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Dachgleidie mit Bauplan

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Die Delegierten zum ÖVP-Bundesparteitag werden an Plakatflächen vorbei zu ihrem Tagungsort gehen, auf denen die SPÖ ihre Programmflut und ihren programmatischen Fleiß optisch dokumentiert. In der Stadthalle zieht die ÖVP nach und schlägt auf 29 Seiten das vor, was sie mit „Fortschritt und Sicherheit“ in der nächsten Legislaturperiode tun will.

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Die Delegierten zum ÖVP-Bundesparteitag werden an Plakatflächen vorbei zu ihrem Tagungsort gehen, auf denen die SPÖ ihre Programmflut und ihren programmatischen Fleiß optisch dokumentiert. In der Stadthalle zieht die ÖVP nach und schlägt auf 29 Seiten das vor, was sie mit „Fortschritt und Sicherheit“ in der nächsten Legislaturperiode tun will.

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Dieses vorweggenommene Regierungsprogramm legt seinen Schwerpunkt auf das unterstrichene Wörtchen „und“ zwischen „Fortschritt“ und „Sicherheit“ und soll dokumentieren, daß man in der bürgerlichen Regierungspartei vom Leistungsnachweis jetzt weg zum Beweis der Zukunftsfreudigkeit kommen will. Was sinnbildlich als Gerüst die Stirnseite der Halle B der Stadthalle ziert, soll zusammen mit einem Bäumchen auf eine imaginäre Dachgleiche hinweisen: Die ÖVP hat zwar den „Rohbau“ aufgeführt, aber das „Haus“ noch nicht vollendet. Jetzt braucht sie Zeit für weitere vier Jahre. Ihr Programm ist ihr „Bauplan“. Was solcherart dekorativer Symbolismus ist, findet bei den Delegierten nicht unbedingt seinen Niederschlag. Das vorliegende Programm — ausgearbeitet von einem Ausschuß unter Vorsitz des Bundeskanzlers — bringt zwar in einigen Fragen neue Ideen, ist aber sonst kreuzbrav.

Freilich ist man in politischen Kreisen skeptisch, ob die erheblich umfangreichere und fundiertere Programmflut der SPÖ mit ihren tausend Seiten einen nachhaltigen politischen Profit beim Wähler bringen wird.

Dennoch entscheiden sich die Parteien doch immer wieder für programmatische Aussagen, um- kleinen Gruppen der „Opinion leader“ zu gefallen und sich überdies ein gefälligeres Image zu geben.

Aber schon im ersten Kapitel, das sich mit der vielstrapazierten Demokratiereform beschäftigt, können die meisten Vorschläge nur mit den Sozialisten zusammen beschlossen werden, weil sie Verfassungsänderungen bedingen. Und insgeheim

mag mancher treue ÖVP-Parteitags- delegierte hoffen, daß die Sozialisten für diese Reformen wenig Interesse zeigen würden.

Andere Programmvorschläge wie die Rechtsstellung der Parteien, die Reform der Gerichtsorganisation und die Verwaltungsreform haben Chancen, wenn Sich geeignete Persönlichkeiten in der ÖVP finden würden, die den Mut aufbringen, harte Schnitte zu führen.

In der Bildungspolitik wurde ein Tabu zerbrochen, das von früheren Unterrichtsministern der ÖVP vertreten wurde; denn nunmehr sollen „bewegliche Strukturen“ in der Schule den individuellen Erfordernissen der sich ändernden Welt angepaßt sein.

Die Erwachsenenbildung und die Berufsfortbildung soll gefördert werden, um der beruflichen Mobilität entgegenzukommen. Freilich: von einer gesetzlichen Verankerung etwa des „Bildungsurlaubs“ steht nichts im Programmentwurf; die hündischen Widerstände scheinen auch hier zu stark gewesen zu sein.

Der Wirtschaftsteil des ÖVP-Pro- grammes ist zum größten Teil eine Fortsetzung des seinerzeitigen Korenplanes und enthält auch jene Punkte, die bis jetzt noch nicht realisiert sind. Der große Durchbruch zur Industriepolitik, der sich die übrigen Wirtschaftszweige einzuordnen haben, ist nicht gelungen.

Die Sozialpolitik zeigt hingegen interessante Ansätze;

• Die Volkspartei tritt für die Beseitigung ungerechter Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten ein;

• sie fordert Vorrang für die Gesundheitspolitik, insbesondere

hinsichtlich der Vorbeugungsmedizin,. Ein Institut für Volksgesundheit könnte Kem eines zukünftigen „Gesundheitsministeriums“ werden.

• Statt dem Gratisaspirin soll in Hinkunft die Krankenkasse dem wirklich in Not geratenen Bürger helfen. Ein Ansatzpunkt für den „Selbstbehalt“ also?

• Im Bereich der Alterspension soll ein Bonus für die freiwillige spätere Inanspruchnahme eingeführt werden, um mehr Arbeitskräfte dem Produktionsprozeß zu erhalten.

Immerhin: die interessierte Wählerschaft könnte jetzt zwischen den Programmen aller drei Parlamentsparteien Vergleiche anstellen. Denn auch die FPÖ hat bereits vor längerer Zeit ihre „Formel 70“ vorgelegt. Ob freilich wieder das Programm im Hintergrund bleiben oder Personen wie Emotionen die Wahlauseinandersetzung bestreiten werden, ist zwar theoretisch noch offen, aber praktisch schon entschieden.

Der kommende Wahlkampf wird nun vor allem klarlegen, ob Programme auch verwirklichbar sind, ob man sie finanzieren kann und wer die Männer sind, die sie verwirklichen sollen.

Der Vorteil der ÖVP liegt in diesem Zusammenhang auf der Hand. Die SPÖ muß noch einiges nachholen, um klarzustellen, wer neben Kreisky die ehrgeizigen SPÖ-Programme realisieren soll — und wo ein SPÖ- Finanzminister das notwendige Geld dafür hernehmen wird. ;

Um diese Frage wird dich die Opposition nicht herumdrücken können. Wiewohl auch die Regierungspartei gut daran täte, ihr Programm nicht als lästiges Feigenblatt zu betrachten. Denn bisher waren ÖVP-Prö- gramme noch immer zu diesem Schicksal verdammt.

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