6823240-1973_48_19.jpg
Digital In Arbeit

Das Forum der Diskussion

19451960198020002020

Der Wirtschafts- und Sozialbeirat, das dritte und jüngste Kind der Paritätischen Kommission, unterscheidet sich in seiner Tätigkeit grundlegend von den älteren Geschwistern. Diese sind eng dem Tagesgeschehen, der Tagespolitik verhaftet; ihre Entscheidungen sind in der Öffentlichkeit und bei den zahlreichen Betroffenen oftmals heiß umstritten. Man denke nur an das Interesse des breiten Publikums, wenn es um Löhne und Gehälter großer Berufsgruppen geht oder um Preise für Wichtige Güter und Leistungen.

19451960198020002020

Der Wirtschafts- und Sozialbeirat, das dritte und jüngste Kind der Paritätischen Kommission, unterscheidet sich in seiner Tätigkeit grundlegend von den älteren Geschwistern. Diese sind eng dem Tagesgeschehen, der Tagespolitik verhaftet; ihre Entscheidungen sind in der Öffentlichkeit und bei den zahlreichen Betroffenen oftmals heiß umstritten. Man denke nur an das Interesse des breiten Publikums, wenn es um Löhne und Gehälter großer Berufsgruppen geht oder um Preise für Wichtige Güter und Leistungen.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Arbeit des Beirates spielt sich demgegenüber mehr im verborgenen ab. Er ist das Diskussionsforum der Wirtschaftspartner, aber auch eine Plattform, auf der sich wissenschaftliche Theoretiker und an pragmatisches Arbeiten gewöhnte Praktiker in freiem Gedankenaustausch treffen.

Weder ausführliche Wortprotokolle noch Tonbandaufzeichnungen veranlassen die Gesprächspartner zu sorgfältig konzipierten Erklärungen, die von vornherein eine brauchbare Diskussion verhindern. Oftmals dek-ken sich die Ansichten der Gesprächspartner quer über politische oder interessenmäßige Gegensätze hinweg. Das Gewicht der nicht unmittelbar aus den Interessenvertretungen kommenden oder ihnen besonders verbundenen Experten ist groß. Der Beirat selbst delegiert die Durchführung der ihm gestellten Aufgaben an Arbeitsgruppen und -ausschüsse, die in der Regel die richtungweisenden Vorarbeiten leisten. Nur die Abgrenzung der Ziele der Studien, also die Aufgabenstellung und die Schlußredaktion, werden immer intensiv dm Beiratsplenum vorgenommen — unter Heranziehung jener Experten, die die maßgebenden Vorarbeiten geleistet haben. Die Beiratsmitglieder werden so mit einer Fülle von Material und vielfach auch divergierenden Auffassungen zu speziellen Fragen, die in den Ausschüssen und Arbeitsgruppen hervorgetreten sind, konfrontiert. Die oft monatelang dauernden Diskussionen über spezielle Probleme bieten den Interessenvertretun-i gen die Gelegenheit, die vielfachen Aspekte eines Fragenkomplexes mit Fachleuten verschiedener Richtungen zu diskutieren und laufend die eigene Position zu überprüfen oder überhaupt erst einen eigenen Stand-

punkt zu erarbeiten. Gerade diese Funktion scheint mir das hervorstechende Merkmal der Beiratsarbeit zu sein.

Die in vielen anderen Ländern in aller Öffentlichkeit ausgetragene Konfrontation der gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Ge-

gensätze aus von vornherein festzementierten Positionen, die es so schwer macht, ohne große Erschütterungen und ohne „Gesichtsverlust“ für Beteiligte eine befriedigende Einigung zu erzielen, wird durch die Beiratsarbeit zwar nicht zur Gänze vermieden, aber doch eingeschränkt. Die rechtzeitige gegenseitige Kenntnis der Motive erleichtert das wechselseitige Verständnis und ist oftmals der Grundstein für die in der Demokratie notwendigen Kompromisse. So ist es nicht überraschend, daß der Wirtschaftsbeirat — trotz seiner Besetzung durch die politisch eindeutig profilierten Interessenvertretungen — oftmals als quasi neutrales Sachverständigengremium herangezogen wird, um heikle Probleme einer einvernehmlichen Losung näherzubringen.

Jede Institution ist verbesserungsfähig, sicher auch der Beirat. Die Kritik an der Auseinandersetzung über wirtschaftliche Fragen ist in der Öffentlichkeit härter geworden; eine Reform der „Paritätischen“ wird vielfach empfohlen. Interessanterweise rät man dabei, die Paritätische Kommission und den Lohnbzw. Preisunterausschuß um unabhängige Fachleute zu erweitern, etwas, das in der Praxis der Beiratsarbeit seit jeher üblich war. Sicher hat auch der Beirat seine Schwächen. Er verfügt über kein eigenes Büro, was schon rein technisch Nachteile mit sich bringt. Die Zusammensetzung des Beirates entspricht nicht der Be-

Zeichnung „Wirtschafts- und Sozialbeirat“, sind doch in erster Linie Ökonomen, kaum aber Sozialpolitiker vertreten. In den Arbeitsausschüssen ist es allerdings anders. Dort sprechen oftmals auch Fachleute des sozialpolitischen Bereiches ein gewichtiges Wort mit. Das Fehlen von Sozialpolitikern im Beiratsplenum ist dennoch ein Mangel, zumal heute mehr noch als in der Vergangenheit ökonomische und soziale Fragen auf das engste miteinander

verquickt sind. Gegen die Erweiterung des Beirates um „Unabhängige“ gäbe es kaum grundsätzliche Einwände. Sorge bereitet die Arbeitsfähigkeit des Gremiums; sie ist immer dann ernsthaft bedroht, sobald die Zahl der Mitglieder ein gewisses Ausmaß überschreitet. Grenzen sind dem Beirat schließlich auch dadurch gesetzt, daß jeder Auftrag der Zustimmung der Präsidenten bedarf; gleichfalls erfolgt auch die Verabschiedung von Studien letztlich

nicht durch den Beirat selbst, sondern durch die Spitzenfunktionäre der Interessenvertretungen. Dies erschwert zwar die Einigung über diffizile Fragen, gibt aber anderseits den Studien größeres Gewicht.

Heute vollzieht sich die Beiratsarbeit unter Mitarbeit zahlreicher Experten verschiedener Wissensgebiete aus Theorie und Praxis. Nur ihre intensive Mitarbeit, die — das soll hervorgehoben werden — ehrenamtlich ist, garantiert eine fundierte und an der Öffentlichkeit anerkannte Beiratstätigkeit.

Der Beirat ist so ein bedeutender Faktor der Integration vielfältiger Meinungen. „Demokratie ist Diskussion', wird immer wieder gesagt. So gesehen, ist der Beirat auf wirtschaftlichem Gebiet ein Stück unserer Demokratie.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung