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Warten auf Godot

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Die jungen polnischen Schriftsteller und Publizisten, die nach dem Oktoberumschwung 1957 verwegen genug waren, nach Wahrheit zu streben und eine große Umwertung der Begriffe zu fordern, wurden von einigen „Realpolitikern“ in Erinnerung an die enrages unter den Jakobinern der französischen Revolution die „Rabiaten“ genannt. Da es den Schriftstellern aufgegeben ist, die moralische und nicht die politische Haltung des Menschen zu festigen, setzten sie sich für die moralische Aufwertung der durch den Stalinismus entarteten sozialistischen Konzeptionen ein. Zu denen, die es unternahmen, die marxistische Ideologie zu enttotalisieren und ihres Mythos zu entledigen, gehörte auch der begabteste unter den jungen Philosophen Leszek Kolakowski. Die relativ große Meinungsfreiheit, die eine Zeitlang in Polen herrschte, war ganz und gar das Verdienst der „Rabiaten“.

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Die jungen polnischen Schriftsteller und Publizisten, die nach dem Oktoberumschwung 1957 verwegen genug waren, nach Wahrheit zu streben und eine große Umwertung der Begriffe zu fordern, wurden von einigen „Realpolitikern“ in Erinnerung an die enrages unter den Jakobinern der französischen Revolution die „Rabiaten“ genannt. Da es den Schriftstellern aufgegeben ist, die moralische und nicht die politische Haltung des Menschen zu festigen, setzten sie sich für die moralische Aufwertung der durch den Stalinismus entarteten sozialistischen Konzeptionen ein. Zu denen, die es unternahmen, die marxistische Ideologie zu enttotalisieren und ihres Mythos zu entledigen, gehörte auch der begabteste unter den jungen Philosophen Leszek Kolakowski. Die relativ große Meinungsfreiheit, die eine Zeitlang in Polen herrschte, war ganz und gar das Verdienst der „Rabiaten“.

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Kolakowski, Jahrgang 1927, setzte sich nicht nur mit den Dogmatikern des Kommunismus, sondern auch mit denen des Christentums und des polnischen Katholizismus im besonderen auseinander. Bereits 1957 entstanden die Erzählungen „Der Himmelsschlüssel“, verschlüsselte moralische Analysen nach Themen aus der biblischen Geschichte. Gewiß konnte die Art, wie der Autor mit den ehrwürdigen Patriarchengestalten des Alten Testamentes umging, zunächst einigen Anstoß erregen. Aber das waren bloß zynische Äußerlichkeiten: in Wahrheit wollte Kolakowski an den biblischen Geschichten, die er erzählte und abwandelte, aktuelle Fragen exemplarisch demonstrieren. (Erst nach sieben Jahren gab die polnische Zensur den Geschichtenband frei, dessen erste Auflage von 10.000 Exemplaren in wenigen Stunden vergriffen war.) Kolakowski ist Moralist, Satiriker und damit Verteidiger einer Utopie. Er glaubt, „daß ich die Welt in gewissem Rahmen verbessern ließe — für ihre Beurteilung der wichtigste Punkt — und daß man bei größter Anstrengung einer Unmenge von Menschen winzige Veränderungen zum Bessern an ihr vornehmen könnte“. Darum wendet er sich gegen die gewohnten Denkmechanismen; darum ist er für Toleranz und gegen den Fanatismus, für das Leben und gegen die erstarrte Doktrin. Marxismus ist für ihn eine unter den vielen anderen möglichen Methoden des Denkens. Schon die Titel seiner Essaybände sprechen für sich, wie: „Der Mensch ohne Alternative. Von der Möglichkeit und Unmöglichkeit, Marxist zu sein.“ „Traktat über die Sterblichkeit der Vernunft.“ 1958 erschien sein großes Spinoza gewidmetes Werk „Das Individuum und die Unendlichkeit“, in welchem er die klassischen Fragen der Metaphysik als moralische Fragen zu deuten unternahm. Während der Toleranzperiode Adam Schaffs bekam Kolakowski den Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Warschau. 1966 wurde er aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen, als er erklärte, daß das Regime Gomulkas die Hoffnung und Freiheit des Geisteslebens in Polen nicht erfüllt habe. Das führte zu einem Massenaustiritt namhafter polnischer Schriftsteller aus der Partei. Als Kolakowski im Februar 1968 in einer Versammlung des Warschauer Schriftstellerverbandes die verschärfte Kulturpolitik in Polen in gewohnter Weise angriff, verlor er wenige Tage später seine Professur und wurde von nun ab auf Schritt und Tritt überwacht. Im Dezember 1968 „schob“ man den Unbequemen ins Ausland ab. Seither hat er eine Gastprofessur an der Universität in Montreal inne. In dem neuen Werk Kolakowskls sind Texte aus den Jahren 1961 bis 1965 vereinigt.

