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Auf der „Kaiserstraße” von Bozen nach Cortina

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I.

Die Dolomiten haben ihren Namen nach dem französischen Mineralogen Deodat de Dolomieu erhalten, der um 1790 auf einer Reise durch das Etsch- und Eisacktal erstmals das später nach ihm genannte Gestein „Dolomit" entdeckte. Von dem großartigen Gebirge mit seinen zahlreichen Gruppen, deren Aufbau dieses Mineral formt und die zwischen Rienz, Eisack und Piave aufragen, von der Schönheit, den eigenartigen Formen und der Weite dieses Gebirgslandes hat Dolomieu kaum etwas gesehen und geahnt.

Die touristische und alpine Erschließung der Dolomiten setzte nach 1850 ein, als vereinzelte Engländer erstmals die Dolomiten bereisten und auch die ersten hohen Dolomitberge bestiegen. Die alpine Erschließung wurde bald reger und brachte bereits im Verlaufe des folgenden Jahrzehnts einen immer bemerkbareren Zustrom zumeist englischer und deutscher Touristen und Bergsteiger. Besonders bemerkenswert ist, daß sich gerade in den Dolomiten gar bald der Begriff des alpinen Felsenkletterns herausbildete, für das der Dolomitfels und der kühne Aufbau der Dolomitberge bis auf den heutigen Tag das idealste Gebiet geblieben sind.

Neben der Möglichkeit dieser sportlich alpinen Betätigung drang auch der Ruf der eigenartigen, ja geradezu einmaligen landschaftlichen Schönheiten dieses Gebirges und seiner Täler in weite Kreise und zog immer mehr auch Nichtbergsteiger an, die die Sommermonate in den aufstrebenden Dolomitenplätzen verlebten.

II.

Als uralte transdolomitische Handels- und Verkehrsstraße von Bedeutung ist einzig die Strada d’Alemagna anzusprechen, die seit jeher aus ,dem Venetianischen durch das Cadore ins Pu4tertal führte undYonWer weiterhin Anschluß sowohl an die Verkehrs- und Handelsader über den Brenner als auch gegen Kärnten hin fand. Die Strada d’Alemagna durchschneidet Immerhin einen Teil des dolomitischen Gebietes, berührt an ihrem Verlauf in den Dolomiten als Hauptort Cortina d’Ampezzo und erreicht am flachen Sattel von Cimabanche ihren Scheitelpunkt auf nur 1529 Meter. Um 1830 erfolgte durch Oesterreich der erste größere Aus bau dieser alten Handelsstraße, und zwar aus politischen, verwaltungstechnischen und wohl auch militärischen Gründen, da ja das Gebiet von Venedig seit dem Wiener Kongreß zu Oesterreich gehörte.

Hingegen war von der großen Randstraße an der westlichen Seite der Dolomiten, nämlich von der uralten und bedeutungsvollen Handels- und Verkehrsstraße über den Brenner eine Zufahrt in das dolomitische Gebiet bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts praktisch nirgends möglich. Ebenso wenig Bedeutung hatte für die Dolomiten die gute Talstraße durch das Pustertal mit Ausnahme eben ihrer Abzweigung bei Toblach auf der Strada d’Alemagna. Eine erste, teilweise Erschließung der westlichen dolomitischen Randgebiete erfolgte durch den Bau einiger Talstraßen aus dem Eisack- und Etschtal. Straßen, die jedoch rein wirtschaftlichen Zwek- ken dienten, immerhin aber und wenn auch unbeabsichtigt, den touristischen Verkehr erleichterten und förderten.

Bis zur Jahrhundertwende hatte das gesamte Dolomitengebiet nur primitive Landstraßen, die durch die Seitentäler nur bis zu den größeren Siedlungen vorstießen und in einzelnen Fällen bestenfalls bis in die Talschlüsse führten. Dadurch ergab sich verkehrsmäßig eine radikale Anbohrung des Gebietes von allen Seiten, aus allen Richtungen führten Sackstraßen mehr oder weniger weit in die Täler der Berggruppen hinein, blieben jedoch vor den Uebergängen in die anderen Täler, also vor Jochen und Pässen, stecken. Es gab also nur Talstraßen und keine Paßstraßen. Dadurch war jeder flüssige und fließende touristische Verkehr für ein breiteres Frenjdenpublikum stark gehemmt, und auch Wanderer und Bergsteiger konnten nur zu Fuß und meist mit viel Zeitverlust von einer Gruppe in eine andere hinüberwechseln.

Als erster Dolbmitenpaß, wenn män vom Rollepaß absieht, wurde im Jahre 1895 der Karerpaß mit einer Straße überschritten. Diese Straße diente neben wirtschaftlichen auch Fremdenverkehrsinteressen, da durch sie die kürzeste Verbindung zwischen Bozen und dem oberen Fassatal geschaffen wurde und der viel längere Umweg von Bozen über Auer, San Lugano und das Fleimstal mit seiner weiten Ausbauchung nach Süden ausgeschaltet werden konnte.

III.

