6684182-1962_08_06.jpg
Digital In Arbeit

Besuch bei Enrico Mattei

Werbung
Werbung
Werbung

Im Jahre 1920 trat ein erst I4jähri-ger Junge im kleinen Ort Matelica, in der armen, ziemlich vom Kommunismus durchsetzten Provinz Marche, die eistbeste Arbeitsstelle an. 15 Jahre später besaß er in Mailand eine kleine Fabrik für die Gewinnung von Gerbstoffen aus Fischtran. Heute ist er einer der größten Industriellen Italiens und gehört zur Spitzengruppe der internationalen Petroleummagnaten. Böse Zungen in Italien behaupten, er spiele neben seiner Führerolle an der Spitze der staatlichen ENI (Ente Nazionale Idrocarburi) auch einen unsichtbaren Part in der italienischen Innenpolitik, ja er habe die große, auf dem Parteitag von Neapel vollzogene Schwenkung der DC nicht unmaßgeblich beeinflußt. Wohl muß er vom Ministerrat alle drei Jahre neu als Präsident der ENI bestätigt werden; in Wirklichkeit aber soll vielmehr er derjenige sein, der neue Regierungen zusammenstellt und sie in ihrem Amt bestätigt. Staatspräsident Gronchi bringt ihr jedenfalls so großes Vertrauen entgegen, daß seinem Wort bei dessen Beschlußfassungen maßgebende Bedeutung zukommt.

„Von der Parteien Gunst und Haß ...“

Dieses enge persönliche Verhältnis beruht auf der Erkenntnis Gronchis, daß Matteis Werk wie kaum ein anderes geeignet ist, den Wirtschaftsaufbau Italiens eng mit der Weltwirtschaft zu verflechten. Seine Organisation hat das Problem der Energieversorgung der rasch aufsteigenden italienischen Industrie auf neue Grundlagen gestellt, seine Initiativen haben Italien eigenes Erdgas und Zutritt zu den nahöstlichen ölrevieren verschafft; sie fördern jetzt auch die Ausfuhr italienischer Industrieerzeugnisse im Austauschverfahren; seine Neugründungen tragen zum Aufschwung des zurück-

gebliebenen Mezzogiorno (Süditalien und Sizilien) viel bei, und er zählt, zusammen mit dem Textilindustriellen Marzotto, zu den Vorkämpfern einer fortschrittlichen Sozialpolitik, die die Spannungen zwischen den Lohnempfängern und den erstaunlich exklusiv gebliebenen „white-collar“-Schichten des Bürgertums ableiten sollen.

Es ist nicht verwunderlich, daß ein Geschäftsmann, der so viele Neuerungen ersinnt, mit überalterten Institutionen und Gepflogenheiten so rücksichtslos aufräumt, für viele Leute in Italien und für alle internationalen Petroleum-Trusts ein recht unbequemer Neuerer ist. Er entgeht nicht dem Schicksal stark profilierter Persönlichkeiten mit einem sehr großen Wirkungskreis: Auf .einen echten Anhänger, der ihm großes Vertrauen entgegenbringt, entfallen zehn Gegner, wenn nicht Feinde, die ihm unbesonnene Kühnheit vorwerfen und seiner Organisation schwere Krisen voraussagen.

Mattei erzwang sich den Aufstieg dadurch, daß er in einem entscheidenden Augenblick den Mut hatte, gegen Wind und Wetter zu segeln. Er allein erspähte damals das Ufer,.das Schätze verhieß.. Als er im Jahre 1945 aus dem norditalienischen Kleinkrieg gegen die Überreste der Faschisten in das zivile Leben zurückkehrte, wurde er mit der Liquidierung der von Mussolini im Jahre 1927 gegründeten AGIP-Organisation betraut, die in der Lombardei mit nur sehr geringem Erfolg nach Erdgas geschürft hatte. Mattei studierte die Gutachten der Ingenieure und kam zur Überzeugung, daß dort reichlich Erdgas vorhanden sein müsse. Kurz entschlossen änderte er eigenmächtig die vorgeschriebene Fahrtrichtung um 180 Grad ab und ließ die Arbeiten wieder aufnehmen. Damals wurden jährlich insgesamt 15 Millionen Kubikmeter Erdgas gewonnen — heute übertrifft die Tageserzeugung diese Menge wesentlich und steigt weiter steil an. Matteis Ungehorsam brachte also Italien reiche Ernte.

Ein schlichter Mann mit hartem Charakter

Der Rahmen, mit dem sich Mattei umgibt, ist seiner großen Rolle im Wirtschaftsleben Italiens gar nicht angepaßt. Sein Büro liegt an einem langen Korridor mit Türen in regelmäßigen Abständen, und die seine trägt, wie jede andere auch, nur eine kleine Tafel mit der Namensaufschrift. Ohne Titel. Die dunklen Holzmöbel in seinem Arbeitszimmer wären höchstens dem Büro eines Abteilungsleiters angemessen, Tintenfaß und sonstiges auf der Glasplatte des großen Schreibtisches wirken noch bescheidener. Ein Konferenztisch mit einer ledernen

Das Werk Matteis

Es dürfte auf die Anwendung dieser für ihn immerhin fremden Sprache zurückzuführen sein, daß er häufig inmitten eines Satzes eine kleine Pause einschaltete. Bestimmt war es nicht ein Zeichen innerer Unsicherheit — dazu war der Tonfall zu bestimmt, die Akzente auf den ihm wichtig erscheinenden Worten zu scharf und die Verfolgung eines Gedankens zu genau. Ist nämlich einmal ein Thema aufgeworfen, so bestimmt ausschließlich er die Richtung und den Rhythmus der gedanklichen Entwicklung und läßt keine neuen Fragen, keine Unter-

Sitzgarnitur für höchstens fünf Personen läßt auch nicht auf die Bedeutung der meisten seiner Besucher schließen. Ein unscheinbarer Bücherkasten enthält offenbar nur die am häufigsten benötigten Nachschlagewerke. Keine Bilder, keine Bronzebüsten auf dem gleichfalls dunklen Täfer.

