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97.000 leere Wohnungen?

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Ende des vergangenen Jahres ging die vieldiskutierte Nachricht durch die verschiedenen Tageszeitungen, daß in Österreich 97.000 Wohnungen leerstünden. Diese Meldung fußte auf einer Veröffentlichung des Öster-

reichischen Statistischen Zentralamtes, nach der auf Grund der Häuser- und Wohnungszählung vom 21. März 1961 in Österreich „97.000 Normalwohnungen keine Wohnbevölkerung“ aufwiesen.

Gestützt auf diese Meldung wurde verschiedentlich die Meinung vertreten, daß die Wohnungsnot behoben oder zumindest weitgehend gelindert werden könnte, wenn diese „leerstehenden“ Wohnungen dem Wohnungsmarkt zugeführt werden könnten. Ist das richtig?

Drei Fragen von Bedeutung

Als „Normalwohnungen“ galten dem Statistischen Zentralamt alle Wohnungen, die sich nicht in Notunterkünften, Wochenendhäusern oder Almhütten befinden und nicht nur aus einem Einzelraum ohne jeden Nebenraum bestanden; sie wurden dann als „Wohnungen ohne Wohnbevölkerung“ ausgewiesen, wenn sie am Stichtag der Volks-,' beziehungsweise Häuser- und. Wohnungszählung nicht von ständig anwesenden oder nur vorübergehend abwesenden Personen bewohnt waren. Auf Grund dieser Definition wurden also Wohnungen von Personen, die zum Zählungszeitpunkt nur kurzfristig abwesend — zum Beispiel im Urlaub — waren, nicht als leerstehend gezählt.

Dabei erhebt sich nun die Frage: Können tatsächlich alle diese 97.000 Wohnungen dem Wohnungsmarkt zugeführt werden? Die Antwort wirft neue Fragen auf und läßt sich in drei Punkte gliedern:

• In welchen Häusern befinden sich diese leerstehenden Wohnungen, das heißt, welchen Wohnungstypen gehören sie an? Das ist insofern von Bedeutung, als ja die 97.000 Wohnungen nicht nur in Mietwohnungen, sondern auch in Bauern- oder Sommerhäusern liegen, die begreiflicherweise nicht zur Abdeckung eines Wohnungsbedarfes herangezogen werden können.

• Wo befinden sich die leerstehenden Wohnungen? Auch diese Frage ist von Bedeutung, da die 97.000 Wohnungen ja nicht nur in den Zentren der Wohnungsnot, sondern auch in entlegenen Grenzgebieten liegen. Es wird wohl niemand ernsthaft die Möglichkeit in Betracht ziehen, das Wohnungsproblem beispielsweise in Linz durch leerstehende Wohnungen im Mühlviertel lösen zu wollen.

• Wie sehen diese Leerwohnungen aus, das heißt sind sie ausstattungs-beziehungsweise bauzustandsmäßig so, daß sie als „beziehbar“ angesprochen werden können?

Echte und unechte Zahlen

Für die Beantwortung der ersten Frage ist es zunächst wichtig, die Wohnungstypen abzugrenzen, die für den Wohnungsmarkt nicht in Betracht kommen. Dies sind vor allem die Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern (das sind im wesentlichen die in den Veröffentlichungen des Österreichischen Statistischen Zentralamtes „nichtlandwi-tschaftliche Wohnhäuser mit einer und zwei Wohnungen“ bezeichneten Häuser) sowie die Wohnungen in Bauernhäusern (in der Statistik „landwirtschaftliche Wohnhäuser“ genannt). Diese beiden Wohnungstypen können auf Grund ihrer

strukturellen Eigenart nicht zur Dek-kung des Wohnungsbedarfs herangezogen werden. So verbleibt eigentlich nur die Gruppe der Mietwohnungen (wobei es sich in der Hauptsache um die in der nachfolgenden Tabelle

„Wohnungen in nichtlandwirtschaftlichen Wohnhäusern mit drei und mehr Wohnungen“ genannten Typen handelt).

Beträchtet man nun die Österreichergebnisse der obigen Tabelle, so zeigt sich, daß darin zirka 15.700 leerstehende Wohnungen in Bauernhäusern, 36.500 in Ein- und Zweifamilienhäusern und 39.600 Mietwohnungen aufscheinen. Bei den 5100 Wohnungen in „sonstigen Häusern“ handelt es sich in der Hauptsache um Dienst- und Naturalwohnungen, bei denen eine freie Verfügbarkeit nur in den wenigsten Fällen gegeben ist und die daher für den Wohnungsmarkt ohne Belang^ sind.

