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Schlechte Propheten

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„Wir werden um 5000 Wohnungen lm Jahr mehr bauen“, erklärte Bundeskanzler Dr. Kreisky bereits lm Februar 1970 vor seinem ersten Wahlsieg bei einer Wahlveranstal- tung in Wien-Ottakring. Das SPÖ- Wohnbauprogramm, ein Teil des großen Wirtschaftsprogramms, verhieß bis zum Jahre 1980 die Wohnbauleistung in Österreich auf 100.000 Wohnungen pro Jahr hinaufzutreiben.

Die 1400 Fachleute, die am SPÖ- Wirtschaftsprogramm gearbeitet haben sollen und damit auch für die großzügige Wohnbauprognose verantwortlich zeichnen, dürften sich aber bei dieser Prophezeiung allzu sehr auf die österreichische Wohnbaustatistik verlassen haben, ohne nach ihren Hintergründen zu forschen. Denn schon die Ausgangsposition für die Erreichung des Traumzieles von 100.000 Wohnungen im Jahre 1980, nämlich 50.000 fertiggestellte Wohnungen für 1970, erwies sich als großzügige Illusion.

Bereits Mitte Juni ließ das Statistische Zentralamt etwas über die Wohnbauleistung 1970 durchsickern; statt der erhofften 50.000 Wohnungen wurden nur noch 44.980 Wohnungen ausgewiesen. Statt bei einer Steigerung war man nämlich bei einem Minus von mehr als acht Prozent angelangt. Und Wohnbaufachleute der Regierungspartei prophezeien für 1971 einen weiteren Rückgang.

Was Wohnbaufachleute besonders entsetzt, ist die Tatsache, daß der

Rückgang gerade jene Zentren betrifft, in denen immer noch eine qualitative Wohnungsnot besteht. So wurde in der Bundeshauptstadt Wien ein Minus von 30 Prozent ausgewiesen.

Die Prognose, man werde tun 5000 Wohnungen pro Jahr mehr bauen und die Wohnbauleistung weit über 50.000 Wohnungen hlnaufstei- gem, dürfte sich also kaum verwirklichen lassen; denn schon jetzt liegen die Baubewilligungen für jene Wohnungen vor, die für 1971/1972 und 1973 als fertigzustellende Wohnungen in der Statistik von einer Rubrik in die andere übersiedeln werden. Wenn man eine Bauzeit von zwei bis drei Jahren einkalkuliert, bedeutet das, daß 1972 und 1973 kaum mehr

Wohnungen gebaut werden als dies 1970 und 1971 der Fall war. Man rechnet eher sogar damit, daß durch die stark steigenden Baukosten ein weiterer Teil der Wohnbauleistung ebenfalls negativ beeinflußt werden könnte. Die Baubewilligungen zeigen im Jahre 1970 ebenfalls einen Rückgang um rund sieben Prozent, da statt 58.000 Wohnungen nur 54.000 genehmigt wurden. Interessant erscheint, daß der Baubewilligungsrückgang besonders stark in den Bundesländern Niederösterreich, Vorarlberg und Burgenland zu spüren ist, wo er zwischen 18 und 25 Prozent hält. Dabei liegt Österreich nach wie vor in der unteren Erfolgshälfte der Europatabelle, die vom sozialistisch regierten Schweden mit 13,6 Wohnungen je 1000 Einwohner angeführt wird, es folgen Dänemark mit 10,1 Wohnungen, die Niederlande mit 9,6 Wohnungen je 1000 Einwohner. Die weiteren Plätze: Schweiz, Frankreich, Bundesrepublik Deutschland. Vor Österreich aber rangieren auch noch Großbritannien, die ČSSR und Ungarn. Belgien, Jugoslawien und Italien liegen hinter Österreich, das mit 6,1 Wohnungen auf je 1000 Einwohner im Jahre 1970 einen deutlichen Schritt zurück gemacht hat.

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