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Wieviele Wohnungen fehlen uns?

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Die Frage, wieviele Wohnungen in Österreich fehlen, wurde in der letzten Zeit bei wohnungspolitischen Debatten zwar oft berührt, die dabei angegebenen Zahlen weisen jedoch die unwahrscheinlichsten Unterschiede auf. So konnte man die Feststellung: „Nur Inehr 50.000 Wohnungen fehlen!”, wenig später den Ausspruch: „Österreichs Wohnungsbedarf beträgt 200 000 Wohnungen”, und schließlich die Behauptung: „Das Wohnungsdefizit liegt bei 600.000 Wohnungen”, hören.

Welche dieser Zahlen ist nun die richtige?

Als Grundlage der Berechnung des Wohnungsbedarfs diente die sozialpolitische Norm: „Jedem Haushalt pine eigene Wohnung”. Diese relativ einfache Forderung, die weder die Größe der Haushalte, noch die Größe und Qualität der Wohnungen berücksichtigte, reichte in der Zeit der damals herrschenden großen quantitativen Wohnungsnot, in der viele Familien froh waren, überhaupt eine eigene Unterkunft zu besitzen, aus.

Bei diesen Berechnungen wurde gemeindeweise die Zahl der Privathaushalte der Zahl der Wohnungen gegenübergestellt und auf diese Weise Wohnungsdefizit bzw. Wohnungsüberschuß ermittelt. Da eine Aufrechnung von Gemeinden mit Wohnungsdefizit und Wohnungsüberschuß sinnlos ist — die Wohnungsnot in Linz kann nicht durch leerstehende Bauernhäuser im Mühlviertel behoben werden —, wurden die Gemeinden mit einem Woh- .nungsbedarf auf Landes- bzw. Bundesergebnisse aufsummiert.

Auf diese Weise ergab sich 1951 für ganz Österreich ein Wohnungsdefizit von 201.000 Wohnungen, 1955 ein solches von 167.000 Wohnungen. Wie die später folgende Tabelle 1 zeigt, lag der relativ höchste Wohnungsbedarf in den Bundesländern Wien, Oberösterreich und Salzburg. Besonders hoch war der Anteil in den ein- zelnert Landeshauptstädten, mit Ausnahme von Eisenstadt und Bregenz.

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„1 9 955- wAi&enZtUeri dar rV lksrn!bz r:i Häusern und Wohnungszählung 1961 an, so ergibt sich — bei gleicher Definition wie 1951 und 1955 — ein Wohnungsbedarf von zirka 54.000 Wohnungen, das heißt, der Wohnungsbedarf ist gegenüber dem Jahre 1955 auf ein Drittel abgesunken. Besonders auffallend ist dieses Absinken in der Bundeshauptstadt. Betrug hier der Wohnungsbedarf 1951 noch 65.000 und 1955 rund 63.000 Wohnungen, so sinkt er im Jahie 1961 auf 4700 Wohnungen. Eine ähnliche — allerdings weniger starke — Abnahme ergibt sich auch in fast allen übrigen Städten.

Es ergibt sich nun die Frage, ob diese Resultate des Jahres 1961 tatsächlich den heutigen Wohnungsbedarf widerspiegeln, das heißt, ob die Forderung „Jedem Haushalt eine Wohnung” auch heute noch genügt. Nimmt man aus der oben angeführten Tabelle Wien als Beispiel, so wird kaum jemand annehmen, daß mit 5000 zusätzlich erbauten Wohnungen jede Wohnungsnot in der Bundeshauptstadt beseitigt, wäre. Nimmt man die rein quantitative Methode der früheren Berechnungen als Grundlage, so spiegeln diese Zahlen keinesfalls den heutigen Wohnungsbedarf wider, das heißt aber, daß die Forderung, „Jedem Haushalt eine Wohnung”, der heutigen Zeit nicht mehr entspricht.

Die „geeignete” Wohnung

Die rein quantitative Ermittlungsmethode genügt also nicht mehr zur Bedarfsberechnung. Es ergibt sich daher die Frage, welche sozialpolitischen Forderurgen der heutigen Wohnungs- Situation gerecht werden können. Dabei erkennt-man, daß sich, basierend auf der heute vorherrschenden Norm: „Jedem Haushalt (bzw. jeder Familie) eine geeignete Wohnung”, vorwiegend q u a 1 i t a t i v e Beurteilungsaspekte als. notwendig erweisen.

Geht man von dieser Voraussetzung aus, so lassen sich folgende Faktoren für den Wohnungsbedarf einbeziehen:

• Haushalte, die in Not- und Behelfsunterkünften leben,

• Wohnungen, die mit zwei und mehr Haushalten belegt sind,

• Wphnungen,- die eine übermäßige Belagsdichte aufweisen, und schließlich

• Wohnungen, die den qualitativen Mindestanforderungen nicht mehr genügen, das sind die sogenannten Substandardwohnungen.

