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POLITSHOW UM DAS NEUE MIETRECHT

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Das Statistische Zentralamt wartet mit einem Knalleffekt auf: Es gibt nicht einige hunderttausend Wohnungen zu wenig, sondern exakt 155.907 zu viel. Da sie weder als Zweit- noch als Wochenendwohnungen benützt werden, stehen sie offensichtlich leer.

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Das Statistische Zentralamt wartet mit einem Knalleffekt auf: Es gibt nicht einige hunderttausend Wohnungen zu wenig, sondern exakt 155.907 zu viel. Da sie weder als Zweit- noch als Wochenendwohnungen benützt werden, stehen sie offensichtlich leer.

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Die Häuser- und Wohnungszählung 1991 in der Februarnummer der „Statistischen Nachrichten" legt eine Fährte zu brisanten Sachverhalten; aufgenommen werden sollte sie von publizistischen Spürhunden.

Der erste Knalleffekt: Es gibt nicht um einige hunderttausend Wohnungen zu wenig, sondern in ganz Österreich um 425.667 oder 14,3 Prozent und in Wien um 114.129 oder 15,4 Prozent mehr, als dauernd benutzt werden. Wegen der Bedeutung, die das für die Mandats- und - noch wichtiger - für die Finanzmittelverteilung hat, wurde bei der Totalerhebung im Mai 1991 nämlich auch gefragt, ob die ins Zählblatt eingetragene Wohnung der Hauptwohnsitz sei, und in 8,28 Prozent (Oberösterreich) bis 16,15 Prozent der Fälle (Burgenland) wurde dies verneint.

Die 425.667 Wohnungen, die nicht zugleich Hauptwohnsitz sind, setzen sich aus 152.097 Zweitwohnungen, die mehroder weniger regelmäßig als „Nebenwohnsitz" benützt werden, 84.219 vorwiegend vom Besitzer benützten Ferien- oder Wochenendwohnungen, 33.444 vorwiegend vermieteten Appartements (davon zwei Drittel in den Fremdenverkehrsländern Tirol, Kärnten, Vorarlberg und Salzburg) und 155.907 Wohnungen zusammen, die weder Zweit- noch Wochenendwohnungen sind, also offensichtlich leerstehen.

Die zusammen 308.000 nicht oder nicht ständig benützten (Dauer-) Wohnungen gegen die angeblich etwa ebensovielen Wohnungssuchenden-wieviele es wirklich sind, weiß kein Mensch, weil sich Wohnungssuchende häufig nicht nur an einer Stelle vormerken - kurzerhand aufzurechnen, wäre genauso demagogisch wie jeder unterschwellige Versuch, einen Kausalzusammenhang zwischen zwei ebenfalls etwa gleich großen Zahlen herzustellen: den 251.157 Arbeitslo-sefi und den 260.600 ausländischen Arbeitskräften im Dezember 1992.

Nichts mit Demagogie zu tun hat aber die Vermutung, daß auf beiden Seiten der - sei es Gleichung, sei es Ungleichung-niedrigere Zahlen stünden, wenn

1. das Entgelt für eine nicht oder nicht dauernd benützte Wohnung stärker ins Gewicht fiele. So aber kostete 1991 beispielsweise in Wien-Währing eine Kategorie-B-Wohnung in der Durchschnittsgröße von 68 Quadratmetern alles in allem 2.116 Schilling. Soviel bezahlt man leicht für das Hotelzimmer, wenn man zweimal im Monat mit der Gattin in Wien die Oper, ein Theater oder einen Ball besucht hat.

. 2.Wenn mit befristeten Mietverträgen oder damit, daß im Falle des Eigenbedarfes auch unbefristete Mietverhältnisse mit einer angemessenen Frist, aber ohne Ersatzbeschaffung gekündigt werden dürfen, die Möglichkeit geschaffen wird, Wohnungen, die für die Hausstandsgründung des Sohnes oder der Tochter „gehortet" werden (und das oft ein, zwei Jahrzehnte lang), bis dahin zu vermieten. An Nachfrage wird es nicht mangeln, denn häufig ist nur die Zeit bis zum Umzug in ein Eigenheim zu überbrücken, oder das junge Paar rechnet von vornherein damit, sich nach einer anderen Wohnung umzusehen, sobald die Familie wächst.

Größere Familien sind in ganz Österreich so selten, daß die vielen Einpersonenhaushalte den Durchschnittsbelag der Haupt wohnsitze auf 2,57 Personen drückt. Die Skala reicht von 2,04 im besonders überalterten Wien bis 2,92 in Vorarlberg. Das ergibt je Bewohner eine durchschnittliche Nutzfläche von 33 Quadratmeter, um fünf Quadratmeter mehr als 1981 und nunmehr etwa internationaler Durchschnitt:

1985 beziehungsweise 1986 ebenfalls 33 Quadratmeter in Belgien und in Norwegen sowie 34 Quadratmeter in Frankreich und in Finnland und 32 Quadratmeter in Luxemburg. Deutlich darüber lagen die Schweiz mit 38 Quadratmeter, die Bundesrepublik mit 39 Quadratmeter und die USA mit 57 Quadratmeter, deutlich darunter Italien mit 27 und Japan mit 26 Quadratmeter je Bewohner. (Die angegebenen Werte stimmen nur annähernd, weil sie aus drei - teils gerundeten -Angaben errechnet werden mußten: Wohnungszahl, Zahl der Wohnräume je Wohnung, Zahl der Bewohner je Wohnraum.)

Nicht wirklich überraschend ist hingegen ein zweites Faktum, das die Zählung zutage gefördert hat: Nur noch 38,7 Prozent aller Wohnungen sind (als Hauptwohnsitz benützte) Mietwohnungen.

In sechs Bundesländern liegt der Anteil derMietwohnungenjedoch nur bei etwa einem Viertel, in Niederösterreich bei einem Sechstel und im Burgenland bei einem Vierzehntel. Dafür, daß insgesamt fast vier von je zehn Wohnungen Mietwohnungen sind, sorgt allein Wien mit einem 61,5prozentigen Anteil. Noch höher ist mit 64,7 Prozent der Mietwohnungsanteil in Linz, hingegen beträgt er in Graz nur 40,2 Prozent.

Das bedeutet aber auch, daß das endlose Tauziehen um eine Neugestaltung des Mietrechtes eine fast nur für Wien abgezogene Politshow ist. Selbst innerhalb von Wien hängt es vom Bezirk ab, ob die Mieter beziehungsweise die Vermieter eher das „Nachziehen" der Kategorie-D-Mieten oder das Einbremsen der Katego-rie-A-Mieten tangiert:

In Rudolfsheim-Fünfhaus, Otta-kring und Hernais beträgt der Anteil der Substandardwohnungen noch 37,6 Prozent (hingegen in Liesing bloß 6,0 Prozent). Dagegen erreicht in den Bezirken 21 bis 23 wegen der dort besonders regen Neubautätigkeit der Anteil der Kategorie-A-Wohnungen mit 80,8 Prozent einen einsamen Spitzen wert. (Wien-Durchschnitt 61,5 Prozent, Österreich-Durchschnitt 57,8.)

Redigierter Beitrag aus: Finanznachrichten vom 11. März 1993.

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