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München—Innsbruck in 40 Minuten

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Die in Innsbruck vom 7. bis 10. Juni 1956 VeranstalteleInternationale Verkehrswissenschaftliche Tagung hat erstmals die für Oesterreich und ganz besonders Tirol lebenswichtigen großen Brenner- und Arlbergverkehrsprobleme aufgezeigt. Es ist das bleibende Verdienst des Ministerialrates Dr. techn. August Dreß ler, mit seiner bereits 1953 veröffentlichten, bei der erwähnten Tagung vorgetragenen und weiterentwickelten „Studie über eine Massengüter- und Schnellbahn München—Verona“ eine Generalrichtlinie für den Bau möglichst geradliniger Flachbahnen gegeben zu haben. Die folgenden Ausführungen sind als Tiroler Diskussionsbeitrag zur Förderung eines Flachbahnprojekts München—Verona in Anlehnung an Dr. Dreßlers Vortrag im Sinne der Wortmeldung vom 7. Juni 1956 zu werten und nicht dazu bestimmt, Polemiken auszulösen. Sie setzen die grundlegenden Darlegungen Dr. Dreßlers, erschienen auch im Heft 1/1955 der „Eisenbahntechnischen Rundschau“, .Darms-tadt, als -bekannt voraus. .

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Die in Innsbruck vom 7. bis 10. Juni 1956 VeranstalteleInternationale Verkehrswissenschaftliche Tagung hat erstmals die für Oesterreich und ganz besonders Tirol lebenswichtigen großen Brenner- und Arlbergverkehrsprobleme aufgezeigt. Es ist das bleibende Verdienst des Ministerialrates Dr. techn. August Dreß ler, mit seiner bereits 1953 veröffentlichten, bei der erwähnten Tagung vorgetragenen und weiterentwickelten „Studie über eine Massengüter- und Schnellbahn München—Verona“ eine Generalrichtlinie für den Bau möglichst geradliniger Flachbahnen gegeben zu haben. Die folgenden Ausführungen sind als Tiroler Diskussionsbeitrag zur Förderung eines Flachbahnprojekts München—Verona in Anlehnung an Dr. Dreßlers Vortrag im Sinne der Wortmeldung vom 7. Juni 1956 zu werten und nicht dazu bestimmt, Polemiken auszulösen. Sie setzen die grundlegenden Darlegungen Dr. Dreßlers, erschienen auch im Heft 1/1955 der „Eisenbahntechnischen Rundschau“, .Darms-tadt, als -bekannt voraus. .

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Wo anders könnte und sollte die kürzeste moderne Landverbindung zwischen Hamburg und Rom den Alpenhauptkamm queren als dort, wo seit Jahrtausenden die natürliche Verkehrs- und Wirtschaftsheerstraße historisch und organisch gewachsen ist, wo immer schon Nord und Süd am innigsten und kürzesten miteinander verbunden waren: in der Mitte des Faßlandes Tirol, das durch die zwei Tiroler Hauptpässe, Reschen und Brenner, die um rund 1000 m niederer als die westlich und östlich von ihnen gelegenen' Alpenpässe sind, von der Natur selbst geradezu prädestiniert ist. Ob zufällig oder nicht, Tatsache ist, daß der Brenner genau in der Luftlinie Hamburg — Rom liegt.

Entsprechend der historischen, geographischen und wirtschaftlichen Bedeutung des Brennerverkehrs wird wohl allgemein, besonders aber vom Standpunkt Tirols, einer Flachbahntrassenführung München—Verona über Garmisch — Flaurling—Innsbruck—Passeiertal—Bozen der Vorzug gegeben werden müssen. Im Kernstück Garmisch—Bozen dürfte Innsbruck, die im Kreuzungsmittelpunkt der österreichischen Haupt-Ost-West-Linie Wien—Paris und der europäischen Haupt-Nord-Süd-Linie Hamburg-Rom gelegene Ostalpenzentrale, ebensowenig abseits liegen wie Bozen, das Herz Südtirols. Die von selbst Sich ergebende Einschleifung von Plätzen internationalen Weltrufes, wie Garmisch—Partenkirchen und Meran—Obermais, in die Trasse liegt auf der Hand. Durch die Möglichkeit eines sehr günstigen Anschlusses von Sterzing kann aber auch das ganze Pustertal mit Osttirol, Kärnten usw. eingeschleift werden, ohne daß die durchgehende Trasse Innsbruck—Bozen die mindeste Beeinträchtigung erfahren würde.

