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Digital In Arbeit

TU-Assistent mit 300 Lizenznehmern

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Siegfried Selberherr leitet die Abteilung für computergestütztes Konstruieren am Institut für Elektrotechnik. Seine Computerprogramme werden in aller Welt verwendet.

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Siegfried Selberherr leitet die Abteilung für computergestütztes Konstruieren am Institut für Elektrotechnik. Seine Computerprogramme werden in aller Welt verwendet.

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FURCHE: Sie sitzen auf einem Assistentenposten an der Wiener Technischen Universität und ha-,ben 300 Lizenznehmer in aller Welt. Wie ist das möglich?

SIEGFRIED SELBERHERR: Ich habe hier mein Dissertationsstudium mit einem Thema begönnen, das grundsätzlich interessant erschien, aber ohne österreichische Industrie im Hintergrund. Ich habe im Rahmen meiner Dissertation ein Computerprogramm geschrieben, und zu meiner Uber-raschung hat sich herausgestellt, daß sich diese Arbeit international sehr bewährt.

FURCHE: Worum geht es?

SELBERHERR: Um die zweidimensionale Simulation des elektrischen Verhaltens miniaturisierter MOS, also Metalloxydhalbleiter, heute die wichtigsten Bauelemente der modernen integrierten Elektronik.

FURCHE: Ihr Programm spart Zeit und Geld bei der Entwicklung neuer Chips?

SELBERHERR: Richtig.

FURCHE: Wie wird das Computerprogramm eines österreichischen Dissertanten zum Welterfolg?

SELBERHERR: Ich war damals sehr glücklich, wenn jemand an meiner Arbeit Interesse hatte, und entschloß mich, dieses Programm jedem Interessenten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.

FURCHE: Absolut umsonst?

SELBERHERR: Ich habe mich vor allem mit dem akademischen Inhalt meiner Arbeit identifiziert und fand, wenn das die Halbleiterindustrie brauchen kann, ist es eine Ehre für mich.

FURCHE: Wie setzte sich das Programm so schnell durch?

SELBERHERR: Die Halbleiterfirmen können es sich gar nicht leisten, wenn jemand so etwas anbietet, es nicht zu testen. Noch dazu, wenn keine finanziellen Forderungen und formalen Schwierigkeiten damit verbunden sind. Ich hatte keine Hintergedanken, als ich mich zum Verzicht auf einen kommerziellen Ertrag entschloß, aber hinterher zeigte sich, daß dies die Durchsetzung sehr gefördert hat. Es war vielleicht taktisch sogar der einzige Weg, von einer österreichischen Universität aus mitzuhalten. Anderenfalls hätte die Halbleiterindustrie wohl skeptisch reagiert, da ja kein industrieller Rückhalt da ist. Das Testen eines neuen Softwareprodukts ist ja eine große Arbeit.

FURCHE: Wie wurde der Kontakt mit den Firmen hergestellt?

SELBERHERR: Man publiziert in Zeitschriften mit „Review“-System, anonyme „Reviewer“ zerpflücken die Arbeit, decken Schwachstellen auf, dann wird publiziert. Meine Gruppe hier an der TU ist sehr erfolgreich damit, wir machen etwa 40 pro Jahr.

FURCHE: Wie schnell reagierte die Industrie auf Ihre erste Veröffentlichung?

SELBERHERR: In drei, vier Monaten forderten alle wesentlichen Hersteller das Produkt an, Texas Instruments, Japaner wie Toshiba, Hitachi, Sony, die wesentlichen europäischen Hersteller, womit ich als kleiner Assistent natürlich überhaupt nicht gerechnet hatte. Es wurde für konkurrenzlos bezüglich seiner Eignung zur Entwicklung moderner integrierter Schaltungen angesehen.

FURCHE: Gibt es neue Entwicklungen?

SELBERHERR: Wir haben drei neue Produkte zur Verfügung gestellt, verwendet werden sie von den USA bis Brasilien, von Schweden bis Kuwait und Indien.

FURCHE: Sie sind Assistent mit zwölf eigenen Assistenten. Wie wird das finanziert? ,r SELBERHERR: Wenn eine Firma einen Erfolg mit dem erzielt.

was wir zur Verfügung stellen, können wir im allgemeinen mit einer Gerätespende rechnen, öder man finanziert uns einen Assistenten, zum Beispiel auf 3 Jahre.

FURCHE: Der ist dann aber im Personalstand der TU integriert?

