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Kirchturmpolitik als Gesetz?

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„Den beiden Industrien des Sektors Petrochemie, Erdöl und Chemie, wird für die kommenden Jahre ein kräftiges Wachstum vorausgesagt“, erklärte Österreichs jüngstes Regie-runigsmitglied, Staatssekretär Doktor Neisser im Zusammenhang mit dem Miniisterratsbeschluß, österreichische Stickstoffwerke und ÖMV zu verschmelzen. Die Zusammenlegung der beiden für österreichische Begriffe als Großbetriebe zu bezeichnenden Industrien hatte in Linz während der Vorwahlzeit einen Sturm im Wasserglas entfesselt und neben Interventionen führender Politiker des Landes Oberösterreich und der Stadt Linz war es auch zu Betriebskonferenzen in den Stickstoffwerken selbst gekommen. Generaldirektor Dr. Buchner von der ÖSW erklärte schließlich vor oberösterreichischen Journalisten, auch wenn man an ihn als neuen Generaldirektor des Großbetriebes ÖMV—ÖSW denke, werde er keineswegs seinen Wohnsitz von Linz nach Wien verlegen. Was 190 Eisenbahnkilometer von Wien entfernt zu solcher Unruhe führte, ist international gesehen keineswegs etwas Außergewöhnliches. In der Bundesrepublik Deutschland wurden in den letzten Monaten und Jahren Industriebetriebe weit größeren Ausmaßes zusammengelegt, um sie auf dem Europamarkt konkurrenzfähig zu erhalten. Auch in Frankreich und anderen EWG-Ländern sind derartige Konzentrationen an der Tagesordnung, da man die Faust dm Nacken — in Form der Konkurrenz amerikanischer und japanischer Industrien — spürt.

.mb aJtbiwsD ab . aaeiraV rfoTiiö Ein kleiner unter Riesen

Wenn die ÖMV und die österreichischen Stickstoffwerke zusammengelegt sein werden, dürften sie noch immer nicht mit den großen europäischen und internationalen Betrieben ihrer Branche konkurrieren können, denn weder die Gesamtbilanz beider Unternehmen (6,2 Milliarden Schilling) noch das Grundkapital (1,385 Milliarden) noch die Eigenmittel von 3,767 Milliarden qualifizieren das neue fusionierte Unternehmen international als Riesen. Überdies: wenn der Ministerrat auch

in der Vorwoche die Fusion ÖMV— Stickstoffwerke beschlossen hat, so weiß man doch schon heute, daß es nicht nur wegen der Wahlen, sondern wohl auch, weil es noch vieler Detailarbeiten in der Verwaltungs-neuordnung bedarf, noch Monate dauert, bis aus zwei wirklich eins geworden ist.

Hatten sich in den letzten Wochen Landes- und Stadtpolitiker der beiden großen Parteien bei Verkehrs-minister Dr. Weiss laufend als Intervenisten gefallen, so zeigte sich, daß es dabei keineswegs allein um das Wohl oder Wehe der Angestellten und Arbeiter der ÖSW ging, sondern darum, den Steuerzahler Österreichäsche Stickstoffwerke nicht aus Linz zu verlieren. Denn, so meinte man, und Generaldirektor Dr. Buchner formulierte das klar, das Zentralbüro des neuen fusionierten Betriebes werde, wie die Alpine-Montan, in Wien liegen. Von europäischem Konzentrationsdenken, wie man es angesichts des vielleicht doch bevorstehenden Arrangements mit dem Gemeinsamen Markt erwartet hätte, und von den Vorteilen eines Großbetriebes hörte man angesichts solcher steuerlicher Kirchturmpolitik wenig.

Die ÖVP-LandesregierungsmitgTie-der, die ursprünglich bei Minister Weiss interveniert hatten, schwenkten angesichts des nahen 1. März und der überzeugenden Argumente des Verkehrsministers auf eine ProHaltung zur Fusion ein. Wie man hört, sollen dabei vor allem für den Finanzreferenten von Minister Weiss Argumente vorgebracht worden sein, die naturgemäß jegliche Überlegung anderer Art bald verblassen ließ. Denn Weiss versicherte, im Rahmen der Ausweitung der Limzer Produktion werde das Land Oberösterreich in Hinkunft sogar um 28 Millionen Schilling mehr an Steuergeldern einnehmen als bisher. Zum Unterschied von der SPÖ gab man sich daher bei der Volkspartei denn auch zufrieden, und Landesparteiobmann Landeshauptmannstellvertreter Wenzel meinte: „Wir haben das Beste für beide Teile herausgeholt. Mit der

Holdingidee konnten wir in Wien nicht durchdringen.“ Damit auch die Oberösterreicher künftighin im neuen Großkonzern entsprechend repräsentiert sind, wurden einige typisch österreichische Maßnahmen gesetzt!

• Das neue Unternehmen erhielt den 4Üamen „österreichische Mineralöl und Stickstoffwerke Wien-Linz A. G.“.

• Der Aufsichtsrat des fusionierten Unternehmens wird, obwohl die Stickstoffwerke nur halb so groß wie die ÖMV sind, zur Wahrnehmung der oberösterreichischen Interessen paritätisch besetzt.

• Bei der Personenauswahl für den Aufsichtsrat der neuen AG. wird stets mit der Landesregierung in Linz Rücksprache gehalten werden müssen.

Meint Neisser, damit sei ein weiterer Schritt zur Europareife der öster-

reichischen Industrie getan, so opponiert die SPÖ und meint, nach der ÖIG-Novelle könne ein solcher Verschmelzungsbeschluß erst dann vereinbart werden, wenn alle Einzelheiten klar seien. Die Einzelheiten aber sind keineswegs geklärt, denn sowohl ÖSW-Generaldirektor Buchner wie* sein*'Kollege von der-iöMV^ DbrnBaaUrp geklärten f mfin Pressefmagen: „Wir wissen noch nichts Genaues.“

In der Stahlindustrie wurde zur gleichen Zeit von Fusion noch herzlich wenig gesprochen. Alle Gerüchte, die es immer wieder gab, Alpine-Montan und VÖESt oder andere große Werke könnten zusammengelegt werden, wurden letzte Woche ad absurdum geführt, denn die VÖESt. legte sich selbst einen Generalstabsplan für einen Alleingang in die siebziger Jahre zurecht.

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