Grundsätzlich dürfte also eine endgültige und allgemein, befriedigende Trassenwahl auf keine allzu großen Schwierigkeiten stoßen. Die geringfügige Verlängerung Flaurling—Innsbruck (21 kml kann weitgehend • durch Einsparung teurer Tunnelkilometer und Anordnung größtmöglicher Krümmungshalbmesser ausgeglichen werden. Die Trassenführung in Bayern, ob Isartal—Loisachtal, Würmtal (Starnbergersee)— Loisachtal oder gar über Weilheim, was den Vorteil einer günstigen Dreiecksverbindung nach Mering-Augsburg (-Nürnberg, Würzburg-Hamburg, Stuttgart) für den derzeit größten Teil des durchgehenden Nordverkehrs böte, -wird deutscherseits ebenso einwandfrei festgelegt werden, wie Italien für einen Flachbahnausbau Bozen—Verona mit Flachbahnabzweigungen nach Mailand und Venedig sorgen wird. Wenn die Linie München—Würzburg—Hamburg als Ast 1 des Hauptnordverkehrs bezeichnet wird, so wird — hoffentlich — über kurz oder lang auch dem Ast 2, München-Regensburg-Berlin—Stettin, wieder die ihm gebührende Bedeutung zukommen. Verheißungsvoll ist jedenfalls die internationale Feststellung, daß sich eine starke Zunahme des Bahnverkehrs von den skandinavischen Ländern nach Rom bemerkbar macht, was eine Strukturänderung des Verkehrs über den Brenner zur.Folge hat.

Die höchstzulässige Streckengeschwindigkeit resultiert anlagemäßig aus nicht überschreitbaren Neigungen und nicht unterschreitbaren Krümmungshalbmessern. Steilrampen und scharfe Krümmungen wären mit leistungsfähiger, auf Durchgangsfernverkehr abzustellender Zugförderung sowie angestrebter Geschwindigkeit von 200 km/h unvereinbar. Noch höheren Geschwindigkeiten sind durch die hohen Materialbeanspruchungen im Dauerbetrieb Grenzen gesetzt. Mit nur 7,6 Prozent Neigung und 1500 m Mindestkrümmungshalbmessern ließe sich von. Bozen, Kote 266, bis St. Martin i. P., Kote 600, auf ,44 km Länge in der landeskulturell meist nur untergeordnet genutzten linksseitigen Tallehne des Etsch- und Passeiertales eine geradezu ideale Trasse nicht nur für eine Schnell- und Massenfernbahn, sondern auch für eine einmalige Aussichtsbahn entwickeln. Weitestgehende Rücksichtnahme auf Landesplanung, Landschaft und Landeskultur sind ganz besonders im wertvolleren südlichen Landesteil Tirols geboten, dem wir es schuldig sind, daß dort, wo unersetzliche Kultur- oder Hauptwirtschaftswerte (Wein- und Obstbau, Burggrafenamt) in Gefahr kämmen, die Trasse mehr unter- als oberirdisch geführt werden müßte. Deshalb soll schon vom Bahnhof Bozen weg die Trasse in vollkommen natürlicher. Entwicklung allmählich ansteigen und bei St. Cosmas—Siebeneichen bereits eine Höhe erreichen, wie sie vertretbar über den Bozner. Talboden bei Sigmundskron nie erreichbar wäre.