Betrachtet man also die „97.000 Leerwohnungen“ von diesem Gesichtspunkt aus, so verringert sich die Zahl auf rund 40.000 Wohnungen. Wie sich diese Wohnungstypen auf die einzelnen Bundesländer verteilen, soll die obige Übersicht zeigen. Dabei fällt vor allem auf, daß von den zirka 40.000 Mietwohnungen (in der Tabelle Wohnungen in „nichtlandwirt-schaftlichen Wohnhäusern mit drei und mehr Wohnungen“ genannt) fast die Hälfte in der Bundeshauptstadt liegt. Die vermutlichen Gründe für diese relativ große Zahl sollen noch im letzten Abschnitt erörtert werden.

Ergibt sich also bereits bei Betrachtung der ersten Frage, daß die für praktische wohnungspolitische Überlegungen beträchtliche Zahl von 97.000 Leerwohnungen auf rund 40.000 tatsächlich für den Wohnungsmarkt in Betracht kommende Wohnungen gesunken ist, so vermindert sich

diese Zahl bei Beantwortung der zweiten Frage um einen weiteren, nicht unbeträchtlichen Teil.

Die örtliche Lage

Wie bereits erwähnt, sind herstehende Wohnungen nur in den Gebieten von wohnungspolitischem Interesse, in denen ein Wohnungsbedarf besteht. Ohne hier auf die differenzierte Problematik derartiger Bedarfsschätzungen eingehen zu wollen, sei hier nur auf die bei der Häuser- und Wohnungszählung 1951 verwendete

relativ einfache Methode verwiesen, die auf der sozialpolitischen Forderung „jedem Haushalt eine Wohnung“, das heißt auf einer Gegenüberstellung von Haushalten und Wohnungen basiert, wobei die Differenz als Wohnungsüberschuß beziehungsweise Wohnungsbedarf zählt. Obwohl diese Methode der heutigen in zunehmendem Maße auch qualitative Aspekte erforderlichen Wohnungssituation nicht mehr ganz Rechnung trägt, so genügt sie doch zur Charakterisierung der Problematik der leerstehenden Wohnungen.

Nur Mietwohnungen berücksichtigt

Da also — wie erwähnt — für den Wohnungsmarkt nur die Mietwohnungen, und diese wieder nuij in Gebieten mit einem Wohnungsbedarf zur Beseitigung der Wohnungsnot in Betracht kommen, so verringert bich die Zahl der 40.000 leerstehenden Mietwohnungen weiter. Endgültige Zahlen über die Verteilung dieser Wohnungen auf die Gemeinden imit Wohnungsbedarf liegen derzeit rioch nicht vor. Doch dürfte die Zahl yon rund 30.000 leerstehenden Mietwoh-

nungen in Gemeinden mit einem Wohnungsdefizit nur unwesentlich von den endgültigen Ergebnissen abweichen.

„Wohnung“ ist nicht Wohnung

Eine weitere Verminderung der Zahl der tatsächlich verwertbaren leerstehenden Wohnungen ergibt sich bei der Prüfung der Beschaffenheit dieser Wohnungen. Leider liegen darüber keine amtlichen statistischen Zahlen vor, doch dürfte man in der Annahme

nicht fehlgehen, daß mindestens zwanzig Prozent dieser Wohnungen den heutigen Mindestanforderungen nicht mehr genügen dürften. Diese Annahme wird durch die Tatsache erhärtet, daß vom Gesamtwohnungsbestand Österreichs rund ein Drittel in einer Publikation des Östereichischen Statistischen Zentralamtes als „schlecht ausgestattet“ (das heißt ohne Wasseranschluß und WC innerhalb der Wohnung) ausgewiesen wurde. Daß solche dem heutigen Standard nicht mehr entsprechende Wohnungen nicht zur Entspannung der Wohnungsversorgung beitragen können, dürfte daher außer Zweifel stehen. Dies dürfte auch — neben anderen Ursachen — einer der Gründe sein, warum in Wien rund 18.400 Mietwohnungen vom österreichischen Statistischen Zentralamt als „ohne Wohnbevölkerung belegt“ ermittelt wurden.

Zieht man alle diese Überlegungen in Betracht, so ergibt sich, daß von den 97.000 leerstehenden Wohnungen nur höchstens 25.000 tatsächlich zur Abdeckung des Wohnungsbedarfs herangezogen werden können, wobei diese Zahl eher zu hoch als zu niedrig zu werten ist. Mögen diese Leerwohnungen auch in einigen Gemeinden tatsächlich für eine Entspannung der Wohnungssituation ins Kalkül zu ziehen sein, so ist doch eine fühlbare Auswirkung auf die Wohnungssituation in Österreich von dieser Seite nicht zu erwarten.

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