Auch Matteis Person und sein Auftreten sind frei von der Betonung seiner persönlichen Bedeutung. Wie ich eintrete, kommt er mir mit einem leichten, unpersönlichen Lächeln entgegen, das weder gekünstelt wirkt noch aber einen Vorschuß an Vertrauen

verspricht. Zum mittelgrauen Anzug trägt er, eine unauffällige, dunkle Krawatte; die starke Rückenwölbung verrät viel Sitzarbeit; seine trockenen, etwas widerspenstigen Haare sind ohne Scheitel einfach geschnitten, das Gesicht ist matt, olivenfarben, und die Hand stark durchfurcht — alles Merkmale, die ebenso gut auf den Unteroffizier der Gendarmerie zutreffen könnten, von dem er abstammt. Als ältestes von fünf Kindern mußte er schon im mittleren Schüleralter verdienen gehen; gleichwohl spricht er bemerkenswert gut Französisch.

brechung zu, bevor er seine Ausführungen beendet hat. Der Zuhörer muß ihm zwangsläufig folgen, selbst wenn es ihm schwerfällt. Seine Formulierungen sind wie ein funktionsbereiter Mechanismus, der jedoch zunächst nur auf seinen geistigen Stromkreis eingeschaltet ist. Bedenkenlos überbürdet er seinen Gesprächspartner, selbst den gedanklichen Transformer zu finden. So wird ein Gespräch mit ihm zu einem „Monolog mit stummem Zuhörer“

Wie hat M?ttei seinen Konzern, der allein 23.000 Lohnempfänger zählt

und indirekt in angeschlossenen, aber selbständigen Betrieben nochmals mehrere tausend Arbeiter aller Stufen beschäftigt, aufgebaut? Bis zum Jahre 1953, als die staatliche Organisation der ENI als Holding geschaffen wurde, bestand nur die AGIP, die heute als bloße Produktions- und Verteilungsgesellschaft fortbesteht. Der ENI-Kon-zern umfaßt überdies auch eine große Maschinenfabrik in Florenz, die alle Maschinen für Bohrungen zu Land und unter Wasser, ferner auch für Rohrleitungen, herstellt. Dann entstand im Rahmen der ENI eine Kette von Motels — heute bereits in 23 Orten —, was anscheinend ganz aus dem Rahmen fällt. Dazu meint Präsident Mattei, daß er für den wachsenden Benzinausstoß der AGIP zusätzliche Käufer finden müsse. Der Exportmarkt allein erschien ihm nicht als genügend verläßlicher Abnehmer; daher bemühte er sich, den Kraftwagenverkehr, und vor allem den Autotourismus, im Lande selbst zu fördern. Ein geschäftspolitischer Sprung, mögen viele Industrielle sagen — vom Bohrturm zum Motel ist der Weg weit. Doch solche Hindernisse machen auf Mattei keinen Eindruck. Als Geschäftsmann spürt er die Expansionsmöglichkeiten sozusagen bis in die Fingerspitzen. Für die Bewältigung neuer Aufgaben sucht er zunächst entsprechende Mitarbeiter und erzieht sich hernach selbst den Nachwuchs. Was die ENI auf diesem Gebiet leistet, ist Pionierarbeit, besonders in Italien mit seiner verknöcherten Hierarchie auch im Geschäftsleben. Mindestens jedes zweite Jahr müssen alle Facharbeiter der ENI-Gruppe, alle

Beamten, einschließlich der leitenden Direktoren, für fünf Wochen die ENI-Schule besuchen, wo sie sich in ganztägigem Studium mit den neuesten Methoden ihres Arbeitskreises vertraut machen. Die Schule steht auch Ausländern mit entsprechender Vorbildung offen, und die Zulassung wird nicht mit der Verpflichtung verbunden, hernach im Namen der ENI einen Posten anzutreten. Die ENI will sich einfach im In- und Ausland Freunde schaffen.

Schatten der Vergangenheit

Als ehemaliger Arbeiter weiß Mattei, wie wichtig es ist, daß im Betrieb in beiden Richtungen Vertrauen herrscht. „Ich spüre es heute noch, daß ich als Arbeiter ein grundsätzliches Mißtrauen gegenüber dem Firmenchef hegte und die Diskriminierung durch Beamte als beleidigend empfand.“ Daher kann zu bestimmten Stunden jedes Mitglied der Belegschaft oder jeder Angestellte direkt an seiner Tür anklopfen, um eine konkrete Anregung oder eine wohlüberlegte Beschwerde vorzutragen. Und eben weil der Weg zu ihm jedem offensteht, bemüht man sich, persönliche Konflikte schon auf den unteren Stufen zu bereinigen, und weil bekannt ist, daß er technische oder administrative Vor-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung