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Der Rat der Väter und Mütter

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Am 7. Dezember hat die österreichische Volksvertretung in einem Entschließungsantrag die Bundesregierung aufgefordert, einen Familienbeirat -zu errichten. Die Vorarbeiten sind nunmehr bereits so weit gediehen, daß der neue Beirat seine Arbeit in Kürze wird aufnehmen

Damit wird Oesterreich weiteren Anschluß an die jüngsten gesellschaftspolitischen Tendenzen in den meisten modernen Kulturstaaten finden. Iii Frankreich beispielsweise gibt es heute an die 12.000 Sektionen verschiedener religiöser und parteipolitischer Familienorganisationen, die sich zur Nationalunion der Familienverbände (Union Nationale des Associations Fa- miliales) zusammengeschlossen haben. Die UNAF ist eine Selbstverwaltungskörperschaft öffentlichen Rechts, eine Art Familienkammer, und offiziell im Conseil Economique, einem staatlichen Organ zur Begutachtung von Gesetzesentwürfen und Gesetzesanträgen wirtschaftlichen Charakters, seit dessen Gründung im Jahre 1946 neben den beruflichen Interessenorganisationen vertreten. Die französische Fa-

milienbewegung kommt aber nicht nur bei der Gesetzgebung, sondern auch bei der Verwaltung zu Wort. Die Union ist zum Beispiel auch beim Finanzministerium und beim Bevölkerungsministerium, das über ein eigenes Familienamt verfügt, vertreten. Auch beim Ministerpräsidenten besteht ein Beratungsorgan, das Haut Comitė Consültatif de la Population et de la Familie.

1 fithn‘hat Infi Jahre 1951 'eiti fcig&iėš Ministerium für Familien- und Gesundheitswesen geschaffen, das vom Conseil Superieur de la Familie beraten wird. Zur Koordinierung der Regierungspolitik wurde 1953 ein interministerielles Komitee für Familienfragen geschaffen. Auch in Luxemburg gibt es ein Er- ziehungs-, Familien- und Bevölkerungsministerium, bei dem im, Jahre 1952 der Conseil Superieur de la Familie et de l’enfance errichtet wurde. Deutschland schuf im Herbst 1953 ein eigenes Familienministerium, dem ein wissenschaftlicher Beirat zur Seite steht. Im Mai 1954 wurde ein Familienministerium in Schweden errichtet. Zuletzt wurde im Jahre 1955 in den Niederlanden ein Nationaler Familienrat ins Leben gerufen, der unter dem Sozialministerium als Aufsichtsbehörde die Regierung in allen familienpolitischen Fragen berät. — Auch bei den internationalen Organisationen auf Regierungsebene hat diese Tendenz ihren Niederschlag gefunden: Die Internationale Union der Familienverbände ist beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen’und der UNESCO offiziell als beratende Organisation anerkannt.

Diese Tätigkeit der Familienverbände und die Behandlung von Familienproblemen in Organisationen und Tagungen wurde vor kurzem von neoliberaler Seite schlechthin als mit der „wahren Natur der Familie“ unvereinbar hin- gestellt; sie diene nicht dem „wahren Inhalt der abendländischen Familie“. Die Kritiker haben aber bislang verabsäumt, konkret darzulegen, wieso es sich dabei um eine „Hervorzerrung der Familie“ oder um eine „Einmischung in das innere Leben dieser autonomen Personengemeinschaft" handle und worin eine Gefährdung ihrer Privatheit und Intimität und die Gefahr einer „Reform der Familie von oben“ liege. Es gibt dafür auch gar keine logische Begründung. Im Gegenteil: Selbst ein so scharfer Kritiker an der Institution eines Familienministeriums wie der bekannte deutsche Soziologe Helmut S c h e 1 s k y räumt ein, daß einer solchen Einrichtung wichtige Koordinationsaufgaben zukommen.

Somit ist der österreichische Familienbeirat das Ergebnis sehr realistischer Erwägungen. Neue kostspielige Institutionen oder bürokratische Apparate wurden vermieden Auch die Erfahrungen des Auslandes konnten herangezogen werden.

