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Ein Sachverständigenrat aus einem Wiener Kaffeehaus

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Vor 30 Jahren, exakt am 18. November 1963, hat sich am Stubenring 12 in Wien, damals Sitz der Wirtschaftskammer, der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen konstituiert.

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Vor 30 Jahren, exakt am 18. November 1963, hat sich am Stubenring 12 in Wien, damals Sitz der Wirtschaftskammer, der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen konstituiert.

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Das österreichische Regierungssystem der Koalition der beiden großen Parteien war in eine Pattstellung geraten, sie war damit nicht nur auf zunehmende Kritik gestoßen, sondern hatte auch an wirtschaftspolitischer Effizienz verloren.

Dies äußerte sich in immer häufiger beiseite geschobenen Problemen, sobald es darum ging, unpopuläre Entscheidungen in gemeinsamer Verantwortung zu treffen. Es schien sich eine politische Erfahrung zu bestätigen, die Otto Bauer zugeschrieben wird, daß es - auf Grund der Zwischenkriegserfahrungen - das Schlimmste sei, was einem Volk ge-srhphpn könnf von zwpi ptwa trleinh starken Parteien regiert zu werden.

Das Unbehagen über den praktizierten politischen Stil ging quer durch alle Lager. Daher bestand in weiten Kreisen der Wille, das Niveau der wirtschaftspolitischen Diskussion zu heben, Argumente sachlicher zu prüfen, Widersprüche auszuräumen und Interde-pendenzen zu berücksichtigen. Dieses Bedürfnis zu befriedigen, überfordert die im Tagesgeschehen engagierten Politiker. Ihm dient die fachkundige Politikberatung. Sie war im westlichen Ausland zu einer Einrichtung geworden, die -wenn auch von Land zu Land verschieden - die föderalistische Parteiendemokratie sinnvoll erfänzt: vom „Council of conomic Advisors” des US-Präsidenten seit 1946 bis zum deutschen „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung” im Jahre 1963. Diese Erfahrungen wurden in Österreich eingehend studiert. Daß es auf diesem Gebiet auch hierzulande ungenützte Kooperationschancen gegeben hat, lehrte die informelle „Kaffeehausrunde”, die am häufigsten im Cafe Landtmann - auf Initiative des Leiters der Wirtschaftspolitischen Abteilung der Wiener Handelskammer, Max Mi-tic, theoretisch geschulte Fachleute der Arbeiterkammer, der Handelskammer und der Gewerkschaften sowie interessierte Journalisten zum regelmäßigen Gedankenaustausch zusammengeführt hatte. Einige hatten sich schon im wirtschaftswissenschaftlichen Doktoranden- beziehungsweise Post-Graduate-Se-minar von Professor Pütz mit den damals für Osterreich neuen wirtschaftspolitischen Methoden, vor allem der Denkschule der Ziel-Mittel-Analyse vertraut gemacht. Sie brannten darauf, das Gelernte auf die Lösung österreichischer Probleme anzuwenden. Zunächst wurde auf der einen Seite die Bedrohung der Marktwirtschaft durch technokratische Planifikation oder überhaupt die Einengung der innenpolitischen Spielräume befürchtet. Die Front der Zögerer verlief quer durch die Interessenvertretungen. Julius Raab - damals wieder Präsident der Bundeskammer und Meister der Entscheidungskunst mit politischem Fingerspitzengefühl - konnte erst im Sommer 1963 gewonnen werden, hat dann aber mit einer lakonischen Grußkarte aus seinem Urlaubsort Obladis in Tirol dem damaligen Generalsekretär der Bundeskammer, Alfred Wakolbinger, seine Zustimmung gegeben. Auch die Landwirtschaft, die sich durch den rapiden Strukturwandel in die Defensive gedrängt sah, brauchte Zeit, um für die Lösung ihrer Probleme an der Bei-ratsidee Geschmack zu finden.

Entwicklungstrends

Anders als Präsident Maisei vom Arbeiterkammertag war Gewerkschaftspräsident Anton Benya (mit seinem volkswirtschaftlichen Referenten Heinz Kienzl, später Generaldirektor und Vizepräsident der Nationalbank) der stärkste Verbündete, der den Vorteil außer Streit gestellter volkswirtschaftlicher Daten und Zusammenhänge für die Gewerkschaftspolitik, insbesondere für die schwierige innergewerkschaftliche Koordination erkannt hatte, wenngleich dem ÖGB eine Konzeption nach dem Muster der französischen Planifikation vorgeschwebt war.

Die Aufgabe des Beirats wurde dahin umrissen, Untersuchungen mit dem Ziel anzustellen, wirtschafte- und sozialpolitische Fragen unter gesamtwirtschaftlichen Aspekten zu behandeln und Empfehlungen auszuarbeiten, die zur Stabilisierung der Kaufkraft des Geldes, zu einem stetigen Wirtschaftswachstum und zur Vollbeschäftigung beitragen. Er soll seinen Vorschlägen objektivsachliche Unterlagen zu Grunde legen und die erkennbaren Entwicklungstrends der österreichischen Volkswirtschaft berücksichtigen.

Der Beirat hatte keine politischen Entscheidungen vorwegzunehmen, aber Kosten und Konsequenzen von Alternativlösungen aufzuzeigen und nicht nur Konjunktur-, sondern auch Strukturprobleme zu behandeln. Durch die Mobilisierung aller geistigen Ressourcen und die Intensivierung und Institutionalisierung des Kontaktes mit den Wirtschaftswissenschaften sollte die Wirtschaftspolitik zielstrebiger gemacht werden.

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