SELBERHERR: Selbstverständlich. Hier wird niemand reich, aber meine Mitarbeiter bekommen extrem gute Angebote, also, die sind erschreckend hoch. Und ich will, daß sie weggehen. Ich will niemanden länger als drei bis vier Jahre halten. Er soll durch extrem harte Arbeit in einer f unktionierenden Gruppe eine hervorragende Dissertation machen und so den Einstieg schaffen in die internationale Mikroelektronik-Szene. Vor einem Jahr sind zwei meiner Leute zu General Electric gegangen mit einem Anfangsgehalt von 55.000 Dollar im Jahr. Zur Zeit gehen zwei weitere weg. Und noch einer im Juli.

FURCHE: Sie haben hier einen hohen apparativen Aufwand?

SELBERHERR: Allein von der US-Firma Digital, habe ich 1985 Gerätespenden im Wert von zehn

Millionen Schilling bekommen.

FURCHE: Bedeutet das nicht Abhängigkeit?

SELBERHERR: Wir akzeptieren keinerlei Auftrag, ich habe das Glück, mir das leisten zu können. Die Firmen können ja auch gar nicht abschätzen, was sie in zwei Jahren brauchen werden, weil sie das nötige Know-how nicht so akkumuliert haben. Ein großer Halbleiterhersteller ist mit den Problemen der nächsten Zukunft von einem halben Jahr oder Jahr so eingedeckt, daß er sich kaum mit dem befassen kann, was in fünf Jahren sein wird. Das machen'nur die ganz Großen wie IBM.

FURCHE: Auch IBM gehört zu Ihren Lizenznehmern?

SELBERHERR: IBM verwendet unsere Produkte in der Forschungszentrale in Yorktown.

FURCHE: Sie stehen also an vorderster Front in einem bestimmten Bereich, in dem es um die Entwicklung von Chips geht.

SELBERHERR: Das ist im Prinzip richtig.

FURCHE: Wie breit ist diese Front, wenn man so sagen darf?

SELBERHERR: Auf unserem Niveau, in der Prozeß- und Bauelemente-Simulation allenfalls mit Ansätzen auf der höchsten, der Systemebene, arbeiten weltweit rund hundert Teams.

FURCHE: Sie leben nur von Ihrem österreichischen normalen

Assistentengehalt ?

SELBERHERR: Richtig - das tun aber doch viele!

FURCHE: Sie reisen viel?

SELBERHERR: Sehr viel. Diese Kosten lasse ich mir refundieren, spenden, wie die Gehälter und Geräte. Aber ich will an dem, was ich mache, nichts verdienen. Auch meine Frau arbeitet...

FURCHE: Werden Ihnen nicht gut bezahlte Jobs angeboten?

SELBERHERR: Sehr gute. Aber wenn ich zu einer Firma gehe, sind die Verbindungen zu allen anderen Firmen schlagartig eliminiert. Dann bin ich nicht mehr in der ersten Reihe der Wissens-Akquisition. Weil ich Univer-sitätsmann bin, kann ich jetzt von allen Firmen Details erfahren, die dem Angestellten einer anderen Firma grundsätzlich nicht zugänglich sind.

FURCHE: Und Professuren...?

SELBERHERR: Ordinariatsangebote sind da, Massachusetts Institute of Technology MIT, von Stanford... Ich hätte mich schon mit allen meinen Mitarbeitern in die USA transplantieren lassen können.

FURCHE: Warum bleiben Sie?

SELBERHERR: Ich bin einfach stolz darauf, daß es möglich war, in Osterreich so eine Aktivität aufzuziehen, ich lasse das hier doch nicht eingehen, weggehen wäre doch fast Prostitution. Und eine Aktivität, die dazu beiträgt, daß wir in gewissen Teilgebieten konkurrenzfähig sind, ist doch wichtig.

FURCHE: Ein Assistent, der zwölf Assistenten finanziert... Wie lang geht das so weiter?

SELBERHERR: Ich bin jetzt 30. Ein gefühlsmäßiger Stichtag liegt so bei 32. Mich stört hier ja nichts, aber viel älter will ich nicht werden ohne Verbesserung meiner Infrastruktur. Ich habe kein Sekretariat, das ist eine Katastrophe.

FURCHE:Könnten Sie eine Sekretärin nicht auch noch gesponsert kriegen?

SELBERHERR: Vielleicht, wenn Sie mir sagen, wo ich sie hinsetzen soll. Auch will ich niemanden verhärmen.

FURCHE: Wie sehen Sie Österreichs Chance, in der Halbleiterindustrie Fuß zu fassen?

SELBERHERR: Es ist schwer, potentielle Firmen anzulocken, aber ich sehe wenig adäquate Schritte, das hier zu etablieren und zu festigen. Spanien hat in dieser Richtung in letzter Zeit einiges geschafft.

FURCHE: Und im österreichischen Alleingang?

SELBERHERR: Bei Null zu starten, wäre sicher nicht sinnvoll, das wäre kaum realisierbar.

Mit Dozent Siegfried Selberherr sprach Hellmut Butterweck.

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