Die Bedeutung eines solchen Beirates hängtnicht nur von seiner Arbeitsweise und von dem Ausmaß ab, in dem sich die Bundesregierung und vor allem der Regierungschef tatsächlich auf ihn stützen. Der Beirat muß auch mit Rechten ausgestattet sein, die ihm bei der Regierung Gehör verschaffen. Er wird daher vor allem — ähnlich den großen gesetzlichen Interessenvertretungen - kraft ausdrücklicher Entscheidung des Gesetzgebers das Recht haben müssen, Gesetzesentwürfe und Verordnungen, die die Interessen der Familie berühren, rechtzeitig zu begutachten. Der Beirat muß auch berechtigt sein, der Bundesregierung sowie den einzelnen Ressortministern Berichte zu erstatten und Vorschläge zu unterbreiten. Seine Zuständigkeit müßte sich auf alle wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen und kulturellen Fragen erstrecken, die das Wohl der Familie berühren.

Der Kreis der Mitglieder sollte nicht zu weit gezogen werden. Anderseits müßte die Zahl der darin vertretenen Organisationen aber auch groß genug sein, um für die familienpolitischen Bestrebungen der verschiedenen Richtungen in Oesterreich auch wirklich repräsentativ zu sein. Neben den ausgesprochenen Familienorganisationen sollten auch fachliche Institutionen, wie zum Beispiel das Institut für Sozialpolitik und Sozialreform, das gerade auf diesem Gebiete erfolgreich gearbeitet hat,

und fürsorgliche Einrichtungen, die die Situation der Familie in vielleicht jahrzehntelangen Erfahrungen kennengelernt hat sowie auch parteipolitische Organisationen aufscheinen, die die Träger familienpolitischer Initiativen gewesen sind. Keinesfalls aber sollte der Beirat nach politischen Proporzverhältnissen zusammengesetzt werden. Es sollte vielmehr soweit wie möglich nach fachlichen Gesichtspunkten vorgegangen werden, damit auch eine Heranziehung parteipolitisch nicht gebundener Organisationen möglich ist. Damit die Kräfteverhältnisse innerhalb des Beirates weitgehend ausgeschaltet werden, müßte der Beirat einstimmige Beschlüsse anstreben; falls keine Stimmeneinhelligkeit zustande kommt, müßten der zuständigen Stelle die divergierenden Meinungen zur Kenntnis gebracht werden. Ferner wäre es wünschenswert, zu Mitgliedern des Familienbeirates ausschließlich Väter und Mütter zu berufen. Experten aus den verschiedensten Sachgebieten sollten fallweise herangezogen werden. Wenn die Mitglieder des Beirates ihre Funktion ehrenamtlich ausüben und die Geschäfte des Beirates unter der Aufsicht eines aus seiner Mitte gewählten Vorsitzenden vom Bundeskanzleramt geführt werden, entstehen keine nennenswerten Kosten. Aehnliche Beiräte könnten auch bei den Landesregierungen gebildet werden.

Der Beirat wird ein reiches Arbeitsprogramm vorfinden. Er wird zuerst seine eigenen rechtlichen Grundlagen, ein Familienbeiratsgesetz und eine Geschäftsordnung, ausarbeiten müssen. Er müßte auf eine Verankerung der Familie in der Verfassung hinarbeiten. Er müßte Vorschläge für eine Reform der Einkommensteuer, insbesondere der Haushaltsbesteuerung, und der Umsatzsteuer ausarbeiten und sich mit der Schaffung von Ehegründungsdarlehen sowie mit Maßnahmen zugunsten Vaterloser Familien im Sinne der letzten Regierungserklärung, eventuell im Zusammenhang mit dem Vorschlag für Maßnahmen zugunsten von Familien mit nur einem Einkommensbezieher, befassen. Schließlich könnte er die Stellung der erwerbstätigen und der nicht erwerbstätigen Mutter, vor allem die Frage von Mutter und Kind in den entscheidenden ersten drei Lebensjahren des Kindes, gegebenenfalls im Zusammenhang mit der Mutterschutzgesetzgebung untersuchen. Endlich müßte er zum gegebenen Zeitpunkt Vorschläge für einen zweiten Schritt zum Ausgleich der Familienlasten unterbreiten und Anträge zur Verbesserung der familienpolitisch bedeutsamen Statistiken des Statistischen Zentralamtes stellen.

Er könnte sehr vieles tun. Wichtig ist daher vor allem, daß er möglichst bald einberufen und konstituiert wird.

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