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Hochautobahn für den „Engpaß“ Genua

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Die Befürchtungen, daß die Sparmaßnahmen auch die Autobahn Brenner—Verona—Modena in Gefahr bringen könnten, dürften sich nicht bewahrheiten, aber eine Verzögerung bis zur Uberwindung der ungünstigen Konjunktur wird in Kauf genommen werden müssen. Die Touristen sind für Italien von zu großer wirtschaftlicher Wichtigkeit, als daß man ihnen nicht die Wege über die Alpen ebnen möchte. Der Anreiz der „Autostrada del Sole“ wird den Verkehrsstrom aus der Deutschen Bundesrepublik, aus der Schweiz und Österreich noch vermehren. Mit dem Ausbau der Strecke Basel—Gotthard—Chiasso liegt Südeuropa offen. Daran schließen sich die in Bau befindliche Autobahn Chiasso—Como und die Verdoppelung der Fahrbahn Como— Mailand. Um die Linie Hamburg— Reggio—Calabria als Achse wird der Verkehr Europas kreisen, und diese Ansicht läßt die verantwortlichen Verkehrsfachleute Italiens daran denken, daß die Frage der westlichen und östlichen Umfahrung Mailands unverzüglich beantwortet werden muß.

Nebenbei: Die gefürchtetste Durchquerung ist die von Genua, sie nimmt fast eine Stunde in Anspruch. Die Lösung des Problems erschien unmöglich. Jetzt hat man beschlossen, durch die ganze Stadt,

ihrer ganzen Ausdehnung nach, eine auf Pfeilern ruhende Hoch-Autobahn zu legen. Die Arbeiten haben mit Genueser Tatkraft bereits eingesetzt. Was die Nord-Südrichtung anbelangt, so darf auch nicht vergessen werden, daß zwei Stichtage fällig sind: die Eröffnung des Straßentunnels durch den Großen Sankt Bernhard und der unter dem Mont Blanc: zwei offene Tore zwischen der Schweizer und der französischen Rhone und der Po-Ebene, zwei weitere „europäische“ Straßenzüge zwischen Westeuropa und Italien, zu denen sich bald der Ausbau der Linie Simplon—Domodossola— Genua gesellen wird.

Die Italiener freilich sind fast mehr noch an dem Ausbau der Querverbindungen interessiert. Die alte Autobahn Turin-Brescia mit ihrer neuen Fortsetzung nach Verona, Vicenza, Padua, Venedig wird die dichteste Frequenz aller italienischen Uberlandstraßen aufweisen. Schon jetzt hält die Strecke Mailand—Brescia mit ihrem Jahresdurchschnitt von 36.000 Kraftwagen täglich den Rekord, erst an zweiter Stelle kommt Mailand—Como mit 31.000. Weiter südlich ist die Linie der ligurischen Riviera sowohl westlich wie östlich von Genua ein wunder Punkt in Italiens Verkehrsgeographie. Die schwierigen topographischen Verhältnisse machen den Bau

der Autobahn hier besonders kostspielig. Bis 1969 wird man nur auf die Autobahn Savona—Genua— Sestri — Levante — Lucca — Livorno mit Sicherheit rechnen können, während sich der Verkehr zwischen Ventimiglia und Savona weiterhin auf der überbelasteten Via Aurelia abspielen muß. Die Römer werden bis dahin wohl endlich auf einer bequemen Straße zumindest bis Aquila gelangen und damit der Adria angenähert sein.

Modernisierung und Zerstörung

Und in den Städten? Die Meinungen der „Modernisten“, die dem Moloch Verkehr zuliebe Stadtmauern, Stadttore, Palazzi und Kirchen opfern würden, und der „Traditionalisten“, die jedes Mauerwerk mit der Patina der Jahrhunderte eifersüchtig hüten, prallen heftig aufeinander. In den Städten mittlerer Größe, in Florenz zum Beispiel, hilft man sich mit dem Einbahnsystem so gut es geht. Wenn es einmal nicht mehr gehen sollte, wird das historische Stadtzentrum für den privaten Verkehr gesperrt werden. Aber in einer Stadt von der Größenordnung Roms ist das nicht möglich. Die das Zentrum umschließenden Mauern sind ein Dutzend Kilometer lang. Denn-noch, das darf gesagt werden, sind die Traditionalisten auf der ganzen Linie siegreich geblieben.

Der Verkehr befindet sich allerdings in Krise. Einbahnsystem und Unterführungen sind kaum mehr Linderungsmittel. Was kann geschehen? Auf den Stadtvätern ruht eine schwere Verantwortung, sie haben zwischen Modernisierung und Zerstörung zu entscheiden. Der Weg, den sie einschlagen wollen, ist lange und schwierig, aber der einzig mögliche: Die Struktur der Stadt muß verändert werden. Ministerien und andere öffentliche Ämter wandern in neue Viertel an den Stadtrand aus. Das Zentrum soll dem Gesellschaftsleben vorbehalten bleiben, ähnlich wie die Londoner City. Die Römer werden ermahnt, sich möglichst öffentlicher Verkehrsmittel zu bedienen, notfalls eines Taxi. Noch besser: Man geht zu Fuß. Wir haben alle verlernt, unsere Beine zu gebrauchen. Franz Liszt hat auf dem Monte Mario gewohnt und wanderte täglich hinunter in die Stadt...

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