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Politisches Petroleum

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Die Schweiz besitzt keine Rohölvorkommen. Anderseits steigt ihr Bedarf an Derivaten ständig. Da schließlich die Technik den Transport durch Rohrleitungen stark verbilligt hat, geht man jetzt überall zum Bau von Raffinerien in den Verbrauchszentren über, statt sie in den Ankunftshäfen zu errichten und hernach die Derivate auf dem Schienenweg weiterzubefördern. In diesem Gesichtswinkel ist der Bau einer Rohölraffinerie in Aigle (Wallis), die etwa die Hälfte des Inlandsbedarfes decken wird, durchaus gerechtfertigt. Warum wurde der Plan dennoch so heftig angefeindet, vom Bundesrat denkbar kühl aufgenommen, und warum entstand jetzt eine Kontroverse zwischen der Eidgenossenschaft und den direkt interessierten Kantonen um den Bau deT Rohrleitungen?

Die inzwischen geschaffene Verfassungsreform überträgt das Bewilligungsrecht für deren Bau von der kantonalen in die eidgenössische Kompetenz. Die Annahme bei der Volksabstimmung gilt als gesichert. Die erworbenen Rechte müssen aber im Bundesgesetz, das hernach ausgearbeitet werden muß, respektiert werden. Die Kantone wollen dieses nicht abwarten. Auch die italienischschweizerische Finanzgruppe ENI — Societe Financiėre Italo-Suisse hat es eilig, vor allem drängt sie auf den Bau der Rohrleitung über den Tessin, Graubünden, St. Gallen und Vorarlberg nach Ingolstadt, damit ihr die geplante Raffinerie in Karlsruhe den bayrischen Markt nicht im letzten Augenblick wegschnappe. Sie hat es durchgesetzt, daß nach dem Tessin und Graubünden im vergangenen Oktober auch St. Gallen die Bewilligung zum Bau erteilt hat. Jetzt soll auch dieser Kanton mit ihrer Baugesellschaft, der Oleodotto del Reno, in aller Eile einen Bauvertrag abschließen. Rechtlich ist das ganz in Ordnung, vorerst gehört die Materie in die Kompetenz der Kantone. Wo drückt wohl der Schuh die Berner Ämter?

Petroleum ist ein Rohstoff, der neben chemischen auch weltpolitische Bestandteile enthält. Die Caracas- Gruppe (Irak, Iran, Saudi-Arabien, Kuweit, Venezuela und zuletzt auch Bahrein) mit über 90 Prozent der Weltpetroleumexporte will diesen letzteren ausnützen. Sie wird in Hinkunft in allen Fragen der Versorgung der Zuschußländer das entscheidende Wort haben. Im Hintergrund des Weltpetroleummarktes taucht aber bereits der russische Überschuß auf. Außerdem rechnet Frankreich damit, daß die Raffinerien in Straßburg (Rohrleitung aus Lavera bei Marseille) auch einen Teil des westschweizerischen Marktes beliefern werden. Der Bundesrat will und muß in dieser Frage ein Mitspracherecht erhalten, nicht nur, um die Versorgung der schweizerischen Wirtschaft mit jenem Rohöl sicherzustellen, dessen Zusammensetzung dem jeweiligen inländischen Bedarf an Derivaten am besten entspricht.

Es taucht noch eine zweite Frage auf. Die Neutralität der Schweiz hat bereits in zwei Weltkriegen mitgeholfen, dem schweizerischen Wirtschaftsleben ein Mindestmaß an Importen auch an knappen Gütern zu verschaffen. Daher will Bern ständig überwachen können, ob die Rohölzufuh- ren ständig auf alle Bezugsquellen loyal und gewissenhaft verteilt werden. Sollte es einmal hart auf hart gehen, so will die Schweiz allen Überschußländern sagen können, daß sie zu den „traditionellen” Belieferern der Schweiz zählen und daher moralische Verpflichtungen ihr gegenüber haben. Die Handhabung dieser Frage kann die Schweiz nicht der ENI überlassen, die den Einkauf des Rohöls und die Verschiffung zum Ausgangspunkt der Rohrleitung, nach Genua, besorgen wird. Diese ist ein Geschäftsunternehmen und könnte sich weigern, besonderen Wünschen der Schweiz entgegenzukommen, die sich im gegebenen Augenblick rein geschäftlich nicht rechtfertigen ließen. (Ob das Land Vorarlberg in bezug auf die geplante kleine Raffinerie im Rheintal ähnliche Erwägungen aufgestellt hat, ist in Bern nicht bekannt, aber für die Schweiz irrelevant). Wohl hat der Kanton St. (fallen in seiner Konzession die Bedingung gestellt, daß er die Provenienz des Rohöls, das der Leitung entnommen und in der geplanten ost- schweizerischen Raffinerie verarbeitet werden soll, vorschreiben kann. Aber Fachkreise in Bern fragen sich, welchen praktischen Wert diese Klausel haben mag. Denn wenn etwa St. Gallen ein Rohöl vorschreiben sollte, das der großen Raffinerie Ingolstadt nicht zusagt, so käme es zu Kontroversen und im besten Fall zu einer „ruckweisen” Rohölversorgung der westschweizerischen Raffinerie zu stark verteuerten Preisen. Dann aber würde sich der Kanton jedenfalls an den Bundesrat wenden und entweder eine Subvention (Verbilligung) oder eine Intervention auf diplomatischem Weg verlangen. Beide wären für Bern recht un-

erwünscht. Einfacher erscheint es dort, solchen Entwicklungen schon bei der Konzessionierung vorzugreifen. Deshalb bekämpft man jetzt im Bundeshaus die Tendenz der Kantone, vor Ausarbeitung des Rohrleitungsgesetzes vollendete Tatsachen zu schaffen.

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