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Der Mensch, das Böse und das Gute

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Der polnische Ex-Marxist und Philosoph Leszek Kolakowski, der vor wenigen Wochen den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt, verneinte in einem Interview zwar die Frage, ob er ein Christ sei, fügte aber hinzu: „Ich sehe mich als Teilnehmer einer lebendigen, christlichen Kultur. Der Mensch ist gut und böse; das Böse ist lebendig. Ich glaube an die These von der Erbsünde.” Vor drei Jahren schrieb er einen Aufsatz, in welchem er auf die Bedeutung der christlichen Lehre hinwies, daß es nicht nur einen Teufel gebe, sondern dieser auch nicht erlöst werden könne. Kurz darauf erschien ein anderer Aufsatz mit dem Titel „Des Teufels Pressekonferenz”, in welchem Kolakowskis Teufel sich darüber lustig macht, daß man an ihn nicht mehr glaube, und hinzufügt: „Den Teufel wird man am leichtesten los. Dann kommen die Engel, dann die Dreieinigkeit, schließlich Gott.”

Solche Aussagen eines Nicht-Christen, der uns drängt, doch unseren Glauben integral zu bewahren, sollte uns nachdenklich stimmen. Kolakowski hat erkannt, was viele unserer Theologen nicht mehr anerkennen wollen: daß wir Christen, anstatt die Welt zu bekehren, in Gefahr sind, uns von ihr anstecken zu lassen. Er läßt seinen Teufel in der erwähnten Pres- sekonferenz sagen, was wir eigentlich von unseren Kanzeln zu hören bekommen müßten: „Seit wann fürchtet der Glaube den Hohn der Ketzer und Heiden ? Die Kirche ist taub geworden, sie rennt mit der Zeit um die Wette, will neuzeitlich, fortschrittlich, hygienisch, funktionell, leistungsfähig, trainiert, verwegen, motorisiert, radiophonisiert, wissenschaftlich, sauber und energisch sein.”

Wie steht es mit uns? Glauben wir wirklich noch an die Erbsünde und den Teufel? Oder haben wir uns zu dem seit der Aufklärung um sich greifenden Aberglauben bekehrt, der Mensch sei in seinem Wesen gut und nur die Umstände könnten ihn zu einem aggressiven, bösen, teuflischen Wesen machen?

Ich gehöre nicht zu jenen, die meinen, das Wesen des christlichen Glaubens ginge baden, wenn wir nicht mehr an einen schönen Neandertaler namens Adam glauben, dessen aus seiner Rippe geschaffenes Weib Eva auf die Aufforderung einer Schlange hin vom verbotenen Apfel naschte. Ich bin auch bereit, darüber nachzudenken, ob die Kirche sich je ausdrücklich und verbindlich dazu geäußert hat, daß es unerlösbare böse Dämonen gibt, oder ob die entsprechenden dogmatischen Aussagen nicht vielmehr dahingehend gedeutet werden könnten (wie etwa Karl Rahner meint), daß solche Dämonen, falls es sie gibt, Geschöpfe Gottes sind, die sich durch ihre eigene Entscheidung vom Schöpfer abgekehrt haben.

Worüber ich allerdings nicht bereit bin, aufklärerisch zu reflektieren, ist die dahinterstehende Aussage, daß der Mensch zwar als Geschöpf Gottes gut sein kann, faktisch aber böse ist - und zwar, wie Kolakowski treffend sagt, „unvermeidlich”; und daß es einem Geschöpf möglich ist, sich von seinem Herren so radikal abzukehren, daß Gott, wenn er seinen freien Willen respektiert, ihn nicht mehr retten kann.

Es sind vor allem zwei Gründe, die mich zu dieser Auffassung veranlassen - von meinem Gehorsam zum Lehramt der Kirche Jesu Christi einmal abgesehen. Der erste ist mehr philosophisch: die Behauptung, an menschlicher Bosheit seien bloß Umstände schuld, macht einerseits den Menschen zu einem total situationsgebundenen Tier und übersieht anderseits, daß diese angeblichen Umstände von Menschen verursacht werden, und der Mensch es auch gar nicht vermeiden kann, sie ständig herzustel- . len. Hinter der Behauptung, nur die Umstände könnten den Menschen böse machen, steht die absurde Vorstellung, wir könnten Bedingungen schaffen, die das Böse grundsätzlich verhindern. In Wirklichkeit gibt es nur eine erfolgreiche Maßnahme gegen das Böse: sich frei und täglich neu für das Gute zu entscheiden, wohl wissend, daß wir es ohne Gottes Hilfe nicht vermögen.

Damit ist schon der zweite Grund, ein theologischer, angedeutet Wenn es keine Erbsünde und keine böse Macht gibt, wird unverständlich, wovor uns die Menschwerdung des göttlichen Logos und das Leiden und Sterben Jesu Christi eigentlich erlöst hat. Wenn Christus nicht Mensch geworden und gestorben ist, um uns von einer Verstrickung in das Böse zu befreien, an der wir zwar immer mitschuld sind, die wir aber praktisch nicht vermeiden können, dann weiß ich nicht mehr, was Erlösung ist.

Wäre es nicht an der Zeit, daß wir wieder nachzuvollziehen suchen, wieso die Evangelisten und die ersten Christen von einer „Frohbotschaft” sprachen? Wenn es keine Erbsünde gibt und der Teufel über diese Welt keine Macht hat, weil es ihn möglicherweise gar nicht gibt, ist die Botschaft des Christentums zwar nett und erfreulich, vielleicht sogar hilfreich; doch ist schwer zu sehen, warum wir - wozu wir ja aufgefordert sind - jubeln und danken sollten, wenn wir sie vernehmen.

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