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Gesetz als Feigenblatt

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Eine plausible, nicht anthropozentrische, sondern auf das Tier selbst bezogene Begründung von Tierschutz geht von der Leidensfähigkeit der Tiere und dem Vernunftprinzip aus, Interessen, die man für sich selbst als berechtigt ansieht, auch bei allen anderen Individuen als schutzwürdig anzuerkennen. Die Verantwortung des Menschen für das Tier nimmt daher mit dessen Leidensfähigkeit zu.

In Österreich wurde erstmals 1974 ein Tierversuchsgesetz in Kraft gesetzt. Seit 1985 gibt es konkrete Überlegungen, dieses Tierversuchsgesetz 1974 zu novellieren oder ein neues Tierversuchsgesetz zu erlassen. Im Mai 1987 hat der Nationalrat in einer Entschließung die Bundesregierung ersucht, eine Auflistung aller behördlich vorgeschriebenen Tierversuche zu erstellen und diese Tierversuche auf deren Notwendigkeit beziehungsweise Substituierbarkeit durch Alternativmethoden zu überprüfen.

Eine daraufhin dem Parlament von der Bundesregierung zugeleitete Zusammenstellung zeigt, daß eine ganze Reihe von Gesetzen und Verordnungen Tierversuche ausdrücklich verlangt oder unter Bezugnahme auf den „Stand der Wissenschaften“ zur Voraussetzung für die Vollziehung bestimmter Gesetze und Verordnungen macht.

Diese Antwort der Bundesregierung spiegelt die Tatsache wider, daß sich unsere Zivilisation — und besonders auch die Gesetzgebung zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Mensch und Tier und zum Schutz der Umwelt — zu einem guten Teil auf Erkenntnissen aus Tierversuchen abstützt.

Die Aufzählung dieser Vorschriften reicht vom Arzneimittelgesetz über die Arzneimittelspezialitätenverordnung, das Lebensmittelgesetz, die Kosmetikverordnung, die Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung, das Sonderabfallgesetz, das mit Anfang dieses Monats in Kraft getretene Chemikaliengesetz, das Produkthaftungsgesetz, ja sogar das Gesetz über die Eisenbahnbeförderung und das Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße bis hin zum Universitätsorganisationsgesetz.

Jüngstes Beispiel für Anordnungen und Vorschriften, die eine bestimmte Art der Durchführung von Tierversuchen fordern, sind die Chemikaliengesetz-Anmel- dungs- und Prüfnachweisverordnung und die Chemikalien-Prüf- stellenverordnung des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie vom 23. Dezember 1988. Darin werden, sehr ins Detail gehend, Tierversuche zu den verschiedensten Fragestellungen vorgeschrieben und für die im Tierversuch vorzunehmenden Prüfungen eingehende Richtlinien erlassen. Ganz verschämt, aber sehr technokratisch, werden die Versuchstiere dort als „tierische Prüfsysteme“ bezeichnet.

Derartige Rechtsvorschriften werden in der Öffentlichkeit unter dem Gesichtspunkt des Tierschutzes nahezu überhaupt nicht diskutiert, obwohl sie entscheidend dafür sind, ob und welche Tierversuche in welchem Ausmaß durchgeführt werden müssen.

Ganz im Gegensatz dazu entzündet sich die Debatte um das Pro und Contra von Tierversuchen am Tierversuchsgesetz, dessen eigentliche Aufgabe es bloß ist, die Durchführung von Tierversuchen zu regeln und nicht vorgeschriebene unnötige Tierversuche zu verhindern.

Derzeit wird im Nationalrat eine vom Wissenschaftsministerium ausgearbeitete Regierungsvorlage, betreffend ein neues Bundesgesetz über Versuche an lebenden Tieren, beraten. Diese Regierungsvorlage verschärft die Kontrolle der Voraussetzungen wie auch der Durchführung der Tierversuche. Sie sieht in Anlehnung an die einschlägige Europa ratskonvention, die derzeitigen, diesbezüglichen Vorstellungen in der EG und an sonstige nationale Regelungen eine Meldepflicht für jeden Tierversuch vor, ferner gesonderte Genehmigungen für Tierversuchseinrichtungen, die Leiter von Tierversuchen und - abgestimmt nach dem Leid, das dem Tier zugefügt wird - für die Versuche selbst, ausführlichere

Bestimmungen über die Haltung und Pflege der Versuchstiere sowie eine statistische Erfassung der Tierversuche, die zu publizieren ist.

