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Am 29. Jänner soll der sowjetische Außenhandelsminister Patolitschew zu seinem schon lange erwarteten Besuch in Wien eintreffen. Dieser Besuch, der im Zusammenhang mit einer Routinesitzung der gemischten Österreichisch-Sowjetischen Kommission steht, wird nämlich kein Routinebesuch sein. Österreich, das derzeit durch die österreichische Mineralölverwaltungs AG, ÖMV, jährlich rund 1,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus der Sowjetunion bezieht, will diese Menge verdoppeln. Dieser Wunsch wurde bereits vor zwei Jahren in der Sowjetunion deponiert und dort auch wohlwollend aufgenommen.

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Am 29. Jänner soll der sowjetische Außenhandelsminister Patolitschew zu seinem schon lange erwarteten Besuch in Wien eintreffen. Dieser Besuch, der im Zusammenhang mit einer Routinesitzung der gemischten Österreichisch-Sowjetischen Kommission steht, wird nämlich kein Routinebesuch sein. Österreich, das derzeit durch die österreichische Mineralölverwaltungs AG, ÖMV, jährlich rund 1,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus der Sowjetunion bezieht, will diese Menge verdoppeln. Dieser Wunsch wurde bereits vor zwei Jahren in der Sowjetunion deponiert und dort auch wohlwollend aufgenommen.

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Im Rahmen der Verhandlungen um die Errichtung der „Trans-Austria-Gas-Pipeline“ (TAG), die sowjetisches Erdgas über österreichisches Gebiet nach Italien und Frankreich transportieren soll, haben sich dann alle Verhandlungspartner darauf geeinigt, daß auch auf österreichischem Staatsgebiet Gas aus dieser Monster-Pipeline entnommen werden soll. Damit werden auch die südlichen Gebiete der Steiermark, wie etwa der Industrieraum um Graz, und auch Kärnten in den Genuß der Erdgasversorgung gelangen. Doch planungstechnisch ist alles klar: Lediglich die Zusage der Sowjetunion, diese zusätzliche Gasmenge zu liefern, liegt noch nicht vor. Zunächst beschränkte man sich sowjetischerseits auf vage Zusagen, dann erklärte man, bei dem Besuch des sowjetischen Außenhandelsministers könne ein entsprechender Vertrag ausgehandelt werden. Dieser Besuch ist aber im Vorjahr mehrmals verschoben worden, und wurde dann endgültig auf Ende 1973 festgesetzt.

Zunächst ist das nicht von großer Bedeutung: Denn die grundsätzliche Zusage liegt vor, die Bauarbeiten für die TAG haben planmäßig begonnen. Doch eines scheint bedenklich: An die Sowjetunion sind in den letzten Monaten von den meisten europäischen Staaten Wünsche für Erdgaslieferungen herangetragen worden und in Moskau hat man bereits rr9hrmals erklärt, daß man das nationale Energiekonzept des Landes deshalb grundsätzlich neu überdenken müsse. Für Österreich bedeutet das, daß die ÖMV nicht mehr wie im Jahr 1968 (anläßlich der ersten Verträge) rasch und sicher eine preisgünstige Vereinbarung aushandeln kann. Dazu gibt es bereits zu viele Konkurrenten auf dem Markt.

„Uberdenken des Energiekonzepts der UdSSR“ heißt sicherlich auch: Uberdenken der Preispolitik. Was sollte die Sowjetunion veranlassen, Gas zu Vorzugspreisen nach Österreich zu liefern? Vermutlich nichts, und dementsprechend hart werden die Verhandlungen sein, die Ende dieses Monats aufgenommen werden sollen.

Die Sowjetunion hat jedenfalls durch ihr Zögern Zeit gewonnen, viel Zeit. Sie ist jetzt der umworbene Partner, der aus einer ganz anderen Position auf dem Weltmarkt verhandelt, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war.

Ein zweites Versorgungszentrum für Westeuropa scheint gegenwärtig in Algerien im Aufbau begriffen zu sein. Nachdem die Vereinigten Staaten erst vor kurzem ein Übereinkommen über die Lieferung von verflüssigtem algerischem Erdgas nach den USA geschlossen haben, ist es in der zweiten Dezemberhälfte auch einem europäischen Firmenkonsortium gelungen, einen Vertrag mit der staatlichen Algerischen Gesellschaft „Sonatrach“ über die Lieferung von jährlich zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Europa abzuschließen. Nachdem die niederländische Regierung den Export von vor ihrer Küste gefundenen Erdgas auf Grund des gestiegenen Verbrauches im eigenen Land einfach verboten hat und das Gaszentrum von der norwegischen Küste zu weit entfernt ist, konzentriert sich das österreichische Interesse zwangsläufig auf die algerischen Lieferungen. Die „Austria Ferngas“, eine Art Verbundgesellschaft der ost- und südostösterreichischen Gasgesellschaften, hat daher, wenn auch nicht als Mitglied der Firmengruppe an den Verhandlungen mit Algerien teilgenommen. Soweit bisher bekannt wurde, liegt auch die grundsätzliche Zusage der Firmengruppe, auch Österreich an den algerischen Erdgaslieferungen teilhaben zu lassen, bereits vor. Doch wollen sich die Gesellschaften aus der Bundesrepublik, Belgien und Frankreich zunächst noch nicht binden, da sie noch nicht einmal die Aufteilung der gekauften Erdgasmengen untereinander verbindlich geregelt haben.

Für Österreich ist auch eine zweite Frage sehr interessant: Wo wird der Bestimmungshafen der Erdgasschiffe, also der Ausgangspunkt für die Pipeline liegen? Gegenwärtig gibt es drei Projekte: einen Hafen in Belgien, ein französischer Hafen (wobei noch ungeklärt blieb, ob dies Le Havre oder Fos-sur-Mer bei Marseille sein soll), oder aber ein italienischer Hafen in der Nähe von Triest. Für Österreich wäre diese Lösung natürlich die weitaus interessanteste: Eine Pipeline würde parallel zur bestehenden Transalpinen ölpipeline verlegt werden und müßte damit auch über österreichisches Gebiet führen. Damit könnte die Versorgung Österreichs mit Erdgas auf ein zweites, von der Sowjetunion unabhängiges Bein gestellt werden.

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