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„Bin weder allwissend noch ein Wunderwuzzi"

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Österreichs Steuerzahler haben sich zu früh gefreut. Schon wieder sorgt die mit Milliardenaufwand angeblich sanierte verstaatlichte Industrie für negative Schlagzeilen. Für den Aluminiumkonzern AMAG wurde der Finanzbedarf für die nächsten Jahre mit zehn Milliarden Schilling beziffert. Der „Schrek-ken ohne Ende" rund um die Verstaatlichte wird somit prolongiert.

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Österreichs Steuerzahler haben sich zu früh gefreut. Schon wieder sorgt die mit Milliardenaufwand angeblich sanierte verstaatlichte Industrie für negative Schlagzeilen. Für den Aluminiumkonzern AMAG wurde der Finanzbedarf für die nächsten Jahre mit zehn Milliarden Schilling beziffert. Der „Schrek-ken ohne Ende" rund um die Verstaatlichte wird somit prolongiert.

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FURCHE: Herr Minister, wie konnte die Verstaatlichte in dieses Desaster schlittern?

MINISTER VIKTOR KLIMA: Die Sache mit der AMAG ist ein Desaster, das stimmt. Aber man kann doch bitte nicht sagen, daß die anderen Unternehmungen schlecht sind. In der Austrian Industries sind insgesamt 170 Unternehmen konsolidiert und nur ein Unternehmen daraus - das zugegeben eine hohe Bedeutung hat - befindet sich in einer krisenhaften Lage.

Vorige Woche zum Beispiel wurde die Aktien-Emission der VOEST-Al-pine Eisenbahnsysteme AG vorzeitig geschlossen, weil die Aktien schneller weggegangen sind als erwartet - so ein hervorragendes Unternehmen ist das. Auch andere Bereiche sind gut. Die Stahlgesellschaft etwa liegt mit ihrer Produktivität nach Thyssen an zweiter Stelle in Europa. Schauen Sie sich die italienische Stahlbranche an, der es miserabel geht. Wenn der Stahlbereich bei uns 500 Millionen Minus macht heuer, dann ist das im Vergleich mit anderen durchaus ein akzeptables Produktionsergebnis. Natürlich sind auch dort, wie in jedem Betrieb, noch Rationalisierungen möglich.

Schauen Sie sich vergleichbare Industriebetriebe in Europa an. Auch dort gibt es Unternehmensbereiche, denen es schlecht geht. Würden Sie die ÖMV für schlecht halten, nur weil dort die Petrochemie heuer ein Minus von einer Milliarde schreibt? Die Petrochemie hat europaweit ein Tief.

FURCHE: Ist das eine ausreichende Erklärung dafür, daß die AMAG am Rande des Abgrundes steht?

KLIMA: Wir haben eine schwieri-' ge Aluminiumzeit zu überdauern...

FURCHE: Das Problem hat die Konkurrenz auch...

KLIMA: Die AMAG hat auch das Problem, durch eine engagierte Inve-stitions- und Akquisitionspolitik zu weit gegangen zu sein. Jetzt ist sie von der Kapitalkraft her ausgezehrt und kann aus eigener Kraft die schwierige Zeit nicht überdauern. Die anderen haben mehr Geld in der Kasse...

FURCHE: Das Management hat offensichtlich die Entwicklung falsch eingeschätzt. Was können Sie von den Herren noch erwarten?

KLIMA: Mir geht es in erster Linie um das Unternehmen und nicht um Vergeltung am Management. Wenn Sie mir den Wunderwuzzi bringen, der jetzt um vieles besser wäre in dieser Funktion, dann ist die Frage berechtigt, ob man die Führung austauscht. Aber die ganze österreichische Presse würde aüfheulen.wenn ich jetzt sage, der Herr Apfalter muß weg. Der Aufsichtsrat hat dem bestehenden Vorstand das Vertrauen ausgesprochen. Und in diesem Auf sichtsrat sitzt nicht nur der Herr Sekyra, sondern dort sitzen auch andere anerkannte Leute der Wirtschaft. Ich werde doch nicht gegen den Willen des Auf sichtsrates das Management feuern. Da wäre ich schön blöd.

Und andererseits wäre es auch für das Unternehmen schädlich, wenn der Aufsichtsrat sagen würde, jetzt hätte die AMAG jenen glänzenden Wunderwuzzi gefunden, den sie braucht. Nur müsse der sich jetzt eineinhalb Jahre einarbeiten und deshalb könne man die nötigen Sanierungsschritte nicht machen.

FURCHE: Gibt es einen solchen Wunderwuzzi?

KLIMA: Wenn es ihn gäbe, hätte man Grund, über Alternativen nachzudenken. Aber aus heutiger Sicht kann ich nur sagen, als Politiker wäre ich schlecht beraten, mich gegen die Empfehlungen des Aufsichtsrates auszusprechen.

FURCHE: Werdendie AM AG-Manager den Milliardenverlust ihres Unternehmens somit „überleben"?

KLIMA: Ich bin nicht der Gutachter, der jetzt prüft, ob zwei Vorstandsmitgliedern eine Entlassung zu erteilen ist oder nicht. Ich werde mich hüten, das können Sie mir glauben, denn ich bin kein Aluminiumspezia-list. Wenn ich den Eindruck erweckt habe, ich bin ein Wunderwuzzi, der über alles Bescheid weiß, dann ist das falsch. Seit acht Monaten weiß ich, daß Politiker nicht allwissend sind. Ich habe mir das sowieso schon manchesmal gedacht. Nur jetzt weiß ich es.

FURCHE: Haben Sie auch nicht zeitgerecht gewußt, worauf die AMAG zusteuert?

KLIMA: Ich habe im April gewußt, daß das Unternehmen operativ schlecht sein wird. Ich habe daraufhin einen Sanierungsplan in Auftrag gegeben, der im Juni vorgelegt wurde. Wenn in der Zeitung steht, vier Milliarden Schilling muß die AMAG an Wertberichtigungen machen, dann werden viele Österreicher das nicht verstehen...

FURCHE: Sie meinen, daß Wertberichtigungen keine realisierten Verluste sind?

KLIMA: Das scheint man in den Zeitungen nicht zu wissen. 1,8 Milliarden Schilling sind operativer Verlust (Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit, Anm. d. Red.). Den kann man wirklich abschätzen. Aber wenn der Aluminiumpreis morgen steigt, dann hat die AMAG überhaupt keine Wertberichtungen. Aber das geht in die österreichischen Köpfe nicht hinein. Das ist zu schwierig, und daher verstehen das meine Politikerkollegen auch nicht.

FURCHE: Wie weit sind Sie mit dem geplanten Verkauf der ÖMV, dessen Erlös ja zur Verlustabdeckung der AMAG dienen soll? Zuletzt hieß es, der Iran habe Interesse gezeigt.

KLIMA: Ich kann nur sagen, daß ich mit einigen kompetenten Leuten über eine neue Eigentümerstruktur der ÖMV nachdenken werden. Erst wenn wir die Struktur und den Unternehmenstypus haben, können wir einen der Interessenten aussuchen.

FURCHE. Wer sind diese Berater?

KLIMA: Der ehemalige ÖMV-Generaldirektor Kaes sowie der langjährige ÖMV-Aufsichtsratspräsident Grünwald.

FURCHE: Hans Rauscher hat im Kurier kürzlich gemeint, man kann aus politischen Gründen die AMAG nicht sterben lassen. Die enttäuschte Arbeiterschaft würde zu Haider strömen. Wenn man bei der Verstaatlichten Entscheidungen tatsächlich unter solchen Gesichtspunkten trifft, wird sie wieder Spielball der Politik.

KLIMA: Ohne Zweifel ist der Zusammenhang gegeben, daß hohe Arbeitslosigkeit zu politischer Radikalisierung führt. Historische Erfahrungen haben das gezeigt. In diesem Sinn hat er recht. Ich möchte das aber nicht direkt auf die AMAG beziehen. Denn hier geht es auch darum, daß man eine so große Industrie nicht einfach vor die Hunde gehen lassen kann.

FURCHE: Aber genau aus diesen Gründen wird es vielleicht trotz gegenteiliger Beteuerungen vielleicht doch wieder Steuergeld für die Ver-staaatlichte geben.

KLIMA: Es wird selbstverständlich für die Verstaatlichte, wie für andere Industriezweige auch, Förderungen im Rahmen der Forschung und Entwicklung oder sonstiges geben. Es werden aber keine sonstigen Steuermittel mehr fließen. Das geht politisch nicht mehr. Auch wenn solche Entwicklungen manche Zeitungsleute wie Knackwürste ins Fenster hängen.

FURCHE: Eine andere Frage: Im SPÖ-Programm von 1978 hat die Verstaatlichte eine wichtige gesell-schafts- und strukturpolitische Aufgabe zugeschrieben bekommen. Ein Witz aus heutiger Sicht. Was wird im neuen Programm stehen, an dem gearbeitet wird?

KLIMA: Aus meiner Sicht sollte dieses Kapitel durch ein Kapitel „Industrie" ersetzt werden. Wir sollten uns mehr zu wirtschaftlichen Dingen bekennen. Aber expressis ver-bis sollten wir eine Verstaatlichte in diesem Sinn nicht mehr ansprechen. Wir sollten ein klares Bekenntnis zu einer staatlichen Industriepolitik abgeben, aber keines mehr zu einer verstaatlichten Industrie.

FURCHE: Welchen Wert würden Sie ins Zentrum der österreichischen Sozialdemokratie stellen?

KLIMA: Die Sozialdemokratie sollte das Wort Demokratie im neuen Programm fünfmal unterstreichen. Ich fühle mich momentan angesichts dieser Radikalisierung in Europa nicht besonders wohl. Das muß uns Sorgen bereiten.

Das Gespräch mit Verstaatlichtenminister Viktor Klima führte Elfi Thiemer.

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