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Abtrünniger Marxist

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Von einem Vordenker des Marxismus in den fünfziger Jahren wandelte sich der Pole Kolakowski zu einem der vehementesten Kritiker und Apostaten dieser. Denkrichtung.

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Von einem Vordenker des Marxismus in den fünfziger Jahren wandelte sich der Pole Kolakowski zu einem der vehementesten Kritiker und Apostaten dieser. Denkrichtung.

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Leszek Kolakowski kommt aus einem liberalen Elternhaus, wurde am 23. Oktober 1927 in Radom (Polen) geboren, ging später in Lodz zur Schule und stritt nach dem Zweiten Weltkrieg als junger Student und Assistent voll Fortschrittsoptimismus für eine sozialistische Zukunft Polens, ohne kirchliche Unterdrückung, ohne klerikalen Obskurantismus, frei von entwürdigender Erniedrigung gegenüber theologischen oder transzendenten Autoritäten.

Der Gegner ist im Lande der wundertätigen Maria von Tschenstochau die katholische Kirche. Sie gilt dem jungen polnischen Kommunisten als der finstere Ort von Aberglauben, dogmatischer Verdummung und politischer Reaktion. Kolakowski interessierte aber auch der 2000 Jahre alte Erfolg dieser Institution, die Kirchengeschichte und die christliche Theologie.

Kolakowskis Leistung in jenen Jahren, in denen die Geschichte sein Leben total beherrschte, lag in der Kompromißlosigkeit seines Nachdenkens. Er bekämpfte in Wort und Schrift rücksichtslos und leidenschaftlich die etablierte Kirche. Er hat sich in jenen Jahren um die atheistische Aufklärung verdient gemacht, weil er in der Sache kenntnisreich und in der Leidenschaft jung war.

Mitte der fünfziger Jahre gehörte er dann allerdings zu den wichtigsten geistigen Wegbereitern des Polnischen Oktobers, was ihm von sowjetischer Seite bald den Vorwurf des Revisionismus eintrug. Gomulka ermöglichte ihm intensive Studien im Westen und schickte ihn so in den politischen Windschatten.

Doch 1966 war Kolakowskis Bruch mit der Kommunistischen Partei nicht mehr zu vertuschen. Nach einer herben öffentlichen Kritik an zehn Jahren Gomulka-Regime wurde er aus der Partei ausgeschlossen, zwei Jahre später verlor er seinen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Warschau.

Er war aber inzwischen bekannt genug, um vor einem tristen Emigrantenschicksal bewahrt zu bleiben. Seit 1970 lehrt er als Fellow des All Soul Colleges in Oxford, wo er auch lebt. Kolakowski ist vom Christentum (er studierte auch Theologie) genau so geprägt wie vom Marxismus. Seine großen Vorbilder sind Erasmus und Spinoza. Sokrates gehört als Größter hinzu, der Lehrer allen Philosophierens.

Damit soll angedeutet werden, daß Kolakowski kein Schulphilosoph alter Tradition ist, wenngleich er die Geschichte der Philosophie wie kein anderer kennt, aber auch kein Erkenntnistheoretiker im Sinne von denk- und sprachanalytischer Forschung, obwohl er auch auf diesem Gebiete anregend gewirkt hat. Er zeigt in einer Zeit verwissenschaftlichter Philosophie, daß und wie wir philosophieren sollen.

Sein bisher umfangreichstes Werk „Die Hauptströmungen des Marxismus“ in drei Bänden ist der unsentimentale Abschied von „einem Vater, der vieles durchschaute, dem aber die Liebe fehlte, auch die Liebe zur Wahrheit und der Mut zum Geständnis des Irrtums“ (L. Reinisch).

Kolakowskis Marxismusanalyse, die zugleich Marxismuskritik ist, hat viel Widerspruch gefunden. Kolakowskis Abwendung von der tragenden Säule seines Jugendglaubens wird sich allerdings nicht mehr ändern, er ist ein Apostat, ja der Apostat des Marxismus schlechthin geworden.

Angesichts des Positions- und Interessenwandels vom Marxismus zur Religionsphilosophie ist Kolakowski gerade in deutschen intellektuellen Kreisen inzwischen häufig als Konservativer, j a sogar als Reaktionär bezeichnet und kritisiert worden.

Sein unbeirrtes Plädoyer für Freiheit, Menschenrechte und rechtsstaatliche Demokratie und sein militanter, zum Teil sarkastisch formulierter Antikommu-nismus reichen bei vielen Vertretern des politisch intellektuellen Milieus aus, ihn als Rechten abzustempeln. Sicher zu Unrecht.

Der Apostat des Marxismus wurde vom Christentum „umarmt“, und Gott, Bibel, Mythos haben ihn seither nicht mehr in Ruhe gelassen. Von seinem Buch „Christen ohne Kirche“, einer Glaubensgeschichte der suchenden Menschen des 17. Jahrhunderts, öffnet sich der Weg zu dem von seinen marxistischen Kritikern am heftigsten attackierten Buch „Die Gegenwärtigkeit des Mythos“.

Sein einstiger Lehrer Adam Schaff bemerkte zu diesem Band, daß „Kolakowski“ kein marxistischer Philosoph mehr sei. Hier nimmt Kolakowski Abschied von der Sozialutopie des

Karl Marx und seiner Nachfolger und wendet sich einer neuen, eigenwilligen, in Umrissen skizzierten metaphysischen Philosophie zu.“

Geburt und Tod, Liebe und Leid, menschliche Existenz gegenüber der Gleichgültigkeit der Welt könnten nicht bewältigt werden ohne jene Dimension, die man Mythos, das Irrationale, Religion, Transzendenz, Metaphysik, ja selbst Gott nennen mag.

Die Hybris, Leben und Wirklichkeit in der Philosophie begrifflich einfangen und fassen zu können, liegt Kolakowski gänzlich fern. Für ihn ist Philosophie weder selbstgenügsam noch Selbstzweck. Eine absolute Wahrheit, wie sie im Glauben angenommen werden kann, vermag sie nicht zu erreichen.

Und obwohl Kolakowskis Interesse sich gerade in den letzten Jahren mehr und mehr auf die Religionsphilosophie konzentrierte und er als Nichtkatholik die katholische Kirche vor einer Verweltlichung ihrer Haltung und einer Liberalisierung ihrer Lehre warnt, lockt ihn immer wieder die Rolle des Narren.

„Wir treten für die Philosophie des Narren ein“, schreibt Leszek Kolakowski, „also für die Haltung der negativen Wachsamkeit gegenüber jedem Absoluten, und dies nicht aufgrund eines Ergebnisses nach Prüfung der Argumente, denn die wichtigsten Entscheidungen sind Wertungen.“

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