Als 1897 der Tiroler Landtag den Beschluß zum Bau einer quer durch die Dolomiten führenden Straße für den Fremdenverkehr faßte, ergaben sich für diese die Angelpunkte bzw. Anfangs- und Endpunkt durch die bereits bestehenden Straßenstücke von selbst. Es war unabweisbar, daß diese Endpunkte nur die Fremdenverkehrszentren Bozen und Cortina d’Ampezzo sein konnten. Wenn auch damit die Straße über den Karerpaß schon einbezogen war, so stellte man doch auch die Verbindung mit der Fleimstal- straße durch das Straßenstück von Vigo di Fassa nach Moena aus zwei Gründen her: die Eggental- und Karerpaßstraße waren noch sehr primitiv, wiesen teilweise starke Steigungen auf und waren schwierig zu befahren: außerdem wurde die Eggentalstraße als Gemeindestraße bis Welschnofen für den Motorenverkehr gesperrt, während der Umweg über das Fleimstal wohl weiter, jedoch bedeutend besser befahrbar und für jeden Verkehr offen war.

Das Projekt der Dolomitenstraße hatte als Ausgangs- bzw. Endpunkte Moena im Passstal und Cortina d’Ampezzo. Die Straßenführung war: Moena — Canazei — Pordoijoch — Arabba — Buchenstein—Falzaregopaß — Cortina d’Ampezzo.

Damit erstrebte dieses Projekt eine gewaltige Querverbindung durch das Herz der Dolomiten mit Straßenüberführung über zwei der höchsten Pässe und sah einige Anschlüsse über seitliche Pässe vor, so daß damit der Großteil der damals zu Oesterreich gehörenden Dolomiten straßen mäßig erschlossen erschien. An Zweigstraßen war vorerst der Bau der Straße über den Cam- polongopaß von Corvara her nach Arabba geplant.

Der Voranschlag für den Bau der ganzen Straße wurde auf zwei Millionen österreichischer Kronen errechnet. Der Ausbau der Straße gestaltete sich aus verschiedenen Gründen sehr schwierig und zeitraubend. Insgesamt wurde mit einigen Unterbrechungen und, obschon meist mehrere Teilstücke in Arbeit waren, etwa zehn Jahre gebaut.

Die Fertigstellung der einzelnen Teilstücke erfolgte: 1902 Arabba—Buchenstein (Pieve di Livinallongo); 1903 Moena—Vigo di Fassa: 1904 Vigo di Fassa—Canazei —Pordoijoch —Arabba; 1906 Buchenstein—Falzaregopaß; 1909 Falzaregopaß—Cortina d’Ampezzo.

IV.

Die planmäßig trassierte und vor allem für den Fremdenverkehr erbaute Straße quer durch die Dolomiten sollt : ursprünglich den Namen ’uKaiierstraße" erhalten. Das findet seine Erklärung darin, daß der erste Gedanke zu ihrer Erbauung 1894 auf der Hauptversammlung des DOeAV in München laut wurde, und zwar sollte damit Kaiser Franz Joseph I. zu seinem 50jähri- gen Regierungsjubiläum im Jahre 1898 geehrt werden. Man kam jedoch mit dem Ausbau nicht zurecht (auch nicht zum 60jährigen Jubiläum im Jahre 1908), trotzdem erhielt die Straße bei der offiziellen Eröffnung den Namen „Kaiserstraße". Dieser Name konnte sich jedoch von allem Anfang an nicht einbürgern und wurde in der Führerliteratur kaum erwähnt. Bald fand der Name „Dolomitenstraße" ganz von selbst und überraschend schnell Eingang.

Dieser trefflich kennzeichnende und wohlklingende Name ist der einzigartigen Felsenstraße auch geblieben. Daß im Laufe der Jahre daraus die Benennung „Große Dolomitenstraße“ üblich wurde, ist so zu erklären: Nach dem ersten Weltkrieg wurden mehrere im Krieg begonnene Paßstraßen als Zweigstraßen der Dolomitenstraße fertiggestellt, so besonders die Straße über das Sellajoch und jene über däs Grödner Joch. Zur Unterscheidung von diesen Straßen, die nunmehr auch ein integrierender Bestandteil des dolomitischen Straßennetzes wurden und hauptsächlich, um die eigentliche Dolomitenstraße als Hauptarterie des gesamten Do- lomitenverkehrs und das Rückgrat des dolomitischen Straßensystems zu bezeichnen, wurde sie nun mit Fug und Recht die „Große Dolomitenstraße“ genannt.

Wie die ursprüngliche Dolomitenstraße aus der älteren Karerpaßstraße und dem neuerbauten Stück vom Fassatal bis nach Cortina d’Ampezzo bestand, so wurde auch der Name „Große Dolomitenstraße" nur für diese Straße mit den Endpunkten Bozen und Cortina d’Ampezzo gebraucht. Teilweise wird der Name auch auf das Teilstück Cortina d’Ampezzo—Toblach ausgedehnt, was in bezug auf die Straßenführung absolut berechtigt wäre. Doch hat sich diese Erweiterung auch nicht allgemein durchsetzen können. Dies ist verständlich, denn es besteht verkehrsgeographisch unwillkürlich das Bedürfnis, Ausgangs- und Endpunkt einer Straße auf die bekanntesten Zentren, die sie verbindet, abzustimmen. Dies wird sich auch in den Feiern ausdrücken, die vom 21. bis 29. Juni den vor fünfzig Jahren erfolgten Abschluß der Arbeiten in Erinnerung rufen werden.

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