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Braintrust des Ständestaates?

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Anders als seine ausländischen Vorbilder (und Nachahmungen) ist in Österreich das Gremium, dessen Aufgabe die Sachliche Vorbereitung wirtschaftspolitischer Entscheidungen ist, kein Organ der Regierung oder des Parlaments, sondern ein solches der Paritätischen Kommission, die ihrerseits im vorparlamentarischen Raum angesiedelt ist, was ihr — allerdings eher in der Vergangenheit als in der Gegenwart — den Vorwurf eingetragen hat, den „Kammerstaat“ Österreich, wenn nicht sogar den Ständestaatgedanken zu dokumentieren. Ist, so gesehen, der Beirat dank seiner Zusammensetzung aus beamteten (und damit weisungsgebundenen) Vertretern der großen gesetzlichen oder freiwilligen Interessenvertretungen quasi der Braintrust eines Ständestaates?

Unerörtert darf hier bleiben, ob die staatsrechtliche Problematik der Paritätischen Kommission und unmittelbar auch des Beirates nicht eher darin liegt, daß die eigentlichen Entscheidungen — auch über die Betrauung des Beirates für Wirtschafts- und Sozialfragen mit konkreten Untersuchungsaufgaben und die Veröffentlichung der Untersu-chunigsergebnisse — nicht in den Sitzungen der Paritätischen Kommission, die durch die Teilnahme des Bundeskanzlers und der sachzuständigen Minister zumindest lose in die Verfassung eingebunden ist, sondern in den vor diesen Sitzungen stattfindenden sogenannten Präsidentenbesprechungen fallen, bei denen die Spitzenrepräsentanten der Interessenvertretungen unter sich sind. Vielmehr geht es im Rahmen der hier anzustellenden Überlegungen nur um die Frage, ob die bisher praktizierte Zusammensetzung des Beirates ausschließlich aus beamteten Interessenvertretern optimal ist oder ob der Beirat, wäre er anders zusammengesetzt, fruchtbarere Arbeit leisten könnte.

Diese Frage muß sich schon deshalb aufdrängen, weil diese Konstruktion international ein Unikat ist: Die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik setzen ihre (allerdings dem Präsidenten bzw. der Regierung zugeordneten) wirtschaftlichen Beratungsgremien aus wei-

sungsungebundenen Wissenschaftlern zusammen — wobei es in Deutschland allerdings üblich ist, daß eines der Mitglieder des fünfköpfigen Sachverständigenrates den Gewerkschaften nahesteht —, und in den Niederlanden meinte man der Gefahr einer Polarisierung der Meinungen im Sozialökonomischen Rat damit begegnen zu müssen, daß ein Drittel der Mitglieder von der Krone ernannt wird.

Nach zehnjähriger Beiratstätigkeit darf wohl — zumindest aus dem Blickwinkel des außenstehenden, aber interessierten Beobachters — konstatiert werden, daß die eben skizzierte Gefahr weniger in der paritätischen Zusammensetzung des

Beirats als bisweilen in der Weisungsgebundenheit beamteter Vertreter liegt. Mit anderen Worten: Die an sich wenigen Fälle, in denen sich der Beirat nicht auf einstimmige Empfehlungen einigen konnte (so daß im Bericht an die Präsidenten abweichende Voten vermerkt werden

mußten), und die schon weit häufigeren Fälle, in denen die Einstimmigkeit mit dem Verzicht auf dezidierte Aussagen und präzise Vorschläge erkauft werden mußte, erklären sich seltener aus unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beiratsmitgliedern als aus der Rücksichtnahme der beamteten Experten auf die (bisweilen niedrigen) Grenzen des den Funktionären der jeweiligen Interessenvertretung Zumutbaren.

Das hat neben vielen anderen Gründen auch einen unmittelbar aus

der Beiratsarbeit entspringenden: Wenn die Funktionäre manchmal zögern, Vorschlägen des Beirats ihr Placet zu geben, kann das durchaus auch daran liegen, daß ihnen das problembezogene und weitestgehend entemotionalisierte Gesprächsklima im Beirat fremd ist; insofern kom-

men die Widerstände und Querschüsse gegen Beiratsempfehlungen meist auch gar nicht von den Präsidenten, die ihrerseits untereinander ein ähnliches Klima des gegenseitigen Verständnisses entwickelt haben, sondern eher von den oft engstirnigeren Funktionären der zweiten Ebene.

Wenn dennoch immer wieder der Vorschlag auftaucht, die Beiratskonstruktion zu ändern — zuletzt hat Generalrat Karl Ausch für die Einbeziehung unabhängiger Fachleute plädiert —, so richtet sich die Kritik (ob berechtigt oder nicht) im Grunde

nicht gegen den Beirat, sondern gegen die Paritätische Kommission, deren Tätigkeit damit steht und fällt, daß keine autonome Interessenvertretung überstimmt werden kann. Daraus folgt aber auch, daß sich die großen Interessenvertretungen an Beiratsempfehlungen nur dann gebunden fühlen werden, wenn auch diese Empfehlungen unter strikter Einhaltung dieses Autonomieprin-zips zustande kommen.

Eben die Durchbrechung dieses Prinzips aber erhofften sich die Kritiker der bisherigen Beiratszu-sammensetziung von der Einbeziehung nicht weisungsgebundener Experten (und zwar als stimmberech-

tigte Mitglieder; in bloß beratender Eigenschaft nehmen solche Fachleute seit jeher an der Beiratsarbeit teil). Was würde es aber nützen, wenn ein anders zusammengesetzter Beirat zu ökonomisch richtigeren oder zumindest kompromißloseren Empfehlungen käme, die großen Interessenvertretungen jedoch nicht im Traume daran dächten, sich an solche „akademischen“ Empfehlungen selbst in jenem gewiß beschränkten Maß zu halten wie bisher an die Vorschläge eines vielleicht nicht theoretisch optimal, aber realitätsgerecht zusammengesetzten Wirtschaftsbeirates?

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