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Tauziehen um unser Erdöl

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Hinter den Kulissen ist in Österreich schon seit Monaten ein heftiges Tauziehen um die endgültige Orientierung der Ölpolitik des Landes im Gange. Streitobjekte sind die Frage der Pipeline Triest—Wien und die Entscheidung darüber, ob die ÖMV-Groß-raffinerie Schwechat ausgebaut oder statt dessen eine neue Raffinerie in Linz, Oberösterreich, errichtet werden spll. Dabei geht es allerdings erst in zweiter Linie um sachliche beziehungsweise Standortprobleme. Wesentlicher Hintergrund des Konflikts ist die Entscheidung, wer in den nächsten Jahren auf dem österreichischen Ölmarkt dominieren wird: die staatliche ÖMV-AG (Österreichische Mineralöl-verwaltungs-AG) oder die privaten Ölkonzeme Shell, Mobil-Oil, Esso und BP.

Österreich verbraucht derzeit insgesamt 3,3 Millionen Tonnen Erdölprodukte (Benzin, Dieselöl, Heizöl, Bitumen, Schmieröl) pro Jahr, und die jährliche Verbrauchszunahme beträgt rund zehn Prozent, also etwa 300.000 Tonnen. Es besteht aller Grund zur Annahme, daß diese Steigerung noch einige Jahre hindurch unvermindert anhalten, ja eher noch zunehmen wird, da die Mineralölprodukte in zunehmendem Maße andere Energieträger verdrängen. Zum Vergleich sei nur bemerkt, daß zum Beispiel der Inland-und der Importkohlenverbrauch nicht nur sehr stark anteilsmäßig, sondern sogar auch absolut rückläufig ist.

Diesem stark steigenden Verbrauch steht eine rückläufige Eigenproduktion nn Rohöl aus den österreichischen Ölfeldern gegenüber. Derzeit produzieren die Sonden der ÖMV-AG sowie der wenigen privaten Ölförder-sesellschaften 2,4 Millionen Tonnen Rohöl jährlich. Diese Förderleistung wird aller Wahrscheinlichkeit nach — falls nicht völlig unverhoffterweise neue große Lagerstätten erschlossen werden — bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf etwa 1,5 Millionen Tonnen jährlich zurückgehen.

Dieser Ölbedarf muß sichergestellt werden, wenn Österreich nicht in übergroßem Maße raffinierte Ölpro-dukte einführen will. In einer Aussprache zwischen Bundeskanzler Ingenieur Raab und dem Generaldirektor des staatlichen italienischen Ölkonzerns ENI, Mattei, wurde vor nun bereits einigen Jahren der Gedanke einer Pipeline zwischen Triest und Wien geboren. Diese Pipeline sollte die österreichischen Raffinerien, die sämtlich im Raum' von Wien liegen, mit Erdöl versorgen, wobei die ENI als Lieferant von Nahostrohöl auftreten würde.

Unmittelbar nach Bekanntwerden stießen diese Pipelinepläne bereits auf erbitterten Widerstand.

Österreich verfügt derzeit über drei Raffinerien; die größte davon in Wien-Schwechat mit einer Kapazität von derzeit 2,3 Millionen Tonnen jährlich gehört der ÖMV-AG Sie wurde erst vor ganz kurzer Zeit erbaut und in Betrieb genommen und entspricht in ieder Hinsicht dem letzten Stand der Raffinerietechnik. Die Shell verfügt über eine ältere Raffinerie in Wien-Floridsdorf und die Mobil-Oil über i'ine Raffinerie in Wien-Kagran. Beide Raffinerien haben eine Kapazität von etwa 0,2 Millionen Tonnen jährlich, Aso von nur etwa zehn Prozent der ÖMV-Großraffinerie Schwechat.

Sowohl Shell als auch Mobil-Oil rechneten nun damit, den österreichischen Bedarf an Ölprodukten vor allem aus ihren italienischen und aus den neuen bayrischen Raffinerien im Raum von Ingolstadt decken zu können. Die österreichischen Pipelinepläne machten durch diese Rechnung einen gewaltigen Strich, wobei die privaten Ölfirmen vor allem auch noch über die Mitwirkung der ENI und ihres geschickten Generaldirektors Mattei empört waren.

Die großen westlichen Ölkonzeme hatten ja bereits seit längerer Zeit gegen Mattei und die staatliche italienische ENI den Kampf aufgenommen, da Mattei mit Erfolg versucht hatte, in der internationalen Ölpolitik mitzu-soielen. Dieser Kampf ging so weit, daß zum Beispiel der Gesinnungsfreund des italienischen Ministerpräsidenten Fanfani, Mattei, als ..Kommunist“ verschrien wurde, nur weil er in seinen Raffinerien unter anderem auch sowjetisches Rohöl (derzeit zirka 37 Prozent) verarbeitet hatte.

Für Mattei kamen die österreichischen Rohölsorgen wie gewünscht, weil ihm dies nicht nur die Möglichkeit bot, Rohöl in Österreich abzusetzen, sondern darüber hinaus auch die Chance gab, auch mit Ölprodukten auf dem österreichischen Markt stärker Fuß zu fassen.

