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„Ausgleichende Funktion“

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Für viele Staaten der westlichen Welt sind in den vergangenen Jahrzehnten bis in die Gegenwart Streikwellen und inflationäre Erscheinungen kennzeichnend für die wirtschaftliche und soziale Situation. Die Regierungen stehen dieser Entwicklung oft machtlos gegenüber. Auf der Suche nach wirksameren Mitteln für die Eindämmung von Streiks und einer Milderung des Tempos der Geldentwertung wird auf internationaler Ebene immer wieder auf den österreichischen Weg einer ruhigen inneren Entwicklung auf dem Gebiet der Wirtschaftsund Sozialpolitik hingewiesen.

Als eine der entscheidenden Voraussetzungen für die stabilen Verhältnisse in Österreich wird mit Recht das gute Verhältnis zwischen den Sozialpartnern verstanden, das unter der Bezeichnung Sozialpartnerschaft sicherlich jetzt bereits geschichtliche Bedeutung erlangt hat. Ausdruck für diese Sozialpartnerschaft ist die Paritätische Kommission für Lohn- und Preisfragen, in der die Land- und Forstwirtschaft einer der vier gleichberechtigten Partner ist. Die Gründung eines Beirates für Wirtschafts- und Sozialfragen im Rahmen der Pari-

tätischen ,Kommission entsprach dem Bedürfnis, auf der Ebene der Sozialpartner nicht nur Tagesfragen zu behandeln, sondern auch auf Grundsatzfragen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Österreich einzugehen.

Die erste große Bewährungsprobe bestand der Beirat für Wirtschaftsund Sozialfragen in der Zeit der ÖVP-Alleinregierung, als er nicht nur eine überaus fruchtbare Tätigkeit entfaltete, sondern auch über seine rein fachliche Zielsetzung hinaus eine Plattform des politischen Ausgleichs war und somit einen Beitrag für den inneren Frieden leistete.

Aus der Sicht der Land- und Forstwirtschaft hat der Beirat in den letzten Jahren in seiner ausgleichenden Funktion noch an Bedeutung gewonnen. Mit dem Aufkommen der Umweltfrage und der Erkenntnis der Begrenztheit der Ressourcen entstanden neue Maßstäbe für die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Das Wirtschaftswachstum tritt in seiner ursprünglich dominierenden Bedeutung zurück, die Menschheit merkt plötzlich, daß es für die Zukunft kaum eine andere Alter-

native gibt als Sparsamkeit und Maßhalten mit den begrenzten Ressourcen. Es kommen also neue Akzente in die Wirtschafts- und Sozialpolitik, für deren Bewältigung es vorerst keine Vorbilder gibt, da jedes Land, oder noch besser die Gemeinschaft der Völker erst Wege für eine Bewältigung der sich stellenden Probleme zu suchen hat. Die jetzige Situation, verschärft durch eine handfeste Erdölkrise, zeichnet dem Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen den Weg in die kommenden Jahre. Es gilt, eine Neuein-schätzung des Wirtschaftswachstums vorzunehmen und vor allem die Verteilungsproblematik im Zusammenhang mit den Kosten für eine erträgliche Umwelt einer Klärung zuzuführen. Der Beirat ist prädestiniert, aus dem quasi parteifreien Raum der Sozialpartner heraus Lösungen zu suchen und ungleich leichter als auf parteipolitischer Ebene einen Konsens etwa über eine Verteilung der Umweltkosten auf die Staatsbürger herzustellen. Auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialtheorien haben sich mit der jüngsten Ent-

widaliung, die in der Forderung nach einer höheren Qualität des Lebens gipfelt, weiße Flecken aufgetan, die wieder geschlossen werden müssen. In unserem sozioökonomischen Gefüge zeigen sich neue Zusammenhänge, die vor allem zu einer anderen Sicht etwa der Funktion einzelner Bevölkerungsgruppen und Teilregionen unseres Landes führen. So etwa, daß es nicht mehr genügt, das Wirtschaftsleben in den Ballungs-

zonen weiter anzuheizen und damit das Stadt-Land-Gefälle noch zu verstärken. Das furchtbare Wort von der passiven Sanierung ländlicher Gebiete ist kaum mehr zu hören. Dafür aber erkennt man, daß unser Bergraum neue wichtige Funktionen zu erfüllen hat; daß die Agrarzonen entlang der „toten“ Grenze im Inter-

esse der Sicherheit unseres Landes nicht entvölkert werden dürfen. Es war nicht zuletzt die Arbeitsgruppe Regionalpolitik des Beirates, die die Funktionsfähigkeit des ländlichen Raumes postulierte.

Es wird eine der Hauptaufgaben des Wirtschaftsbeirates in der kommenden Zeit sein, mitzuhelfen, die neuen Erkenntnisse, die die Qualität des Lebens betreffen, in die österreichische Praxis umzusetzen und eine Einigung der Sozialpartner auf diesem Gebiet voranzutreiben.

Die Arbeit des Wirtschaftsbeirates in seinen Arbeitsgruppen Umweltpolitik und Wohlfahrtsindikatoren weist bereits in diese Richtung.

Angesichts der großen Aufgaben,

die heute einer Bewältigung harren, ist zu hoffen, daß der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen seine Tätigkeit weiter intensiviert. Es läge im allgemeinen Interesse, würde die Bundesregierung den Beirat noch stärker als bisher für die Abklärung wirtschaftlicher und sozialer Fragen heranziehen.

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