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Gnadenfrist fürs Zillertal

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„Die Alemagna-Autobahn wird nicht gebaut“, konnte man vor kurzem in den österreichischen Tageszeitungen lesen. Verschiedene Minister der österreichischen Bundesregierung lehnten in öffentlichen Stellungnahmen den Bau dieser durch das Zillertal geplanten Schnellstraße München—Venedig ab. Dessenungeachtet fand kürzlich in Mestre eine großangelegte Pressekonferenz statt, auf der die Vertreter der italienischen Alemagna-Autobahngesell- schaft und der bayrischen Finanzie- rungs-AG „Batia“ (Bayern-Tirol- Adria) in beschwörenden Referaten auf die Bedeutung dieses internationalen Straßenprojektes hinwiesen. Gleichzeitig erklärte der Generalbevollmächtigte der Batia-AG, Ingenieur Vesellinoff: „Wenn Italien bis zum 31. Dezember dieses Jahres der Finanzierungsgesellschaft nicht die Konzession zum Bau der Autobahn erteilt, dann wird das Angebot zurückgezogen.“

Dieses Angebot umfaßt immerhin eine Summe von drei Milliarden D- Mark, und es erscheint auf den ersten Blick völlig unverständlich, wieso die Italiener zögern, zuzugreifen. Ein Teil der Straße, nämlich das Stück Mestre — Vittorio Veneto, wurde übrigens schon gebaut. Für die Fortsetzung des Projektes auf italienischem Boden (Vittorio Veneto —Longarone—Toblach—Bruneck— Tauferertal) fehlt jedoch die Konzession. Dieses seit Jahren beharrlich in Rom geforderte Papier ist nicht nur für den Weiterbau erforderlich, sondern die Voraussetzung, um auch mit Wien offiziell ins Gespräch kommen zu können. Die bisherige Ablehnung durch Österreich scheint die Projektanten weniger zu irritieren als die römische „Salamitaktik“.

Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus müßte Italien lieber heute als morgen zugreifen, geht es doch um eine gigantische Aufwertung des Hafens von Venedig. Gerade im Hinblick auf die Wiedereröffnung des Suezkanals käme jenem Adriahafen höchste wirtschaftliche Bedeutung zu, der die kürzeste, direkte Verbindung zum Umschlagplatz München und zum süddeutschen Raum hat. Die Interessensschwerpunkte der Alemagna-Autobahn liegen also in Venedig und München, nicht aber in Tirol, wo vor allem das Zillertal von der Trassierung am stärksten betroffen wäre. So sehr man von seiten der Autobahngesellschaften auch bemüht ist, zü versichern, daß beim Bau die Landschaft Vorrang genießen werde, so sehr man auch auf den „touristischen Vorteil für das Zillertal und ganz Nordtirol“ hinweist, so wenig gelang es bisher, berechtigte Zweifel zu zerstreuen. Wenn das Zillertal zu drei Staukraftwerken (Gerlos, Zemm- grund, Zillergründl) noch eine Autobahn erhielte, wäre von der unversehrten Erholungslandschaft dieses einst so berühmten Ferientales nicht mehr viel übrig. Dabei sind die Auswirkungen einer Autobahn (Lärm, Abgase, Verseuchung des landwirtschaftlichen Grundes) weitaus bedenklicher als jene von Wasserkraftwerksbauten. Und ob sich die Be- nützer einer internationalen Durchzugsstraße zum Verweilen in Nordtirol verleiten lassen, ist äußerst fraglich. In erster Linie würde die Alemagna wohl dem Warenverkehr und dem Touristensturm nach dem Süden dienen. So hat zum Beispiel die ins Leben gerufene österreichische Zillertal-Autobahngesellschaft einzig und allein den Zweck, im Falle der Realisierung des Projektes die Wünsche und Rechte der betroffenen Bevölkerung durchzusetzen.

Noch ist es nicht soweit. In Italien ist für die Erteilung der Konzession ein eigenes Staatsgesetz erforderlich, und die gegenwärtige Regierungssituation ist keineswegs dazu angetan, die Durchbringung eines solchen Gesetzes durch beide Häuser des Parlaments zu fördern. Dabei haben die italienischen Kommunisten die Alemagna bisher abgelehnt, und die Sozialisten zeigen nur wenig Interesse. Die Tatsache, daß die drei Milliarden D-Mark in der BRD bereits bereit liegen, erweckt mehr Mißtrauen als Freude. Man fragt sich, ob das Geld tatsächlich von der Wirtschaft allein kommt oder ob da nicht auch NATO-Interessen mitspielen? Selbst wenn es sich lediglich um harmlose Wirtschaftsmilliarden handeln sollte, denkt man mit einigem Unbehagen an die „bajuwarische Kolonialisierung“ Venetiens. Anderseits fühlt man sich von Gerüchten beunruhigt, daß bei noch längerem Zögern Italiens das Adrialand Jugoslawien den fetten Bissen wegschnap- pen könnte. Der gut ausgebaute Hafen Rijeka wäre durchaus geeignet, in das große Adria-Geschäft einzusteigen. Verständlich, daß die Italiener angesichts solch verwirrender Tatsachen ziemlich unschlüssig sind. Für Österreich und Tirol schaut dabei jedenfalls am wenigsten heraus, und so ist die bisherige ablehnende Haltung der Bundesregierung durchaus gerechtfertigt. Es wird interessant sein, festzustellen, ob es auch in Zukunft dabei bleibt.

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