Tatsächlich wird die ENI, die sowjetisches Rohöl nur als Übergangslösung importierte, bereits in naher Zukunft wahrscheinlich erhebliche Rohölüberschüsse haben, da sie große Aufschlußgebiete in Persien, Somaliland, Marokko und Tunis besitzt und bereits Öl in Sizilien und Ägypten fördert. Nebenbei bemerkt, baut die ENI auch in Ingolstadt eine neue Raffinerie, und eine Pipeline zur Versorgung der geplanten Raffinerie ist in Bau.

Nach monatelangen erbitterten Diskussionen zeichnet sich nun in der Frage der Pipeline eine etwas geänderte Situation ab. Die privaten Ölkonzeme haben ihre Haltung wesentlich geändert. Maßgebend hieriür dürften wohl zwei Überlegungen sein:

Erstens könnte Österreich, wenn die Pipeline nicht gebaut würde, preisgünstig sowjetisches Öl einführen, zweitens könnte die Pipeline gegen den Widerstand der privaten Konzerne gebaut werden, und diese würden nicht nur einen Prestigeverlust, sondern auch wirtschaftlich schwere Einbußen erleiden.

Jedenfalls zeigen sich seit einiger Zeit die privaten Ölkonzeme an der Pipeline interessiert,. ja sie wollen sogar die Majorität in der Pipelinegesellschaft übernehmen. Sie vertreten dabei allerdings die Auffassung, daß die künftige Pipeline den Beteiligten im Prozentsatz ihrer Beteiligung zur Verfügung stehen solle. Das klingt, angesichts der geringen Verarbeitungskapazität der Shell- und der Mobil-

Oil-Raffinerien in Wien vorerst unlogisch, verfolgt jedoch einen bestimmten Zweck: Die ÖMV-Großraffinerie Schwechat sollte die auf ihre Anteile entfallenden Ölmengen einfach in Lohnarbeit raffinieren. Das Ziel wäre also, aus Schwechat offenbar eine Art „Gemeinschaftsraffinerie“ zu machen, wobei die Möglichkeit offengehalten werden soll, später eventuell auch eigenes Rohöl dort in Lohnarbeit zu verarbeiten

Die ÖMV-AG ihrerseits ließ verlauten, sie sei zwar prinzipiell zur Zusammenarbeit bereit, will aber natürlich selbst die Majorität in der Pipelinegesellschaft und damit den Löwenanteil am Importrohöl behalten und lehnt darüber hinaus die Idee der „Gemeinschaftsraffinerie“ ab.

Angesichts dieser Schwierigkeiten haben die privaten Ölkonzeme einen neuen, sehr geschickten Schachzug unternommen. Verbündet mit den großen verstaatlichten Österreichischen Stickstoffwerken in Linz haben sie den Plan einer neuen großen Raffinerie im Bereich des Linzer Donauhafens entwickelt, der auch bereits politische Unterstützung gefunden hat. Um eine ungesunde Konkurrenzentwicklung zu “verhindern, soll gleichzeitig der längst vorgesehene Ausbau der ÖMV-Raffinerie Schwechat auf eine Jahresleistung von 3,6 Millionen Tonnen unterbleiben.

Als Argument wird dabei angeführt, daß die Frachtbelastung bei der Belieferung der westlichen Bundesländer von Linz aus wesentlich kleiner wäre; die verstaatlichten Stickstoffwerke sind wiederum sehr an der Lieferung von Raffineriegas interessiert, da sie von der ÖMV auf Grund vertraglicher Bindungen nicht mit Erdgas beliefert werden können; sie sind der Meinung, daß ihr Gasbedarf von den Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerken in Linz nicht mit Sicherheit gedeckt werden könne. In eingeweihten Kreisen wird jedoch gemunkelt, daß man sich vor allem die Möglichkeit zu Preis Verhandlungen mit der VÖESt. schaffen will . ..

Die privaten Ölfirmen haben sich dabei bereit erklärt, der ÖMV-AG eine Minderheitsbeteiligung der geplanten neuen Raffinerie einzuräumen.

Als Gegenargument wird von ÖMV-Kreisen angeführt, daß die Raffinerie Schwechat ja schon grundsätzlich auf die größere Kapazität von 3,6 Millionen Tonnen jährlich ausgelegt worden sei und daß nur noch die Destil-lätionsanlage vergrößert werden müsse, während in Linz alles neu gebaut werden müßte. Die daraus resultierenden Mehrkosten für die gleiche Gesamtraffineriekapazität wären erheblich größer als die möglichen Frachtein-sparungen.

Das Ende dieser Auseinandersetzungen, in die jetzt auch die Regierung eingeschaltet wurde, ist derzeit noch nicht abzusehen, da die privaten Ölkonzeme auf sehr geschickte Weise die alten Rivalitäten zwischen Wien und den Bundesländern ins Spiel gebracht haben. Tatsache ist, daß innerhalb beider Koalitionsparteien die Meinungen sehr geteilt sind, wodurch sich auch innerhalb der ÖMV-AG selbst, deren Vorstand und Aufsichtsrat nach dem „Proporzsystem“ mit Angehörigen der beiden Regierungsparteien besetzt sind, Meinungsverschiedenheiten ergeben.

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