6913888-1981_18_13.jpg
Digital In Arbeit

Falsche Musen für die Dritte Welt

Werbung
Werbung
Werbung

Einen Feldzug hat Napoleon immer noch gewonnen: den seiner Archäologen. Was damals den Boom einer jungen Wissenschaftsdisziplin begründete - Tonnen um Tonnen an Kostbarkeiten aus den alten Reichen am Nil befindet sich heute noch zum größten Teil in französischen Museen. Als selbstverständlicher Bestand der Sammlungen, so wie der Obelisk auf der Placa de la Concorde zum Stadtbild von Paris gehört.

Napoleon war allerdings nicht der einzige Connoisseur von Mitbringseln fremder Kulturen. In den Museen aller europäischen Länder stehen sie (oft - wie in Wien) in Kellergewölben, weil weder Platz noch Mittel zur Ausstellung vorhanden sind.

Während über die Auslieferung der Kunstbeuten der Hitler-Besatzer nach dem Zweiten Weltkrieg abendländischer Konsens bestanden hat, lagern die Souvenirs des Kolonialismus heute noch kaum angefochten von abendländischen Skrupeln. Die Blüte der international anerkannten Archäologie und Anthropologie entrückte sie im Mantel der hohen Wissenschaft dem weltpolitischen Gezeter des zwanzigsten Jahrhunderts. Die erst von europäischen und dann auch von nordamerikanischen Gelehrten akribisch erstellten Kataloge der Gegenstände fremder Kulturen wurden zu Berechtigungsscheinen des Besitzes an ihnen.

Aber das erwachende Selbstbewußtsein der ehemaligen Kolonien nimmt seine Lehrer ernst. Auf der Suche nach eigener Identität sind Gegenstände und Kataloge von nationalem Interesse, ebenso wie eine eigenständige Anthropologie. Eine junge Generation von Dritte-Welt-Anthropologen (an europäischen und nordamerikanischen Universitäten ausgebildet) bläst seit einigen Jahren zum Sturm.

Daß es kein Sturm im Wasserglas ist, steht spätestens seit der „Resolution Nr. 626-bis“ des Erziehungsministeriums von Kolumbien fest. Damit wurde 1973 für den südamerikanischen Staat Gesetz, wovon vorher nur vormundschaftsmüde Anthropologen ehemaliger Kolonien geträumt hatten: Forschungsergebnisse über kolumbianische Vergangenheit bleiben im Lande; anders herum: ausländische Wissenschaftler müssen sich anmelden, ihr Projekt erläutern, Kopien der späteren Publikationen schicken, 30 Prozent der Projektkosten an das Kolumbianische Institut Für Anthropologie abliefern. Dazu kommt ein absolutes Verbot der Ausfuhr archäologischer Funde.

Nordamerikanische Forscher - gewohnt, südamerikanische Grabungsstätten zu leiten - sprechen seither viel von bedrohter wissenschaftlicher Freiheit und sind beleidigt. Die Zumutung, unter kolumbianischen Wissenschaftlern zu arbeiten, ist zu groß, als daß sie sich an der Erforschung des aufregendsten Fundes der letzten Jahre beteiligen würden; „ciudad perdida“, die im Santa-Marta-MassiventdeckteTerras- senstadt der Tairona-Indianer, wird ausschließlich von Kolumbianern freigelegt. Mit begrenztem Personal und geringen Mitteln.

Grabungschef und Vater der „Resolution 626“, Alvaro Soto Holguin, ist dennoch optimistisch: „Die verlorene Stadt“, erklärt er uns bei einem Besuch des vom Militär bewachten Geländes, „ist der Kristallisationspunkt einer neuen Anthropologie, der das traditionelle Fach nichts entgegenzusetzen hat.“

Die Nordamerikaner, als Anthropologen eine junge, aber sehr starke Nation, sind auch an einer anderen Front im Gedränge; in der Türkei. Bei einem Symposion, das sich vor kurzem in Ankara mit 56 Grabungsstätten - davon 18 von ausländischen Teams bearbeitet - befaßte, sparte der türkische Kulturminister nicht mit scharfen Worten. Cihat Baban forderte neuerlich von der Harvard-Universität die Rückgabe einer reichen Sammlung byzantinischer Kunstgegenstände. Da - so der Minister - bisherige Anfragen in Harvard erfolglos geblieben seien, würden die Grabungslizenzen für die renommierte US-Universität gestrichen ...

