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Qualität statt Quantität

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Vor mehr als fünf Jahren versprach der steirische SP-Abgeordnete Josef Moser als Initiator des sozialistischen Wohnbauprogramms, die Wohnbauleistung in Osterreich jährlich um 5000 Wohnungen zu steigern, falls ein Sozialist das Bautenressort überantwortet bekommen würde. Nun, Josef Moser war im ersten Kabinett und ist im zweiten Kabinett Kreisky Wohnbauminister. Bundeskanzler Kreisky nahm seine Forderung in die Regierungserklärung auf: „Die Bundesregierung“, so sagte der Bundeskanzler vielversprechend, „wird alle Maßnahmen ergreifen, um Österreich auch in bezug auf die Wohnbauleistung und die Wohnungsausstattung zumindest an die anderen europäischen Industriestaaten heranzuführen.“ Daraus wurde nichts. Schon 1972/73 ging die Zahl der in Österreich geförderten Wohnungen um rund 6000 zurück, um ein Jahr später an das Niveau des Jahre 1970 heranzukommen.

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Vor mehr als fünf Jahren versprach der steirische SP-Abgeordnete Josef Moser als Initiator des sozialistischen Wohnbauprogramms, die Wohnbauleistung in Osterreich jährlich um 5000 Wohnungen zu steigern, falls ein Sozialist das Bautenressort überantwortet bekommen würde. Nun, Josef Moser war im ersten Kabinett und ist im zweiten Kabinett Kreisky Wohnbauminister. Bundeskanzler Kreisky nahm seine Forderung in die Regierungserklärung auf: „Die Bundesregierung“, so sagte der Bundeskanzler vielversprechend, „wird alle Maßnahmen ergreifen, um Österreich auch in bezug auf die Wohnbauleistung und die Wohnungsausstattung zumindest an die anderen europäischen Industriestaaten heranzuführen.“ Daraus wurde nichts. Schon 1972/73 ging die Zahl der in Österreich geförderten Wohnungen um rund 6000 zurück, um ein Jahr später an das Niveau des Jahre 1970 heranzukommen.

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Schon vor einigen Wochen gab die Regierung klein bei. Ja, so sagte sie, wir werden zugeben, daß wir in der Wohnbaupolitik unsere Zielsetzungen nicht erreicht haben. Dieser Tage aber nahm Bautenminister Josef Moser eine totale Kurskorrektur in der Wohnbaupolitik vor: „Es kann heute sicherlich nicht mehr das oberste Ziel sein, eine möglichst große Wohnbauleistung zu erbringen. Der quantitative Wohnungsfehlbestand ist abgedeckt. Es geht darum, beim Wohnungsbau den Qualitätsanforderungen der Zukunft gerecht zu werden und die finanzielle Belastung der Wohnungsinhaber in erträglichen Grenzen zu halten.“

Recht hat er. Bloß: seine Einsicht in die Wirklichkeit der österreichi-

schen Wohnbaupolitik kommt spät. Die Jahre zwischen 1970 und 1975 sind unwiederbringlich verloren.

In Österreich gibt es heute bereits um 269.000 mehr Wohnungen als Haushalte und die Bevölkerungsentwicklung deutet nicht darauf hin, daß sich das in den nächsten zehn, zwanzig Jahren ändern wird. Im Gegenteil: ohne besondere prophetische Gaben läßt sich heute bereits sagen, daß es etwa 1980 rund 300.000 mehr Wohnungen als Haushalte geben Wird.

In Wien weist rund die Hälfte aller Wohnungen einen Substandard aus, d. h. die Naßzellen — so man diese Bezeichnungen für die Bassena überhaupt anwenden will — befin-

den sich auf den Gängen der Althäuser. Selbst in den vor zehn und zwanzig Jahren errichteten Gemeindebauten ist in Wien das Wohnen nicht ohne Qualen. Die Durchschnittsgröße liegt mit rund 46 Quadratmetern weit unter dem gesamtösterreichischen. Niveau; Aufzüge wird man auch in fünfstöckigen Gemeindebauten nur sehr selten finden; die Architektonik erinnert an den Charme von fünfzig Jahre alten Bahnhöfen in der Slowakei; die Wohnsiedlungen sind meist dort angelegt, wo sich vor zwanzig Jahren und auch heute, wie das so heißt, die Füchse gute Nacht sagen.

In den meisten Wiener Gemeindewohnsiedlungen liegt die Selbstmordrate weit über dem gesamtösterreichischen Durchschnitt. Ähnlich ist es um die Scheidungsrate und um die Jugendkriminalität bestellt. Diese triste Situation reflektiert nur die gesellschaftlichen Wirkungen unsozialer Wohnverhältnisse.

Gleichzeitig wurde in den letzten 55 Jahren so ziemlich alles getan, um auch die verhältnismäßig hohe Wohnqualität in den Althäusern auf das Niveau von Jung-Gemeinde-bauten zu reduzieren. Das gelang insbesondere mit einer Mietengesetzgebung, die sich nicht an Erfordernissen der Bewohner, sondern an orthodoxen Doktrinen orientierte. In dieser Frage bestehen erstaunlicherweise im übrigen auch heute noch keine wesentlichen Differenzen zwi-

sehen kommunistischen und sozialistischen wohnungspolitischen Überzeugungen (siehe unseren Beitrag über das Wohnen im Ostblock auf

Seite 7).

In der Bundeshauptstadt Wien und in zahlreichen Landeshauptstädten verfielen Althäuser; ganze Stadtviertel entwickelten sich zu Notstandsgebieten.

Heute erkennt man allerdings auch in der Sozialistischen Partei die schweren Fehler der Vergangenheit, heute ist man bereit, Althäuser, ja ganze Stadtbereiche mit Hilfe von staatlichen Förderungsmitteln zu

assanieren. Aber auch den Ländern will man wieder größere Entscheidungsfreiheit übertragen. Schon Anfang 1975 wurde ein Bundesgesetz wirksam, das es den Ländern freistellt, wieder auf den Finanzierungsschlüssel aus der Zeit vor 1968 zurückzukehren: 60 Prozent Förde-rungs-, 30 Prozent Kapitalmarkt-und 10 Prozent Eigenmittel.

Man wird der SPÖ zugestehen müssen, daß sie aus ihren Fehlern, die heute Bewohner und Städte zu büßen haben, gelernt hat. Das Lehrgeld war für uns freilich alle teuer.

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