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Trient

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Das Urteil im Trienter Karabinieri- prozeß hat eine Kettenreaktion ausgelöst, deren Bedeutung nur dann im rechten Maß sichtbar wird, wenn wir dieses Urteil selbst als Produkt einer fatalen Reihe, gewoben aus Fehlern und Schuld, sehen. Lange bevor sich die Schranken des Gerichtshofes schlossen und öffneten, waren mit offenem Visier gegenübergetreten: Italiener, die in jedem staatspolitischen Vergleich Roms mit den ,.Barbaren in Oberetsch” einen Staats-, Hoch- und Landesverrat sehen, und Extremisten deutscher Zunge (weit über die Brenner-Grenze hinaus), die an ihrem Dogma festhalten: es gibt mit den „Welschen kein gütliches Zusammenleben, keine Tischgemeinschaft, kein Connubium”.

Die beiden Todfeinde stimmen überein und arbeiten (faktisch) zusammen in dem leidenschaftlichen und zähen Bemühen, immer neue Fakten zu setzen, die eine radikale „Endlösung” vor- bereiten sollen. Parallelphänomene sind in diesem Sinn: Terroraktionen und Anschläge, und in Presse, Administration, in Propaganda und Praxis vorgetragene Aktionen, die auf eine „Liquidierung” der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols abzielen.

Weit hinaus und selbst jenseits dieser radikalen Superitaliener unzweifelhaft nichtdemokratischer Herkunft gibt es jedoch in Italien ein eigentümliches Staatsbewußtsein, das überaus sensibel auf jede „Beleidigung” reagiert: für den Historiker nicht unverständlich bei eWr Nation, die in mehr als tausend Jahren so viele fremde Herren und Herrschaften im Land stehen sah. Für dieses italienische Staatsgefühl ist der Karabiniere fast ein Mythus: wer an seine „Ehre” rührt, rührt an Italiens Würde und Selbstbehauptungswillen.

Angesichts dieser Sachlage stellt sich von selbst die Frage ein — und sie ist in ernstzunehmenden italienischen Kreisen auch gestellt worden: War die italienische Regierung nicht schlecht beraten, indem sie diesen Prozeß durchführen ließ, von dem sie auf jeden Fall ungute Folgen befürchten mußte7 Eine Niederschlagung des Prozesses gegen die Karabinieri hätte dies zur guten Folge haben können, ja bereits impliziert: die Nichtdurchführung der Prozesse gegen einen Großteil der jetzt in Mailand ihren Prozeß erwartenden Südtiroler. Eine Beschränkung der politischen Justiz auf wirklich kriminelle Verbrechen: und ein Verzicht, Vergangenes zu berühren, wenn man sich zu schwach weiß, es rechtlich zu liquidieren. In diesen beiden Maximen sehen wir den einzigen Ausweg aus dem Teufelskreis.

Die Südtiroler Volkspartei und die „Dolomiten” haben inzwischen die Innsbrucker Ausschreitungen vor dem italienischen Konsulat und die neuen Anschläge in Südtirol genauso öffentlich verurteilt wie sie gegen das Urteil von Trient entschiedene Front gemacht haben.

Vernünftige an die Front: an die Front des Menschen! Die Unvernunft der Unvernünftigen, die große Internationale der ewig Gestrigen selbst fordert uns heraus. Wir gäben uns selbst auf, ließen Land und Volk in Stich hier und in Südtirol, wenn wir diese Provokation nicht positiv bewältigen. Rom, Bozen, Wien: sie werden sich sprechen und treffen müssen, nach Trient, nach Mailand. Vielleicht zunächst am besten — alle drei — am Rand einer großen weltpolitischen Reunion, wie etwa einer UNO-Versammlung: es tut Rom, Bozen, Wien gur. neben „ihren” Sorgen auch die großen Sorgen und Nöte anderer Völker zu sehen: um im Blick auf eine Welt in gigantischen Prozessen die rechte Optik für die heimischen Verhältnisse zu gewinnen.

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