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Ungenützte Potenz?

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Das Unbehagen über die Praxis der Regierungskoalition in den. sechziger Jahren, den österreichischen Strukturproblemen aus dem Wege zu gehen, und der Paritätischen Kommission, dem nieder steigenden Geldwertschwund durch punktuelle Beeinflussung einzelner Lohn- und Preisbewegungen beizukommen, hat vor 10 Jahren in allen Lagern den Ruf nach einer konzeptive-ren Wirtschaftspolitik immer lauter werden lassen. Das war 1963.

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Das Unbehagen über die Praxis der Regierungskoalition in den. sechziger Jahren, den österreichischen Strukturproblemen aus dem Wege zu gehen, und der Paritätischen Kommission, dem nieder steigenden Geldwertschwund durch punktuelle Beeinflussung einzelner Lohn- und Preisbewegungen beizukommen, hat vor 10 Jahren in allen Lagern den Ruf nach einer konzeptive-ren Wirtschaftspolitik immer lauter werden lassen. Das war 1963.

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Damals war in den Kammern und Gewerkschaften eine Generation herangewachsen, die mit den Chancen vertraut war, die die junge Disziplin der theoretischen Wirtschaftspolitik für einen optimalen Einsatz der Wirtschaftskräfte eröffnet; sie wollte die vielseitigen Entscheidungshilfen, die die modernen Wirtschaftswissenschaften bieten, auch hierzulande eingesetzt sehen, insbesondere auch das von der Wirtschaftsforschung aufbereitete Zahlenmaterial, das bis dahin für den politischen Alltag faktisch ungenützt geblieben war. Es war das Bedürfnis, das „bemerkenswerte Ausmaß der Übereinstimmung der Wirtschaftsfachleute“ — um einen sozialistischen Gewerkschaftsvertreter im Beirat des Jahres 1964 .zu zitieren — beider Sozialpartner und beider Großparteien für die praktische Politik fruchtbar zu machen.

Diese Intentionen haben in der Gründung des Betrates für Wirt-schafts- und Sozialfragen vor zehn Jahren ihren Niederschlag gefunden. Er wurde auf Grund eines Beschlusses der Präsidenten der Sozialpartner — Julius Raab (Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft), Anton Benya (österreichischer Gewerkschaftsbund), Karl Maisei (österreichischer Arbeiterkammertag) und Isidor Griesner (Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs) — als dritter Unterausschuß der Paritätischen Kommission neben den bereits bestehenden für Lohn- und Preisfragen geschaffen.

Daß etwa zur gleichen Zeit in der Bundesrepublik Deutschland der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ (sogar durch Gesetz!) ins Leben gerufen wurde, zeigt, daß das Fehlen einer solchen Einrichtung nicht nur in Österreich als Lücke empfunden wurde. In einer demokratisch geordneten pluralistischen Gesellschaft ist die Verantwortung auf viele Schultern verteilt. Dies macht einen fachlichen Minimai-Konsensus besonders dringend erforderlich.

Das Bestreben, Zahlen und Fakten nicht lediglich als Interessenten-

Munition zu verwenden, sondern soweit möglich als objektiv erhobene volkswirtschaftliche Daten und für den Fachmann zweifelsfrei erkennbare Zusammenhänge außer Streit zu stellen und die einzelnen wirt-schafts- und sozialpolitischen Probleme im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang und unter Berücksichtigung der längerfristigen Entwicklungstrends zu sehen, hat der Zusammenarbeit der beiden großen Bevölkerungsgruppen dieses Landes als Sozialpartner oder als regierungs-koalierte Großparteien zunächst noch einmal einen tragfähigen Boden gegeben, wie er zur Lösung jener Probleme notwendig ist, die naturnotwendig mit unpopulären und daher politisch unbeliebten Maßnahmen verbunden sind. Die einzelnen punktuellen staatlichen Eingriffe sollten durch eine globale Beeinflussung des Wirtschaftsgeschehens abgelöst und damit die Wirtschaftsund Sozialpolitik in diesem Lande weniger widersprüchlich und effizienter werden.