Zusätzlich betont diese Regierungsvorlage die Verantwortung der an der Durchführung von Tierversuchen beteiligten Personen, indem Verstöße gegen dieses Tierversuchsgesetz unter empfindliche Strafsanktionen gestellt werden.

Die Regierungsvorlage wurde von einem international anerkannten Toxikologen auf Einladung von Nationalratsabgeordneten, die dem Tierversuch eher skeptisch gegenüberstehen, anläßlich einer Enquete des Nationalrats als bedeutender Schritt vorwärts bezeichnet, um den Österreich beneidet werde. Auch der Oberste Sanitätsrat hat in einer einstimmig angenommenen Stellungnahme in der ihm übertragenen Verantwortung für die Volksgesundheit die Grundsätze dieser Regierungsvorlage bestätigt.

Sicherlich stellt die Regierungsvorlage sowohl für die Universitäten als auch für die Industrie eine sehr erhebliche Belastung dar, die im Hinblick auf die ethische Bedeutung des Tierschutzes wohl akzeptiert werden muß. Weitergehende Verschärfungen, wie sie derzeit im Nationalrat diskutiert werden, laufen Gefahr, notwendige und vorgeschriebene Tierversuche durch administrative Maßnahmen zu behindern, ohne wirklich einen Beitrag zum Tierschutz zu leisten, ja, im Gegenteil, sogar unter anderem wegen der immer mitzuführenden Kontrolluntersuchun- gen eine Erhöhung der Zahl der benötigten Versuchstiere zu verursachen.

Der eigentlichen und wirklich zielführenden Aufgabe des Gesetzgebers, nämlich die gesetzlichen Vorschriften zu überprüfen, die Tierversuche vorschreiben, scheinen sich alle Fraktionen des Nationalrats nicht zuwenden zu wollen — wahrscheinlich, weil sich dann die Notwendigkeit zeigen würde, zu entscheiden, in welchem Ausmaß die Sicherheit der Menschen, der Tiere und der Umwelt — selbst um den Preis von Tierversuchen — gewährleistet werden soll.

Anstelle dessen tummeln sich alle Tierversuchsgegner auf dem Nebenkriegsschauplatz namens Tierversuchsgesetz, indem sehr lautstark zum Beispiel die Einbindung von Kommissionen, vielleicht noch unter Beteiligung von Laien, gefordert wird, zugleich aber auch und im Widerspruch dazu auch noch, die Entscheidungskompetenz womöglich einem Minister zu übertragen, weil die Bezirksverwaltungsbehörden fachlich überfordert wären.

Die Diskussion um ein neues Tierversuchsgesetz vermittelt den Eindruck, daß speziell die Tierversuchsgegner die Debatten um ein Tierversuchsgesetz als einfacher und weniger folgenschwer ansehen als eine sachliche Auseinandersetzung mit den gesetzlich vorgeschriebenen Tierversuchen. Anders kann man ja die Tatsache schwer deuten, daß niemand die Beteiligung von Laien bei der Entscheidung darüber verlangt, ob ein bestimmter Toxizitätstest zur Beurteilung eines chemischen Stoffes notwendig sei, sehr wohl jedoch auch Laien zur Entscheidung aufgerufen werden, wenn es darum geht, diesen Toxizitätstest nun konkret durchzuführen.

Es wird ein hohes Maß an Sicherheit für den Verbraucher selbst um den Preis von Tierversuchen gefordert. Denjenigen, die diese Tierversuche durchzuführen haben und die es auch immer wieder sind, die aus ethischer Überzeugung und in erfinderischer Arbeit Ersatz- und Ergänzungsmethoden entwickeln, werden jedoch ständig Prügel vor die Füße geworfen. Ob damit eine Verbesserung des Tierschutzes erreicht werden kann, ist äußerst zweifelhaft. Der Nachteil für die Forschung und für die Gesundheit und Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt ist jedoch evident.

Der Autor ist als Jurist Mitglied des Arbeitskreises universitärer und industrieller Forschungseinrichtungen, die mit Tierversuchen befaßt sind.

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