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Die Schlappe der 1400

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„Alle Welt lacht sich schief über uns“, mutmaßt der zu neuer Ministerwürdigkeit aufgebaute Volkspartei-Arbeitskreischef für die Agenden „Verkehr und Verstaatlichte Betriebe“, Dr. Josef Taus. Sie lacht, meint der längst arrivierte „Spät-Twen“, weil sich die sozialistische Minderheitsregierung angeblich ihre industriepolitischen Absichten von einer bunt zusammengewürfelten Equipe sozialistischer Landes- und Gemeindepolitiker, Betriebsräte und Gewerkschafter diktieren läßt. Wiewohl diesem Gremium keinerlei gesetzliche und sachliche Kompetenz zukommt, beschloß es, die Regierung zu verpflichten, die am 22. Dezember

1969 im ÖIG-Aufslchtsrat beschlossene, von einem Ministerrat am 20. Jänner auf Regierungsebene sanktionierte Fusion der österreichischen Mineralölverwaltung, Wien, und der österreichischen Stickstoffwerke, Linz, wieder abzublasen. „Diese Fusion“, wußte SPÖ-Zentral-sekretär Otto Probst sogleich, „ist im Augenblick nicht durchzuführen“. Fürs erste, das scheint sicher, ist auch bei einem höchst unwahrscheinlichen SPÖ-Parteivorstands-akzept zur Zusammenführung der beiden verstaatlichten Unternehmen zu einem petrochemischen Konzern am 2. Juni diesen beiden ÖIG-Betrieben bereits eine Steuerersparnis von rund 140 Millionen Schilling entgangen. Denn nur unter der Voraussetzung einer Verschmelzung der beiden verstaatlichten Unternehmen bis zum 30. Juni 1970 hätten die Betriebe die Möglichkeit gehabt, rückwirkend mit 1. Jänner

1970 beträchtliche Steuererleichterungen des Strukturverbesserungsgesetzes in Anspruch zu nehmen. Bundeskanzler Dr. Kreisky muß, wenn er das sozialistische Wirtschaftsprogramm als Richtschnur für das industriepolitische Verhalten einer SPÖ-Regierung erdacht hat, der innerparteiliche Widerstand gegen den Fusionsbeschluß des ÖIG-Aufsichtsrates schmerzen.

Denn auf Seite 118 dieses SP-Pro-gnammes heißt es klar und deutlich: „Steigende Bedeutung für die österreichische Mineralölindustrie gewinnt die Möglichkeit, über ihren engeren Bereich hinauszuwachsen. Ein Zusammenschluß von ÖMV und ÖSW würde derartige Vorhaben erleichtern und bedeutende wirtschaftliche und technische Vorteile bieten. Die zahlreichen Berührungspunkte zwischen Erdölwirtschaft und chemischer Industrie haben in anderen Ländern vielfach zu sehr engen Bindungen, bis zu Zusammenschlüssen auf horizontaler Basis geführt.“ Nicht minder deutlich schrieben es die beiden SP-Programm-Mitarbei-ter Oskar Grünwald und Eduard März in der vom österreichischen Arbeiterkammertag und dem österreichischen Gewerkschaftsbund edierten April-Nummer der „Arbeit und Wirtschaft“: „Durch die Fusion von ÖMV und ÖSW ist nun der Weg frei für ein planvolles Vorgehen in der Pabrochemie“.

Aus diesem „planvollen Vorgehen“ dürfte jedoch nichts werden, weil es weder dem VP-regierten Land Oberösterreich noch der SPÖ-regierten Stadt Linz so gefällt: diese unheilige Allianz in Sachen Industriepolitik fürchtet sowohl Steuerausfälle als auch die Sicherheit der Arbeitsplätze. Mißt man mit der Elle der gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeit, so ist der erste Einwand zumindest kurzsichtig der zweite aber jedenfalls falsch. Denn die Zukunft der österreichischen Petrochemie dürfte eher durch eine kooperations-und koardinatiorisfreunidliche Konzentration sichergestellt sein als durch getrennte betriebliche Marschrouten auf allen Märkten: dem Geld-und Kapitalmarkt ebenso wie den in- und ausländischen Absatzmärkten.

Dort, wo man in der Sozialistischen Partei frei vom Realitätsdruck kommunaler und Gewerkschaftsinteressen spricht, also in der Experten-Riege, ist schon das Wort von der „ersten großen Schlappe“ der 1400 Fachleute gefallen. Freilich, die Volkspartei hat nicht geringe Schwierigkeiten, aus dem zu erwartenden Fusionsdebakel der SPÖ-Regierung Kapital zu schlagen. So wurde etwa eine bis ins letzte Detail vorbereitete dringliche parlamentarische Anfrage zu diesem Thema abgeblasen, als sich Oberösterreichs VP-Widerstand gegen die ÖSW-ÖMV-Fusion formierte. Fazit: Das „Spiegel-Interview“ Kreiskys mußte anstatt dessen vorletzte Woche mit halben Lungen zu einer dringlichen Anfrage aufgeblasen werden. Die politisch „heikle“ Angelegenheit der Fusion wurde dagegen auf eine schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Koren reduziert.

Ehe diese Anfrage vom zuständigen Minister Frühbauer beantwortet wird, dürften Anfang Juni im SPÖ-Parteivorstand die Würfel gefallen sein. Sie versprechen für eine kontinuierliche Entwicklung der verstaatlichten Unternehmen im allgemeinen, der Entwicklung der verstaatlichten Petrochemie im besonderen, — nichts Gutes.

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