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Auf Sprachspuren der Geschichte Die Zimbem in Oberitalien

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Nördlich von Verona und östlich des Gardasees findet man, wenn man von der Hauptdurchzugsroute abweicht, eine Reihe von Ortschaften, wo die Bevölkerung einen eigenartigen deutschverwandten Dialekt spricht. Eine kleine Volksgruppe, die in den Sieben und den Dreizehn Gemeinden auf den Hochebenen von Asiago und Lessina, in Lusern und im Fersental lebt, hat sich bis in die heutigen Tage ihr „Zimbrisch-Tautsch“, ein letztes Relikt eines an das Althochdeutsche anklingenden Sprachgutes, erhalten. Diese „Zimbem“, wie sie sich nenften, sind für Kulturhistoriker und Sprachforscher, für Ethnologen und Volkstumsfreunde gleichermaßen interessant. In einer auch durch die bergige Landschaft bedingten Isolation hat sich bei den Zimbem ein eigenständiges Brauchtum entwickelt und bewahrt. Wenn man die Menschen reden hört, so werden auch für den Laien theoretisch-graue Reminiszenzen aus dem Deutschunterricht dem Wortsinn nach zu einem Erlebnis, begegnet er doch in dieser zimbrischen Sprache einem lebendigen Kulturdenkmal.

Die zwei Hauptdialekte des „Zimbrisch-Tautsch“ sind das „Toitzes Gaprecht“, das in den Sieben Gemeinden, und das „Taurias Gareida“, das in den Dreizehn Gemeinden gesprochen wird. Häufigkeit und Verbreitung der Dialekte sind unterschiedlich, zum Teü ist das Zimbrische nur mehr Haussprache, die vorwiegend von den älteren Leuten gesprochen wird. In den Sieben und den Dreizehn Gemeinden leben etwa 30.000 zimbrisch sprechende Einwohner. In Giazza und Lusern, das von den Sieben Gemeinden aus kolonisiert wurde, ist das „Zimbrisch-Tautsch“ am besten erhalten. Interessant ist auch, daß für die Zimbem ihr Dialekt zugleich die Hochsprache ist.

Versucht mein, die Spuren der Zim- bern geschichtlich zurückzuverfolgen, so bleibt noch manches im Dunkeln. Bei der Erklärung ihrer Herkunft ist man hauptsächlich auf Theorien angewiesen. Die durch die Namensgleichheit naheliegende Verbindung zu den Cimbern des Marius wurde von der Wissenschaft einstwei-

Mentalität dieses zähen Völkchens, das seine Eigenart, sein Brauchtum und seine Sprache allen Einflüssen zum Trotz bis in die heutige Zeit gerettet hat, lassen sich wohl am besten aus der Geschichte seiner Bauemrepubli- ken im Mittelalter ablesen. 1310 wurde in den Bergen von Vicenza die Republik der „Siben Kamäun“ ausgerufen. Um 1326 formieren sich in den Dreizehn Gemeinden die dortigen deutschen Orte zum „Cansiglio Terra Cim- bra“ (Rat der zimbrischen Gemeinden). Vorbild für diese Republiken war der Oberitalienische Städtebund.

Nebst selbstständiger Verwaltung besaßen die Zimbem auch eine Reihe von Sonderrechten seitens Venedigs, Vincenzas und Veronas, die in der Befreiung von Abgaben, Mauten und Auflagen, in der Zollfreiheit oder in Weiderechten auf südlichem Weideland bestanden. Bis in die österreichische Zeit hinein hatten sie eine freie

Zimbern Mitglied der „Föderativen Union europäischer Volksgruppen“, die sich mit der Herausgabe eines Sprachenatlas beschäftigt.

Die wissenschaftliche Zeitschrift „Taurias Gareida“ informiert über sprachliche und historische Probleme des Zimbrischen. Ein zimbrisches Gesangsbuch ist geplant, das die Volkslieder der Zimbern sammeln soll. Eine zimbrische Grammatik wurde neu aufgelegt.

An all diesen Aktivitäten beteiligt sich auch sehr eifrig der vor zwei Jah-

ren in Wien gegründete Verein „Terra Cymbria - Freunde der Zimbern“ mit Sitz in Horn, der vor allem in finanzieller Hinsicht die zimbrischen Sprachinseln zu unterstützen trachtet Dabei geht es nicht nur um die Erhaltung der Sprache, sondern darum, den zimbrischen Menschen in seiner Selbstbehauptung zu stärken. Auf diese Weise will man auch die Landflucht der überwiegend, bäuerhchen Menschen eindämmen, die sich in den Städten einen höheren Lebensstandard erhoffen. So intensiviert man den Schulunterricht in zimbrischer Sprache. Der italienische Rundfunk bereitet Lokalsendungen in zimbrischer Sprache vor.

Kulturinstitute bemühen sich um die Erforschung und Dokumentation des Zimbrischen. Ihre Gründung geht auf eine Initiative des italienischen Staates zurück. Hilfsaktionen kommen auch von Österreich und Bayern. Im Rahmen der Städtefreundschaft München-Verona wurde ein zimbri- sches Kuratorium gegründet, das finanzielle Unterstützung leistet.

Woher diese Großzügigkeit? Hier kämpft eine ethnisch-sprachliche Minderheit um ihr Weiterbestehen, um offizielle Anerkennung ihrer Sprache und erfährt von verschiedenen Seiten aktive Unterstützung. Der Umstand und Hauptgrund ihrer Eigenständigkeit, ihre Sprache, ist bereits von „historischem“ Interesse und ohne politische Bedeutung. So kommt es zu einem Wetteifern zwischen Italienern, Österreichern und Bayern, als Ursprungsland der Zimbern gelten zu können. Wie man sieht, können Minderheitenprobleme auch anders gelöst werden.

Als wichtiger Beitrag zur Revitalisierung des Zimbrischen und auch als Dokument der geschriebenen Sprache wurde nun vom Verein „Terra Cymbria-Freunde der Zimbern“ der „Kleine Zimbrische Katechismus“ herausgegeben, eine Art Glaubenslehre in Form eines Zwiegespräches zwischen Lehrer und Schüler. Dreizehn Lektionen behandeln die wichtigsten Fragen des christlichen Glaubens.

Die Worte des Katechismus verraten die tiefe Religiosität und Sicherheit des Glaubens, die für die Zimbern als innerer Halt mit eine Möglichkeit war, ihre völkische Eigenständigkeit so standhaft zu bewahren. Der älteste zimbrische Katechismus wurde 1602 įn Padua gedruckt, di,e Vorlage des jetzt nep aufgelegten, stammt von 1813. Dieser Katechismus, viersprachig - in den beiden Hauptdialekten, in Deutsch und Italienisch - abgefaßt, konnte nur mit großzügiger Unterstützung der Deutschen und der österreichischen Bischofskonferenz,

des Unterrichtsministeriums, der Niederösterreichischen Landesregierung und privater Gönner vom Verein fertiggestellt werden. Nun soll er als Geschenk an die zimbrischen Kulturinstitute in Roban, Ljetzan und Lusern (Roana, Giazza und Lusema) verteilt und zum Schulunterricht eingesetzt werden. Mit seinem zeitlosen Inhalt ist er, wie die Herausgeber betonen, eine Lebenshilfe für die jungen Zimbern und zugleich ein Beitrag zur friedlichen Völkerverständigung.

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