Die abschnittsweise Durchführung in einzelnen Baustufen ist normalerweise immer leichter als im ganzen, besonders aber in diesem Fall das Erstrebenswerte. So wäre es ohne weiteres denkbar, daß der Hauptteil zwischen Garmisch und Bozen in drei Hauptabschnitte unterteilt wird, nämlich

I. Innsbruck — Scheitel Alpenhaupttunnel Gschnitztal — „Fensterausfahrt'“ .nach Sterzing (14,2 Prozent),' 28 + 17 = 45 km;

IL- Scheitel Alpenhaupttunnel Gschnitztal— St. Martin i. P.-Bozen, 26,5 + 44 = 70,5 km;

III. - Garmisch—Flaurling bzw. Innsbruck, 24 bzw. 45 km,

I und III könnten auch für sich selbständig und unabhängig durchgeführt werden und bestehen. Bauzeit für I etwa 6 bis 8 Jahre, für II entsprechend mehr, für III entsprechend weniger.

Der Alpenhaupttunnel mit Scheitelhöhe 706 m würde 53,8 km lang mit 4,5 Prozent Neigung auf der Nord- und 4. Prozent Neigung auf der Südseite, der Wettersteintunnel 18,6 km lang mit 4,4 Prozent einseitiger Neigung, der drittlängste, der Bozner Tunnel 6,1 km lang mit 7,6 Prozent Neigung sein.'

Die künftige Fahrzeit von knapp 40 Minuten fürdie 12 6,5 km lange Streck e München — Innsbruck und von ei ne'f halben Stünde'für' die

98,5km lange Strecke Innsbruck-Bozen dürfte wohl auf unabsehbare Zukunft ausreichen.

Eine mit bewährten wissenschaftlichen Methoden durchzuführende echte totale V e r-kehrsanalysierung nach Art und Struktur. Dichte, Bedürfnis, Entwicklungstendenz, geographischer Richtung, Zusammenwirken mit Wasser- und Luttverkehr und dg], zwecks Feststellung des auf eine Schnell- und Massenflachbahn entfallenden Gesamtverkehrsanteils würde bestimmt für die Brenner -Linie (München-Verona) hinsichtlich ihrer Haupteinzugsgebiete aus dem hohen und mittleren Norden und Osten sowie Süden ebenso hochinteressante ermutigende Ergebnisse liefern wie analog hinsichtlich der westlich gelegenen Gebiete für die St.- Gotthard -Linie (Basel—Mailand).

Was nun.hinsichtlich eines derart gigantischen Projektes die nicht minder gigantischen Kosten und damit die Aussichten auf Verwirklichung betrifft, kann der Blick und alle Hoffnung nur auf ein sich einigendes, integrierendes Europa gelenkt1 werden. Oesterreich und erst recht Tirol wird und kann von sich aus an eine Bauverwirklichung niemals denken; denn Hauptnutznießer und deshalb auch Hauptbeitragende müßten immer unsere nächsten und weiteren Nachbarn im Norden und Süden sein.

Nur eine d u r c h g r e i f e'nd e A n I a g e n-verbesserung wird den Hauptanteil am europäischen Schnell- und Massen-Nord-Süd-Verkehr anziehen und damit einen durchschlagenden, konkurrenzlosen Erfolg bringen. Die technische Realisierbarkeit ist auf jeden Fall gewährleistet. Die Anlegung von Schrägschächt.en aus 'tief eingeschnittenen Tälern (Stubai-, Gschnitz-, Pflersch-, Ridnaun- und Ratschingstal) zur Trasse des Alpenhaupttünnels wird wesentlich die Baudurchführung erleichtern, verbilligen, abkürzen. Wie aber schon eingangs angedeutet, ist die entscheidende Mitsprache des Wirtschaftlers, Politikers und Finanzfachmannes ebenso erforderlich wie die des Technikers und Geologen, vor allem aber ein echtes europäisches Gespräch, dem ganz Europa als voll zu nehmender Wirtschaftsraum zugrunde gelegt wird.

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