Die „New York Times“ befragte dazu den zuständigen Harvard-Professor Giles Constable. Er berichtete von Verhandlungen, aber die Türken wollten nur rasche Resultate, während Harvard an Langzeit-Lösungen interessiert sei. Von einem Grabungsverbot wisse er nichts. Constable wies noch darauf hin, daß heute für Harvard ein Verbot für den Ankauf illegal ausgeführter Kunstgegenstände bestehe, zur Zeit des Kaufs der prächtigen und ohne Zweifel aus der Türkei geschmuggelten „Syon- Sammlung“ in der Schweiz diese Regeln jedoch noch nicht galten.

Die Frage ausländischer Grabungslizenzen in der Türkei betrifft auch Österreich. Seit mehr als 75 Jahren ist das ergiebige Ruinenfeld von Ephesos österreichische Domäne. Heute nicht mehr reibungslos; schließlich weiß man in der Türkei um die reichen Bestände in der Wiener Hofburg. Das letzte Stück zu dieser Sammlung, wird bei der Leitung des Ephesos-Museums betont, kam bereits 1906 nach Wien; mit der Genehmigung des osmanischen Reiches, wie alle anderen Stücke vorher auch.

Was damals von den osmanischen Herren um Spottgelder an die Archäo-, logen Kaiser Franz Josefs verkauft worden ist, wird heute von der türkischen Presse als „Wegschleppen von Kostbarkeiten“ bezeichnet.

1978 bei der feierlichen Übergabe der wiedererrichteten Fassade der Cel- sus-Bibliothek an das türkische Volk, sparte denn der Vertreter der türkischen Antikenverwaltung, Aykut özet, nicht an ätzenden Bemerkungen. Daß die Feier dennoch ein türkisch-österreichisches Gemeinschaftsfest geworden ist, war nicht nur dem guten Klima zu verdanken, das das österreichische Team an Ort und Stelle pflegt, sondern der Klarsicht der zum Fest angereisten Ministerin Hertha Firnberg. Sie bewies mehr Weitblick als die US-Regierung, die jede Verhandlung über Rückgaben mit dem Hinweis auf den privaten Charakter des Harvard-Museums bisher abgelehnt hat und bewahrte in greller Mittelmeersonne einen kühlen Kopf:

„Dieses Fest heute ist ein Zeichen des Denkens dafür, daß österreichische Wissenschafter durch so lange Zeit... in diesem Land ihre Forschungen betreiben konnten ... Ich hoffe, daß sich die Zusammenarbeit zwischen türkischen und österreichischen Archäologen ... in Zukunft noch enger gestalten möge als bisher ...“

Was der Großteil der 1978 eingeflogenen Festgäste nicht wußte: in den Nischen der Fassade, die mit soviel Einsatz von Können und Geld aus Österreich zu einem Paradebeispiel archäologischer Arbeit errichtet worden ist, stehen die falschen Musen. Die Originale befinden sich nach wie vor in Wien...

In der Hofburg, wie auch der einzige erhaltene aztekische Federschmuck, den ein König getragen hat: die Federkrone von Moctezuma, die einst die Eroberer den Habsburgern mitgebracht haben. Die Mexikaner erwähnten diesen Punkt schon Mitte der siebziger Jahre beim Unterzeichnen des Kulturabkommens mit Österreich. Damals war Mexiko Entwicklungsland, heute ist es eine Erdölmacht, die ihre Interessen nicht mehr mit höflichen Bitten um historisches und nationales Verständnis durchsetzen muß.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung