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Deportation des Mittelstandes

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Erheblich bedenklicher als die ökonomischen Folgen sind die sozialen. Es werden durch das Gesetz eine Reihe von Ungerechtigkeiten konstituiert, die keineswegs eine symbolische Bedeutung, sondern für die Lebenshaltung der betroffenen Familien sehr spürbare Folgen haben werden. Der Wohnbedarf ist ein gesellschaftlicher Zwangsbedarf (Fr. von Wieser), eine Art gesellschaftlicher Selbsteinschätzung. Darüber hinaus steht aber die von der Neuregelung betroffene Wohnung mittlerer Größe für Familien mit Kindern und für Intellektuelle im Rang eines Existenzgutes. Die Wohnungsbeihilfe geht jedoch von einer Wohnungsgröße aus, die weder für eine Familie mit mehr als einem Kind noch für Intellektuelle ausreichend ist. Die Größe der vom Einkommensbezieher zu erhaltenden Familie bleibt bei Bemessung der Wohnungsbeihilfe unberücksichtigt. Den Familienerhaltern wird (welch ein Trost!) eine .künftige“ Regelung in Aussicht gestellt. Gleichzeitig aber werden alle Doppelverdiener, ganz besonders ohne Kinder, begünstigt, bekommen sie doch die Wohnungsbeihilfe zweimal, obwohl sie keine* größere Wohnung benötigen, und damit an der Wohnungsbeihilfe richtig verdienen.

Scheinbar aber ist der Gesetzgeber der Ansicht, daß kinderlose, doppelver-dienende Ehepaare in die größeren Wohnungen gehören, während Familien mit Kindern strafweise in Kleinstwohnungen verwiesen werden.

Ob gewollt oder nicht, der Effekt wird in vielen Fällen wohl auf Dauer der angedeutete sein.

Personen, die überhaupt keine Mietzinserhöhung zu tragen haben (40 Prozent der Mieter in Wien), erhalten ebenfalls eine Beihilfe, ebenso Hausherren, die zugleich Dienstnehmer sind (dies ist wohl die> einzige Form von echter „Hausherrenrente“, welche das Gesetz schafft).

In nicht wenigen Fällen werden als Folge der Mietzinssteigerung die Mieter in Althäusern — auch in solchen, die wegen ihres Alters schon im „Grieben“ stehen — mehr zahlen müssen als in modernen Häusern.

Ein Arbeitervertreter (!) hat die Hoffnung ausgesprochen, daß die Mietzinserhöhung bei größeren Wohnungen die Mieter zur Aufgabe ihrer Wohnung zwingen werde. Ein Tausch ist aber in Hinkunft bei gewissen Wohnungskate-gori%n nicht leicht möglich, da sich wenige bereit finden werden, alte Wohnungen zu Höchstpreisen gegen ihre billigeren Wohnungen einzutauschen, ganz abgesehen davon, daß etwa eine Wohnung am Stephansplatz heute keine zentrale Lage aufweist, muß man doch von dort zur Straßenbahn ebenso lang gehen wie ein Bewohner des Bruckhaufens. Den betroffenen Mietern wird zum Teil nichts übrigbleiben, als ihre Wohnungen gegen Elendswohnungen einzutauschen.

Auf diese Weise deportiert man nun „amtlicherseits“ Teile des sogenannten Mittelstandes indirekt in Elendswohnungen.

In die freigewordenen Wohnungen werden aber beileibe keine Arbeiter einziehen, sondern die neuen Reichen und die gewissen „armen“ Flüchtlinge aus dem Osten, die auch jetzt schon in der Lage sind, an die fünfhundert Schilling für ein Untermietzimmer zu zahlen. Man darf auch nicht außer acht lassen — wenn wir schon die neuen Reichen nennen —, daß in den letzten Jahren Wohnhäuser von Spekulanten billigst erworben wurden. Diese Häuser erhalten nun einen erhöhten Ertrags- und damit auch Veräußerungswert. Die Ansätze der Vermögenssteuer gehen von den oft lächerlich geringen Einheitswerten aus. Dem Spekulanten fließen so in vielen Fällen ohne eigenes Zutun größtenteils unversteuert nicht unerhebliche Werte zu. Die Bewucherung der Untermieter wird durch die Novellierung des Mietengesetzes nicht unterbunden; die Mehrkosten werden selbstverständlich vom Hauptmieter überwälzt.

Gewisse Gesetze . werden — welche Voraussicht — bereits so formuliert, daß sie baldigst novelliert werden müssen. Das gilt auch für die besprochenen Bundesgesetze. Wir halten es daher nicht für verfrüht, schon jetzt für eine Neufassung der die Mietzinsbildung betreffenden Gesetze einige Vorschläge zu machen;

1. Die Kinderbeihilfe ist um ein Quartiergeld zu erhöhen.

2. Die Mietzinsabgeltung ist auf Basis des Stammentgelts und nicht starr zu berechnen.

3. Einheitliche Preisfestsetzung für alle Wohnräume unter Bedachtnahme auf moderne Ansichten über Güte und Lage.

4. Berücksichtigung der anteiligen Kosten eines Arbeitszimmers für einkommensteuerpflichtige Intellektuelle, die Dienstnehmer sind. Jeder Handwerker darf selbstverständlich die Kosten, die ihm für seine Betriebsräume erwachsen, gewinn- und damit steuermindernd absetzen. Nur dem Intellektuellen soll dies im Sinne der geistfeindlichen Gesetzgebung der zweiten Republik verwehrt werden.

5. Man kann annehmen, daß zusätzlich rund 500 Millionen pro Jahr für die Bauwirtschaft an Mehraufträgen erteilt werden. Dieser Kapitaleinsatz wirkt darüber hinaus kumulierend auf die nachgeordneten Wirtschaftszweige. Die Folge: Preisanstiege, welche neue Mietzinserhöhungen notwendig machen. Daher ist eine scharfe Preisüberwachung aller nunmehr besonders stark beschäftigten Gewerbezweige unerläßlich. Vollbeschäftigung ohne Kontrolle bei den zentralen Gütern führt zu Preisexzessen mit ihrer inflatorischen Wirkung.

6. Von einem Vertreter der Unternehmerinteressen wurde bereits in einer Wochenzeitung eine neue Mietzinserhöhung in Aussicht gestellt. Wenn die Vertreter der Arbeitnehmer in der ÖVP, welche diesmal an der Mietzinserhöhung initiativ beteiligt waren, glauben, mit gutem Gewissen in Hinkunft eine weitere Mietzinsvalorisierung vertreten zu können, dann nur, wenn a) im gleichen Ausmaß das Realeinkommen der Arbeitnehmer erhöht wird und b) wenn die oben angeführten Forderungen (1 — 4) erfüllt werden.

7. Da die Vermögenssteuer für die Häuser aus dem neuen Hauptmietzins abgedeckt werden kann, müßten die Valorisationsgewinne der Häuserspekulanten durch eine Sondersteuer von kon-fiskatorischem Charakter erfaßt werden.

8. Ansonsten dürften aber die E i n-heitswerte für die Miethäuser nicht erhöht werden, da sonst ein großer Teil des Meliorationsfonds zweckentfremdet für Vermögenssteuerzahlungen aufgebraucht wird.

9. Im Sinne einer Politik optimaler volkswirtschaftlicher Beschäftigung wäre es unrichtig, die Bauwirtschaft (die Streuung der Aufträge) ungelenkt zu lassen. Das heißt unter anderem, daß die Verbesserungsarbeiten insbesondere auf die Wintersaison konzentriert werden sollten.

Sosehr wir jeden Versuch begrüßen, der zur Entwirrung des Mietzinschaos beiträgt, müssen wir bedauernd feststellen, daß das neue Mietengesetz wohl den politisch gut vertretenen Baumeistern auf lange Zeit eine Sonderkonjunktur sichert, aber in Summe eine Unzahl sozialer Spannungen hervorrufen wird und leider durchaus auf der Linie der mittelstandsfeindlichen Haltung liegt, wie sie die Regierungspolitik fast aller europäischen Staaten nach 1945 auszeichnet.

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