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Statt Ideologie — Bürokratie

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Ein wesentliches Merkmal der letzten Fassung des Programms zur Reform der österreichischen Wirtschaft ist, daß extreme Formulierungen mit doktrinärem Gehalt nicht mehr hervortreten, da sie, wie etwa die aus altem marxistischen Sprachschatz stammende Behauptung, daß die konservative Seite, lies ÖVP, dem Staat nur eine Nachtwächterrolle zugestehen wolle, einfach gestrichen wurden.

Als Ersatz für das in sozialistischen Programmen sonst immer eingebaute ideologische Korsett durchzieht dieses Wirtschaftsprogramm die Forderung nach einer Fülle von neuen bürokratischen Institutionen, Behörden, Ämtern und Räten, die entweder neu geschaffen werden oder durch den Ausbau verschiedener bereits bestehender Einrichtungen erst ihre wahre Funktion bekommen sollen. So soll eine neue Planungsbehörde einem künftigen Wirtschaftsministerium unterstellt (Kapitel 2, Punkt 13), ein Forschungsrat (8/30), ein Beirat für Energie (4/41) und ein Außenhandelsrat (7/39) geschaffen werden, während bewährte Institutionen, wie der „Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen“ (2/12), der Verein für Konsumenteninformation durch Gründung eines Verbraucherrates (2/23) und die Arbeitsmarktverwaltung, lin eine Selbstverwaltungskör- perschaft umgestaltet werden sollen.

Planung ohne statistische Unterlagen

Gleich nach der Einleitung und damit an zentraler Stelle wird der Fragenkomplex der Planung und des Wettbewerbs behandelt. Als anzusteuernde Ziele einer fortschrittlichen Wirtschaftspolitik werden ein ausreichendes Wirtschaftswachstum, die Sicherung der Vollbeschäftigung, die Steigerung des Anteils der Arbeitnehmer am Sozialprodukt und die Erhaltung eines möglichst stabilen Preisniveaus angeführt. Auf den für eine längerfristige Sicherung dieser Ziele notwendigen Ausgleich der Zahlungsbilanz wurde bei der Aufzählung dieser Ziele allerdings vergessen.

Genau werden dann drei Methoden der Prognose angeführt und erklärt, wobei zwei zugegebenermaßen aus Mangel an statistischen Daten nicht angewendet werden können und von der dritten, die auf

Arbeitskräfte-Produktivitäts-Pro- jektionen basiert, ebenfalls zugegeben werden muß, daß die Schätzung der Beschäftigungsstruktur auf der sie u. a. basieren, sehr schwierig ist. Die zur Überprüfung ihrer Wider- spruchslosigkeit angeführten Tests sind problematisch.

Auf dem Gebiet der Wettbewerbspolitik wird eine neue Gewerbeordnung, eine Verschärfung des Kartellgesetzes und eine Beseitigung der Sonderstellung der Kredit- und Versicherungsunternehmen gefordert.

Mit dem Schlagwort „Modernisierung“ versucht die Opposition die für die SPÖ wahrscheinlich unbeantwortbare und gefährlichste Frage zu umgehen. Die Frage: Wie soll das Defizit gedeckt und mit welchen Mitteln sollen die Ziele des Reformprogramms erreicht werden? Beispielsweise wird der durchschnittliche Jahresaufwand für Infrastruktur investitionen auf 45 Milliarden

Schilling geschätzt, während noch

1965 nur 19 Milliarden Schilling aufgewendet werden konnten.

Bei einem Vergleich der vorletzten Fassung des dritten Kapitels mit der veröffentlichten letzten fällt auch auf, daß alle positiv klingenden Formulierungen. wie etwa „der Durchbruch zum Wohlfahrtsstaat wurde erzwungen“, „der österreichische

Staat ist zu einem Sozialbankier geworden“ und „der Staat hat die Aufgabe, zu verhindern, daß unbeschadet steigenden Wohlstands die öffentlichen Dienstleistungen vernachlässigt werden“, bei der neuen Fassung ausgelassen wurden. Den steigenden Wohlstand sowie den Durchbruch zum Sozialstaat zu erwähnen, schien den Zensoren, die die Endfassung redigierten, wohl nicht mehr opportun.

Im Punkt 4 dieses Kapitels wird eine Modernisierung der Einnahmenstruktur gefordert, da „den indirekten Steuern mit 45 Prozent der unter Einschluß der Sozialversicherungsbeiträge berechneten Gesamtsteuereinnahmen allzu große Bedeutung zukommt“. Vergleichsweise wird dann angeführt, daß zum Beispiel der Anteil der indirekten Steuern in der deutschen Bundesrepublik bei 40 Prozent liegt. Überprüft man diese oben erwähnten 45 Prozent, indem man zu den Bruttoeinnahmen aus direkten und indirekten Steuern die um den Bundeszuschuß verminderten Sozialversicherungseinnahmen addiert und dann den Prozentsatz der indirekten Steuern errechnet, so ergibt sich folgendes Bild für 1966:

Man kann daraus ersehen, daß in Österreich der Anteil der indirekten Steuern nur unwesentlich von jenen 40 Prozent entfernt liegt, durch welche die BRD als beispielhaft erscheint.

Das Spiel mit dem Datenmaterial

Wenn einem kritischen Leser auch nicht der statistische Apparat der sozialistischen Fachleute zur Verfügung steht, so erkennt er in diesem sich wissenschaftlich gebenden Programm deutlich, daß man mit dem Datenmaterial geschickt gearbeitet hat. Außerdem ist die Überprüfbarkeit noch dadurch erschwert, daß man öfter — wie in obigem Beispiel — nicht sagt, auf welches Jahr sich die Prozentzahlen beziehen und aus welchen Quellen das verwendete Zahlenmaterial für Österreich und für den internationalen Vergleich stammt.

Wenn im Punkt 12 behauptet wird, daß die strukturellen Budgetdefizite das Ergebnis einer konservativen Budgetpolitik sind, die vor allem den Interessen von Beziehern hoher Einkommen und großer Vermögen dient, so müßte man objektiverweise hinzufügen, daß die Ausgabenexpansion in erster Linie den Beziehern von

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