Am eindringlichsten erweisen sich aktuelle Beziehung und satirische Schärfe am Protokoll der satanischen Pressekonferenz, die ein ebenso blasierter wie philosophisch gebildeter Dämon abhält. Wenn auch von ihm behauptet wird, er habe keinen Humor und sei auch nicht sonderlich intelligent, sind doch einige seiner Bemerkungen am Rande allen Nachdenkens wert, wie zum Beispiel: „Die Kirche ist taub geworden, sie rennt mit der Zeit 'im die Wette, will neuzeitlich, fortschrittlich, hygienisch, funktionell leistungsfähig, trainiert, verwegen, motorisiert, radiophonisiert, wissenschaftlich, sauber und energisch sein.“ Oder: „Sie haben Ihren Freud, der Ihnen hilft, über Aggressionsdrang und Todesinstinkt zu sprechen, dazu Ihren Jaspers, auf daß er Ihnen etwas über die Leidenschaften der Nacht erzähle, in welcher der Mensch den Versuch unternimmt, der Gottheit ihre Geheimnisse zu entreißen. Sie haben Ihren Nietzsche, Ihre Psychologen ... Sie beherrschen die Kunst, etwas zu verbergen, wobei Sie es gleichzeitig fertigbringen, eine Sache unter dem Vorwand zu verschweigen, Sie wollten sie soeben enthüllen.“ Aber über das so leichthin Angedeutete gelangen Kolakowski und sein Dämon weit hinaus zur grundsätzlichen Frage über die Stellung des Bösen in der Welt. Es sei weder „Unglück“ noch „Geschick“, das der Welt rein zufällig widerfahre und das man täglich bekämpfen könne, sondern nur nutzlose Grausamkeit, ziellose Zerstörungswut. „Ihr könnt die Welt von Grund auf ummodeln und neu einrichten. Dem Bösen aber ... könnt ihr seine Lebenskraft nicht rauben. Es ist keine zufällige Abweichung, Fehlleistung, Ungeheuerlichkeit. Der Teufel läßt sich nicht erklären, er ist Bestandteil unseres Seins. Seltsam, daß in einer Welt, aus der man so hartnäckig eine Ordnung herauszudeuten — um nicht zu sagen: zu konstruieren sich bemüht, das Böse nach wie vor als Faktum sich darbietet.“ Gott, so lautet die Schlußfolgerung, hat die gefallenen Engel für ewig aufgegeben, das Bös gehört somit zwangsläufig zur „Weltstruktur“. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, daß dieses Buch des Moralisten Kolakowski um des Grundproblems unserer Existenz willen, aus dem Dilemma zwischen der Notwendigkeit des Bösen und seiner notwendigen Verdammung entstanden ist. Seine kritischen Vorbehalte allen Irdischen Heilsgewißheiten und Paradiesvorstellungen gegenüber sind offenbar. Das zeigen noch unverschlüsselter die den acht Diskursen angefügten beiden Sze-nenfolgen. In dem Filmdrebb.uch „Vertreibung aus dem Paradies“ sind Gottvater und der Teufel Direktor und Stellvertreter im ,Hotel Eden“, wo sie Adam und Eva durch tausend als Engel getarnte Geheimpolizisten überwachen lassen. In der Farce „Pfarrer Jensens System“ harren die Personen jähre-, jahrzehntelang im Warteraum des Zahnarztes aus, bis sie aufgerufen werden. Manchmal hört man die Schreie aus dem Zimmer des Arztes, aus dem es keinen Ausgang gibt, nur ein Zurück in den Warteraum. Becketts „Godot“ und Kafka sind Vorbilder.

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