Der Beirat hatte nicht politische Entscheidungen vorwegzunehmen, sondern das Maximum an Übereinstimmung in den sachlichen Fnt-scheidungsgrundlagen zu suchen. Von Anfang an war dazu die Mitwirkung von Fachleuten der österreichischen Nationalbank, des Wirtschaftsforschungsinstituts und des Statistischen Zentralamtes und aus der Wissenschaft gesucht worden.

Die Intiatoren des Beirates dürfen nicht unzufrieden sein: von der schöpferischen und sachlich gediegenen Arbeitsweise zeugen nicht nur seine bisher veröffentlichten über 20 Studien, die keineswegs eine bloße Aufsummierung von Gruppeninteressen darstellen und deren Niveau auch internationale Vergleiche nicht zu scheuen braucht. Die verschiedenen Untersuchungen zum Preis- und Kostenauftrieb in Österreich (1964, 1966, 1968, 1972) beispielsweise sind eine Fundgrube für solche, die wirklich den Geldwert und nicht die Inflationsrate stabilisieren wollen. Die Vorschläge sind sozialpartnerschaftlich abgestimmt, und sollten also — die notwendige

Stabilisierungscourage vorausgesetzt

— nicht unbedingt unrealisierbar sein.

Mit der Gründung des Beirats wurde nicht nur eine neue Ära der Sozialpartnerschaft in Österreich eingeleitet, sondern auch ein neuer Stil in der Wirtschafts- und Sozialpolitik — in den Ansätzen zumindest

— entwickelt.

Die Anregungen für die mittelfristige Budgetvorschau und die in den sogenannten Wachstumsgesetzen verwirklichten Maßnahmen zur Förderung des Kapitalmarktes sowie zahlreiche Verbesserungen des statistischen Datenmaterials und der Prognosenmethoden gehen auf den Beirat zurück. Die „Beiratsgesinnung“ fand auch in der Errichtung der volkswirtschaftlichen Abteilung im Finanzministerium — der ersten dieser Art in einem österreichischen Ressort! — ihren Niederschlag.

Der Beirat hat den Lernprozeß überall dort gefördert, wo das — vermeintliche — wirtschaftliche oder ideologische Interesse zunächst zurückhaltend wirkte: beim Verständnis für die wirtschafts- und wohl-fahrtsfördernde Liberalisierung des Warenverkehrs und einer Modernisierung der Budgetpolitik bei den Arbeitgebern sowie beim Verständnis für großzügigere Gastarbeiterkontingente und für die Notwendigkeit der Entwicklung eines funktionsfähigen Kapitalmarktes auf Arbeitnehmerseite.

Heute stellt sich die Frage, wie die im Beirat, in seiner Idee und Arbeitsweise derzeit ungenützten Möglichkeiten für die Lösung jener Gegen-warts- und Zukunftsfragen mobilisiert werden könnten, die gerade in diesen Tagen wieder sichtbar wurden und ohne ein Maximum von kooperativer Verantwortung nicht gelöst werden können. Daß er stärker herangezogen und revitalisiert werden sollte, steht gerade in der gegenwärtigen Situation außer Diskussion.

(Die FURCHE bringt in ihrer nächsten Ausgabe im Rahmen einer Beilage mehrere Beiträge von sachkundigen Autoren zu diesem Thema.)

Wahlen in Südtirol: Sie brachten letzten Sonntag der Südtiroler Volkspartei einen schönen Sieg, dem „Abtrünnigen“ Dietl immerhin einen Achtungserfolg.

Wer den Wahlkampf verfolgte, der merkte etwas von einem neuen Klima, das in Südtirol herrscht — und einer klaren Selbstverständlichkeit, die den Kontakt der Volksgruppen miteinander charakterisiert. Das neue Klima ist, so sagt man, fast überall schon Wirklichkeit.

Fährt man von Südtirol nach Nordosten, dann kommt man durch Kärnten. Und auch hier trifft man auf die Tatsache, daß es zwei Volksgruppen gibt. Von neuem Klima aber keine Rede. Es ist kalt in den Karawanken.

In Südtirol hat man selbst in der Zeit des härtesten Volkstumskamp-fes zweisprachige Ortstafeln besessen.

Und man wünscht sich, allen Ernstes, für Kärnten Südtiroler Verhältnisse...

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