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Provinz Bozen allein nicht „lebensfähig“?

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Die Südtiroler Abgeordneten haben in der Kammersitzung in Rom am 4. Februar eine Gesetzesvorlage eingebracht: „Aenderung der Artikel 116 bis 131 der Verfassungsautonomie für Südtirol.“ Der Gesetzesentwurf enthält 40 Artikel und soll noch eingehend behandelt werden.

Man hat italienischerseits gegen die Bildung einer eigenen Provinz Bozen mit eigenem Statut hauptsächlich zwei Einwendungen.

1. Wenn Südtirol eine eigene Autonomie hat, würden sämtliche dort lebenden Italiener sofort ausgewiesen; Südtirol wäre somit so etwas wie eine Republik in der Republik („republichetta nella republica“). Dazu ist zu sagen: Die Zuwanderung in die italienischen Städte ist an ein eigenes Gesetz gebunden. Die Stadt Triest beispielsweise lehnt es strikte ab, slawische Arbeiter aufzunehmen. In Bozen dagegen ist das Gesetz anscheinend nicht anzuwenden: man

verschanzt sich dort immer hinter der „demokratischen Linie“, die jedem Staatsbürger volle Bewegungsfreiheit zugestehe.

2. Man behauptet auf italienischer Seite, daß Bozen allein, ohne Provinz Trient, wirtschaftlich nicht lebensfähig sei.

Auch diese Einwendung ist durch die Daten aus dem amtlichen statistischen Jahrbuch (1955) zu widerlegen. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche in der Provinz Bozen beträgt 708.5 50 Hektar, hiervon sind Grasboden 5,45 Prozent, Wald und Forstwirtschaft 1,63 Prozent, während sich das übrige auf Weingärten, Obstbau und Getreidebau verteilt. An Weizen wurden in der Provinz Bozen im Jahre 1955 produziert 47.800 Meterzentner gegenüber 148.700 Meterzentner in der Provinz Trient. Weitaus größer ist jedoch in der Provinz Bozen der Roggenbau mit 135.200 Meterzentner gegenüber 13.400 Meterzentner in der Provinz Trient. An Gerste erzeugte Bozen jährlich 25.650 Meterzentner gegenüber 21.450 Meterzentner in der Provinz Trient. Anders liegt die Sache bei Mais und Kartoffeln. Während die Provinz Trient jährlich 336.900 Meterzentner Mais erzeugt, beträgt die Erzeugung in der Provinz Bozen lediglich 76.400 Meterzentner. Auch an Kartoffeln erzeugt Trient jährlich 1,012.300 Meterzentner,

Bozen nur 477.500 Meterzentner.

Damit ist jedoch nicht gesagt, daß die Provinz Bozen „nicht lebensfähig“ wäre. Die Provinz Trient ist zwar mehr als doppelt so groß wie die Provinz Bozen, die Produktionsziffer in Bozen aber liegt, gemessen an Größe und Bevölkerungszahl, dagegen fast doppelt so hoch wie in Trient. Zwar wurden an Trauben in der Provinz Bozen nur 418.900 Meterzentner gegen 702.200 Meterzentner in Trient und an Wein 302.500 Hektoliter gegenüber 665.900 Hektoliter in Trient produziert. An A e p f e 1 n aber liegt Bozen mit 726.000 Meterzentner vor Trient mit 326.000 Meterzentner. Ebenso ist die Aprikosen ernte in Bozen mit 2200 Meterzenter weitaus größer gegenüber Trient mit nur 400 Meterzentner. Birnen wurden hingegen in Trient mehr erzeugt mit 3 56.100 Meterzentner gegenüber 345.700 Meterzentner in Bozen. Ebenso wurden P f i r s i c h e in der Provinz Trient 4050 gegenüber 28 50 Meterzenter in der Provinz Bozen geerntet. Ein großer Unterschied trifft auch die Pflaumenernte mit 27.400 Meterzentner in der Provinz Trient gegenüber 1700 in der Provinz Bozen.

Für die Agrarwirtschaft maßgebend ist die Futtererzeugung, die in der Provinz Bozen 4,827.600 Meterzenter gegenüber 3,852.300 Meterzentner in Trient betrug. Auch die bebaute Grasfläche ist in Bozen mit 485.100 Hektar gegenüber der Provinz Trient mit 227.600 Hektar größer. Dementsprechend sind auch die Zahlen in der V i e h w i r t-schaff. In der Provinz Bozen wurden gezüchtet: 65.269 Meterzentner Lebendgewicht oder 44.065 totes Gewicht gegenüber 3 5.668 Meterzentner Lebengewicht oder 23.591 Meterzentner

totes Gewicht in Trient. Fast das Doppelte betragen auch die Pferde in der Provinz Bozen mit 3086 gegenüber 1570 in Trient. Die Schweinezucht belief sich in Bozen auf 32.215 gegenüber 25.454 in der Provinz Trient. Ziegen gab es in Bozen 2692 gegenüber 3187 in der Provinz Trient, Schafe 5097 gegenüber 6228 in der Provinz Trient. Merkwürdigerweise beträgt jedoch die Wollerzeugung in der Provinz Bozen 89.510 Kilogramm, während in der Provinz Trient lediglich 58.820 Kilogramm Wolle erzeugt wurde!

Diese amtlichen Ziffern beweisen, daß die Entgegnung der Italiener, Bozen allein sei nicht lebensfähig, nicht stichhältig ist.

Hingegen ist die Verteilung der Arbeiter auf die einzelnen Provinzen „eindeutig“. In Bozen befinden sich allein in der Industriezone (im Jahre 1955) 12.000 Arbeiter und in den Monte-Catini-Werken in Meran über 4000 Arbeiter, wozu noch die Arbeiter der Laaser-Marmor-brüche kommen mit rund 300 Arbeitern, wovon

insgesamt 99,5 Prozent Italiener sind. In der Provinz Trient sind lediglich in Trient selbst 8000 Arbeiter und in Rovereto 5000 Arbeiter beschäftigt, während der Rest auf kleine Unternehmungen in der ganzen Provinz Trient verteilt ist. Wir haben bereits in der Nummer vom 11. Jänner 1958, Nr. 2, darauf hingewiesen, daß die Beschäftigungszahl in der Provinz Bozen in keiner Weise dem Verhältnis der Bevölkerung entspricht. In der Provinz Bozen befinden sich noch immer 70 Prozent Deutsche, während die Zahl der deutschen Beschäftigten kaum sieben Prozent einschließlich Beamter, Lehrer und Arbeiter erreicht. Und hier dürfte wohl das größte Hindernis einer eigenen autonomen Provinz Bozen liegen, nämlich in der Furcht der Italiener, eine gerechte Verteilung der Arbeitsstätten für Arbeiter und Angestellte zugestehen zu müssen.

Dies möge bei den kommenden Verhandlungen zwischen Oesterreich und Italien nicht vergessen werden.

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