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Bleiben und Gehen

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Option in Südtirol, Vertreibung aus dem Baltikum, griechisch-türkischer Bevölkerungsaustausch waren unter anderem Thema der Bozener Tagung „Verfemt, verfolgt, vertrieben“.

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Option in Südtirol, Vertreibung aus dem Baltikum, griechisch-türkischer Bevölkerungsaustausch waren unter anderem Thema der Bozener Tagung „Verfemt, verfolgt, vertrieben“.

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„Verfemt, verfolgt, vertrieben“: vom 16. bis 19. November wurde in Bozen „Rückbesinnung auf europäische Tragödien“ in diesem Jahrhundert gehalten. Veranstalter war der Sender Bozen der RAI, Anlaß zur internationalen Tagung die 50. Wiederkehr der Option, jener grausamen, von Hitler und Mussolini ausgehandelten Entscheidung, vor die die Südtiroler damals gestellt wurden: sich zu entscheiden entweder fürs Abwandern in ein nicht näher festgesetztes Gebiet des Dritten Reiches und damit für die Aufgabe der Heimat oder fürs Dableiben in einer Heimat, in der kein einziges Wort mehr in der Muttersprache gesprochen werden durfte, ausgeliefert dem faschistischen Entnationalisierungsdruck. Damals entstand eine tiefe Kluft zwischen den Gehern, den „Optanten“, und den Bleibem, eine Kluft, die häufig mitten durch die Familien, immer und auf jeden Fall durch die Gemeinschaft, durch die Dörfer ging und auch heute noch - 50 Jahre danach - keineswegs ganz überwunden ist.

Die Option in Südtirol: eines von vielen Beispielen einer Umsiedlung über die Köpfe der betroffenen Bevölkerung hinweg, aber nicht das einzige und sicher auch nicht das schlimmste. Aus diesem Grund wurde nicht nur „Rückbesinnung“ auf die dramatischen Ereignisse vor 50 Jahren gehalten, sondern wurde der Blick auch über die Grenzen gerichtet und über andere europäische Tragödien von Umsiedlung, Aussiedlung, Flucht, Vertreibung und Vernichtung berichtet und diskutiert. Von den Juden bis zum türkisch-griechischen Bevölkerungsaustausch, von den Sudetendeutschen bis zu den Volksgruppen im Baltikum, von den Rumänien-und Ungarndeutschen bis zu Italienern in Istrien war die Rede.

Nicht „Gericht wollte man halten“ - so der Tagungsverantwortliche Franz von Walther in seiner Begrüßung - „über vergangenes Verschulden und Versagen, auch nicht Unrecht gegen Unrecht aufrechnen und womöglich alte Rechnungen präsentieren, um alte Gehässigkeiten neu anzufachen, sondern vielmehr mit der eigenen Vergangenheit ins reine kommen. Das stets berechtigte Erinnern an selbst erlittenes Unrecht muß einhergehen mit der freimütigen Untersuchung eigenen Fehlverhaltens und mit dem Gefühl der Solidarität und mit dem Verständnis für andere Völker und Volksgruppen, die ebenfalls Unrecht, ja oft viel größeres strickung, politische und menschliche Leidenschaften, Hilflosigkeit und Demagogie, aber auch - freilich spärlich gesät - Hausverstand, Warmherzigkeit und Solidarität.

Brandauer und Mitterer waren, selbst davon bewegt, behutsam an die Tragödie der faschistischen Unterdrückungspolitik in Südtirol, die anschließende Option und das Kriegsende herangegangen, darum bemüht, nicht als Richter aufzutreten, ganz im Sinn der von Franz von Walther (RAI Bozen) ausgegangenen Idee. In Ko-Produktion mit dem NDR, RAI Bozen und RAI UNO

Unrecht erlitten haben.“

Drei Initiativen ergänzten diese Zielsetzung: eine große Ausstellung des Tiroler Geschichtsvereins (Sektion Bozen) zur Option, deren rund 1.000 Eröffnungs-Besucher das große Interesse für die Ereignisse von damals unterstrichen; die Erstaufführung einer zweistündigen Fernsehdokumentation über die Option und die Voraufführung des zweiteiligen Spielfilms über die Option. „Verkaufte Heimat“ war am 22. beziehungsweise 25. November auch im österreichischen Fernsehen zu sehen.

„Verkaufte Heimat“ löste deutlich spürbar innere Anteilnahme aus und wurde zum großen Erfolg für die Regisseurin Karin Brandauer und den Drehbuchautor Felix Mitterer. Hier wurde auf die Leinwand gebannt, worüber drei Tage lang auf der Tagung diskutiert und referiert wurde: schuldhafte Verwar der ORF federführend, sind eine deutsche und eine italienische Fassung entstanden.

Ob vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse der Film nicht manchmal zu „schön“, am Rand des Kitsches angesiedelt ist, etwa wenn der heimatlos gewordene Südtiroler Bergbauer am fremden mährischen Hof stirbt oder etwa in den letzten Bildern des Happy Ends, darüber läßt sich streiten. Unbestreitbar bleibt, daß der Film nicht nur bewegt, sondern auch die ungeheure Vielschichtigkeit der damaligen Situation verständlich macht.

Insofern liegt der Film genau auf jener Linie, die Landeshauptmann Luis Durnwalder in seiner Eröffnungsrede über „Heimatrecht, Volksgruppenschutz und Freizügigkeit“ aussprach: „Völlig untauglich sind abstrakte Vereinfachungen, die der Unkenntnis oder der unzureichenden Einfühlung in die unterschiedlichen Erfordernisse und Empfindlichkeiten der einzelnen Volksgruppen entspringen. Vereinfachungen tragen eher dazu bei, Konflikte zu verschärfen, als sie zu verringern.“

Österreichs Wissenschaftsminister Erhard Busek - einer der Tagungsreferenten - rief ähnlich wie Landeshauptmann Durnwalder dazu auf, aus der Geschichte zu lernen, sie anzunehmen: sie sei der „Reichtum Europas, das Gedächtnis der Nationen“. Als vier „Orientierungspunkte“ - Patentrezepte habe er nämlich keine - nannte Busek: die Vielsprachigkeit als Voraussetzung für gute europäische Lösungen; mehr Möglichkeiten für die Bindungskraft der Kultur; das Anderssein in Europa fördern, nicht das Gleichsein und schließlich -christlich formuliert - „sperare contra spem“, „die Hoffnung gegen die Hoffnung“ haben oder - marxistisch - das Prinzip Hoffnung nach Bloch in den Vordergrund stellen. Die Tagung in Bozen und der Spielfilm in diesem Sinn haben einen Beitrag geleistet.

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