Über die erste Komponente, die in Not- und Behelfsunterkünften lebenden Haushalte, dürfte es keine Diskussion geben, da der Wohnungsbedarf dieser Personen eindeutig gegeben erscheint. Wie aus der Tabelle 2 hervorgeht, beträgt die Anzahl dieser Haushalte für ganz Österreich 67.700, das heißt, sie ist höher als der nach der quantitativen Methode für 1961 ermittelte Gesämtbedarf.

Die zweite Komponente, die mit zwei und mehr Haushalten belegten Wohnungen, bereitet schon Schwierigkeiten. Zunächst einmal, weil der Begriff „Haushalt” oft sehr subjektiv awfgefaßt wsrdenokatm -insbesortdejje bei ztaeammerilėbenden Familien bzW. fWtölJfentÄfen iHf weitfc ’WLfticIt sämtliche Haushalte — vor allem nicht sämtliche Einpersonenhaushalte — eine eigene Wohnung wünschen. Die Anzahl von 65.900 zur Abdeckung dieser Bedarfskomponente benötigten Wohnungen stellt demnach eine Maximalzahl dar.

Bei der Ermittlung des dritten Teilfaktors, nämlich der Ermittlung der überbelegten Wohnungen, ergibt sich eine Frage, auf die später noch eingegangen wird, was als Norm für den Überbelag angesehen werden soll. Der von den Vereinten Nationen aufgestellteo Grenzwert beträgt ridrebdand .mehr. Personen .pra. Wohnraum,.-. ein Wert; der als relativ hoch bezeichnet werden muß. Ermittelt man auf Grund dieser Norm die überbelegten Wohnungen, so ergibt sich für Österreich eine Anzahl von rund 242.000 Wohnungen, wobei Wohnungen, die mit zwei und mehr Haushalten belegt sind, in dieser Zahl enthalten sind, so daß sich gewisse Überschneidungen mit dem Faktor zwei ergeben, die jedoch größenmäßig kaum ins Gewicht fallen. Wie entscheidend hierbei die Frage der Normfestlegung, welcher Grenzwert als Überbelag zu gelten hat, ist, ersieht man daraus: Setzt man den Grenzwert mit zwei und mehr Perso-’ nen pro Wohnraum fest, so ergibt sich bereits eine Anzahl von rund 660.000 überbelegten Wohnungen!

Besonders umstritten erscheint die Abgrenzung der vierten, rein qualitativen Komponente. Um die Wohnungen zu ermitteln, die dem heutigen Wohnungsstandard nicht mehr genügen, wurde in den Publikationen des Österreichischen Statistischen Zentralamtes das Fehlen von Wasserleitung und Abort im Wohnungsbereich angenommen. Die Anzahl dieser „Substandardwohnungen” beträgt in Österreich rund 695.000. Dabei ist jedoch zu bedenken, daß in dieser Zahl ein nicht unbeträchtlicher Anteil an Wohnungen enthalten ist, der bereits bei der Ermittlung des Überbelages berücksichtigt wurde.

Die zweispaltige Tabelle zeigt die Aufschlüsselung der genannten Zahlen für die einzelnen Bundesländer.

Da ein Wohnungsbedarf, der sich aus diesen nicht weiter begrenzten Faktoren zusammensetzt, gigantische Ausmaße erreicht — es ergeben sich dabei zirka 800.000 bis 900.000 fehlende Wohnungen —, müssen BegTen- zungsnormen aufgestellt werden.

Während der erste Teilfaktor, das sind in Not- und Behelfsunterkünften lebenden Haushalte, feststehen dürfte, wäre bei den übrigen Komponenten eipe Zusammenlegung möglich. So könnte zum Beispiel der Haushaltsbelag mit der qualitativen Ausstattung der Wohnungen kombiniert werden, das heißt, es könnten alle Substandardwohnungen, die mit zwei und mehr Haushalten belegt sind, als Wohnungsbedarf der Dringlichkeitsstufe 1 gewertet werden. Dies würde für Österreich eine Anzahl von zirka 14.000 Wohnungen ergeben.

Eine andere Möglichkeit wäre die Kombination von Überbelag und Ausstattung in der Form, daß Substandardwohnungen, die mit drei und mehr Personen pro Wohnraum belegt sind, als vordringlichster Bedarf gelten könnten. Zieht man diese Möglichkeit in Betracht, so ergibt sich daraus ein Bedarf von zirka 60.000 Wohnungen.

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Kleinstwohnungen, die qualitativ den Mindestanforderungen nicht genügen, als erste Dringlichkeitsstufe zu bezeichnen. Nimmt man hierbei die Substandardwohnungen, die nur einen Wohnraum aufweisen, so ergibt sich eine Anzahl von rund 3ll.000 Wohnungen.

Eine Gegenüberstellung der sich aus diesen Kombinationsmöglichkeiten ergebenden Zahlen in den einzelnen Bundesländern zeigt die folgende Tabelle:

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