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Christ ohne Kirche, Marxist ohne Partei

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Der polnische Philosoph Leszek Kolakowski, geboren 1927 in Radom, konfrontiert mit der ihm eigenen Energie analytischen Denkens sich selbst und den Zuhörer oder Leser mit den Fragen, die den menschlichen Geist nie zur Ruhe kommen lassen.

Er begann als Eiferer. Der junge Student, der nach dem Krieg in der Lodzer Universität Furore machte, ehe er sich 1953 bei Adam Schaff in Warschau habilitierte, war nicht nur ein philosophisches Wunderkind — es wäre damals auch schwer gefallen, ihn von einem orthodoxen Marxisten zu unterscheiden. Kolakowskis Eltern waren Linksintellektuelle und Freidenker. Die Mutter starb früh, der Vater wurde von Landsleuten an die Nazis verraten und umgebracht.

Kolakowski wuchs auf mit Erinnerungen an ein Vorkriegspolen, das mit dem Namen Marschall Pildusdki verbunden war - das würden wir ja heute auch als ein autoritäres wenn nicht faschistisches Regime bezeichnen -und für ihn kam 1944/45 die Befreiung durch die Rote Armee. Er focht in jenen Jahren gleichermaßen gegen einen philosophischen Positivismus -eine große polnische Tradition - wie auch gegen den Katholizismus. Dabei war er immer ein unglaublicher Kenner - ich glaube niemand kennt die Konziliengeschichte, die Entfaltung des christlichen Dogmas so wie er -und er hat damals schon Gegner, vor allem Jesuiten, verblüfft durch seine genaue Kenntnis der Geschichte des Christentums. Wer sich so in das Chri -stentum hinein vertieft hat, in seine Geschichte und vor allem in die philosophischen Fassungen des Glaubens von den frühen christologischen Dogmen an, der nimmt zumindest diese Position ernst. Heute ist klar, daß er sich in den späten fünfziger Jahren vom Kommunismus sowjetischer Spielart abgewendet hat. Er hat wohl einige Zeit noch an eine Reform dieses Glaubens - das war für ihn immer ein Glaube - vertraut. Aber seit den siebziger Jahren rechne ich ihn eigentlich jener Zwischengruppe zu, die man als Erasmianer zwischen den Fronten bezeichnen könnte. Sein schönstes und persönliches Buch aus dieser Zeit heißt „Chretien sans Egli-se” - Christen ohne Kirche! Ein wenig hört man hier auch durch: Marxisten ohne Partei. Beiden gehörte er lange zu, heute bewegt er sich vielleicht auf einen mystischen Glauben zu, ohne daß er sich je explizit als Gläubigen bekannt hat.

Daß ein Pole nie ganz aus der lateinischen und katholischen Tradition herausfallen kann, das bestätigt sich an der geistigen Entwicklung von Leszek Kolakowski. Kolakowski philosophiert vor einem Horizont, zu dem Kain und Noah, Abraham und der Dulder Job, Augustinus, Erasmus und Malebranche ebenso gehören wie Parmenides, Plotin, Spinoza und vor allem Edmund Husserl. Das macht den unverwechselbaren Duktus seines Denkens aus. Er spricht mit antiken Autoren als seien sie Zeitgenossen, Gott und der Teufel sind immer gegenwärtig in seinen Büchern, seine komödiantische Natur hat ihn dazu verführt, den Teufel selber auf einer Pressekonferenz in Warschau auftreten zu lassen. Kolakowski ist nicht nur ein bedeutender Philosoph, er ist auch ein großer Schriftsteller, der sich nicht nur in Traktaten äußert, sondern auch in Aphorismen, in Szenen, in Fabeln und der immer ein Verhältnis zur christlichen Tradition hatte.

Zunächst ist das Christentum in seiner Philosophie gegenwärtig, weil er an der christlichen Kultur auch als einer Kultur des Denkens immer teilgenommen hat. Sodann begegnet ihm die christliche Botschaft, weil er das Böse als Bealität immer in seiner Philosophie bedacht hat - er hat alle prometheischen Selbsterlösungslehren, deren letzte und wirkungsvollste der Marxismus war, vernichtend kritisiert.

So schreibt er 1973: „Der Traum von der vollkommenen Einheit der menschlichen Gemeinschaft ist wahrscheinlich so alt wie das menschliche Denken, die romantische Nostalgie war nur eine spätere Inkarnation davon. Es gibt keinen Grund zu erwarten, daß dieser Traum jemals aus unserer Kultur ausgelöscht werden kann, denn er hat starke Wurzeln im Bewußtsein eines Bruches, den die Menschheit offenbar ganz am Ende ihrer Existenz nach dem Verlassen der animalischen Unschuld erlitten hat. Und deshalb gibt es auch keinen Grund für die Erwartung, daß dieser Traum jemals Wirklichkeit werden kann, außer in der grausamen Form des Despotismus. Der Despotismus ist eine verzweifelte Nachahmung des Paradieses.”

Kolakowski ist im Rückzug vom Marxismus nicht ausdrücklich Christ geworden. Das hängt mit seiner philosophischen Scheu vor vollkommenen Sicherheiten zusammen. Gewiß, Kolakowski hat geschrieben: „Wenn

Gott nicht existiert, ist alles erlaubt”, diese Devise, diese Konsequenz Nietzsches ist auch für ihn schlüssig. Aber ein wenig gilt für ihn auch wohl das Umgekehrte, daß nämlich das allzu sichere Wissen über Gottes Existenz und Gottes Willen eine Quelle mancher Gewalttätigkeit in der Geschichte des Christentums gewesen ist.

Wo liegt die Grenze - das ist seine philosophische Frage - die die Wahrheittyrannisch werden läßt? Verheißt am Ende nur der Zweifel Bereitschaft zur Toleranz? Ein wenig finde ich in Kolakowskis Schriften auch ein Echo des von Karl Löwith geäußerten Verdachts, daß die grausamen und verschlingenden Tendenzen des modernen Totalitarismus eine vielleicht unfreiwillige Pseudomorphose christlicher Radikalität sind.

Kolakowski fühlt sich immer schon zu jenem Zwischenreich hingezogen, das von Christen ohne Kirche und von Marxisten ohne Partei bewohnt wird. Aber ich glaube, daß diese Erasmische Position auf die Länge für ihn nur einen Zwischenaufenthalt bildet, denn die Suche nach Gewißheit hat dieser Philosoph nie aufgegeben. Er merkt freilich auch, daß bei aller Leidenschaft des Denkens die Suche nach Gewißheit Schwindelgefühle auslöst, sein Hus-serl-Buch hat ja den bezeichnenden Titel „Horror metaphysicus”. Das ist die philosophische Botschaft, die Leszek Kolakowskis Werke vermittelt: Man darf nicht aufhören nach Gewißheit zu fragen, aber zugleich überfordert die Suche nach Gewißheit den Menschen, man gerät ins Taumeln, ins Schwindeln.

Wohin die mühsame Beise ihn führen wird, weiß niemand. Sicher ist nur, daß er sich aller Hoffnungen auf ein kollektives Paradies, auf die Selbstversöhnung und Selbsterlösung des Menschen entledigt hat.

Eine andere Hoffnung aber nimmt er mit: daß man dem Bösen, das so unübersehbar die Geschichte des 20. Jahrhunderts bestimmt, aus eigenem Willen widersagen kann. Denn dieses Böse ist in uns, nicht in den sozialen Verhältnissen.

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