrn des Verfassers des „Gattopardo“.

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