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Ratten und Bürokraten

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Eine Senatskommission der Universität Wien warnt vor dem Aus für die medizinische Forschung durch die Novelle zum Tiervef-suchsgesetz. Jetzt werden Patienten zu Opfern.

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Eine Senatskommission der Universität Wien warnt vor dem Aus für die medizinische Forschung durch die Novelle zum Tiervef-suchsgesetz. Jetzt werden Patienten zu Opfern.

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Der Gesetzesinitiative der Bundesregierung, das erst zwei Jahre alte Tierversuchsgesetz zu novellieren, war eine „Petition der Initiative gegen Tierversuche“ vorangegangen, die - in letzter Konsequenz — die Abschaffung aller Tierversuche in Österreich forderte.

Die Universität Wien hat sich in einer eigenen Kommission des Akademischen Senats mit dem Problemkreis befaßt und gelangte zu dem Ergebnis, daß der vor-

liegende Gesetzesentwurf „aus der Sicht der universitären Forschung insgesamt als ungeeignet zu betrachten ist“.

Betrachtet man die Regierungsvorlage im Detail, so ist es nicht weiter verwunderlich, daß sich insbesondere universitäre Forschungseinrichtungen dadurch massiv beeinträchtigt fühlen.

Der Gesetzesentwurf geht nämlich weit über die berechtigten Anliegen der Tierschützer, wie etwa die Eindämmung unnötiger Tierversuche im Bereich der kosmetischen Industrie, hinaus, indem er ohne jede Differenzierung nach dem Zweck, dem der Versuch dienen soll, alle Tierversuche generell und ausnahmslos einer Bewilligungspflicht unterwirft.

Diese Bewilligung kann nur zentral durch den Bundesminister für Wissenschaft und Forschung — und nicht wie bei den nach bisherigem Recht bewilli-gungspflichtigen Tierversuchen durch die Bezirksverwaltungsbehörde - erfolgen. Alle Tierversuche müßten darüberhinaus dem Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz gemeldet werden. Solcherart wären mit jedem Ansuchen um die Bewilligung eines Tierversuchs zwei Ministerien befaßt.

Die Befürchtungen der Univer-

sitäten, die Neuregelung würde zu einer unerträglichen Bürokrati-sierüng führen, sind nicht von der Hand zu weisen.

Und die Verbitterung der Universitäten wird noch verständlicher, wenn man bedenkt, daß beispielsweise im Bereich der medizinischen Fakultät der Universität Wien der Anteil von Mäusen und Ratten an den Versuchstieren über 98 Prozent beträgt (1985). Diese Versuche sollen nun ebenfalls eingeschränkt werden, während die gleichen Tiere — teilweise sogar in Erfüllung eigens dafür geschaffener Rechtsvorschriften — ohne viel Aufhebens systematisch vertilgt werden.

Kein Wunder also, daß die Senatskommission der Universität Wien die geplante Verschärfung der Tierversuchsregelung, die auch für wissenschaftliche Tierversuche uneingeschränkt gelten soll, als „wissenschaftsfeindlichen Akt“ bezeichnet.

In vielen Bereichen der Medizin müssen nämlich „aus diagnostischen Gründen rasch Tierversuche durchgeführt werden, die sich akut aufgrund einer Erkrankung bei Patienten ergeben und daher auch nicht voraussehbar sind. (...) Da es um das Leben von Menschentgehen kann, müßte das Bewilligungserfordernis zurückstehen“ (Senatskommission).

Rechtlich wird gegen die Regierungsvorlage eingewendet, daß sie im Gegensatz zur in Artikel 17 des Staatsgrundgesetzes normierten Freiheit der Wissenschaft stehe, da die fachliche Beurteilung der Notwendigkeit und Eignung von wissenschaftlichen Tierversuchen in Hinkunft allein dem Wissenschaftsministerium zukommen soll.

Abgesehen von diesen grundsätzlichen Problemen finden sich in der Regierungsvorlage auch ei-

nige höchst problematische Detailregelungen. So wird beispielsweise die zweckfreie Grundlagenforschung mit Hilfe von Tierversuchen praktisch unmöglich gemacht, da die Genehmigung jedes Tierversuchs davon abhängt, daß die dadurch gewonnenen Erkenntnisse „eine Verbesserung der bestehenden Möglichkeiten erwarten lassen“.

Dazu stellte die Wiener Senatskommission fest: „Nur die zweckfreie Grundlagenforschung ermöglicht es, in weiterer Folge neue anwendungsorientierte Behandlungsmethoden zu entwik-keln... Zum Beispiel war für“ Jahrzehnte das Studium der zellulären Immunreaktion eine reine Grundlagenforschung ohne absehbare therapeutische Konsequenz. Erst das erreichte genaue Verständnis dieser Mechanismen führte zur Entwicklung neuer Methoden in der Beherrschung der Abstoßungsreaktionen, die heute die großen Erfolge der Organtransplantation ermöglichen.“

Zu dieser Bestimmung gesellt sich überdies ein Verbot von Wiederholungsversuchen, das „den wissenschaftlichen Forderungen (auch des Wiener Philosophen Sir Karl Popper) nach Wiederholbarkeit und Falsifizierung wissenschaftlicher Hypothesen widerspricht“ (Senatskommission).

Abgerundet wird das aus der Sicht der Universitäten traurige Bild noch durch eine erhebliche Verschärfung der Strafbestimmungen, die nach Auffassung der Wiener Senatskommission „in die Richtung einer Kriminalisierung derjenigen Wissenschaften weisen, deren Aufgabe es ist, zur Vermeidung von .Menschenversu-chen' Forschung im Tierexperiment zu betreibe^.“

Die vorgesehene Verschärfung der Strafbestimmungen ist wirk-

lieh erstaunlich, wenn man an die nachhaltigen „Entkriminali-sierungsparolen“ jüngster Vergangenheit denkt. So war es gerade die „drohende Kriminalisierung des Wissenschafters“, die als abschreckendes Beispiel immer dann an die Wand gemalt wurde, wenn es um gesetzliche Einschränkungen auf dem Gebiet der künstlichen Befruchtung und der Gentechnik beim Menschen ging.

Im Zusammenhang mit dem so rasch und bestimmt vorgelegten Entwurf für ein noch strengeres Tierversuchsgesetz kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß - entgegen der Beteu-* erung in den erläuternden Bemerkungen — nicht „die Erkenntnis, daß die dem Menschen übertragene Verantwortung auch zu einem umfassenden Schutz für die seiner Obhut anheimgestellten

Lebewesen verpflichtet“, Triebfeder für die Regierungsvorlage war, sondern eher allzu populistischer Stimmenfang, der Österreich im Bereich medizinischpharmazeutischer Forschung noch teuer zu stehen kommen könnte.

In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß in der Schweiz am 1. Dezember 1985 eine Volksabstimmung über das Verbot der Vivisektion von Wirbeltieren sowie grausamer Tierversuche stattfand. Dabei stimmten 70,5 Prozent der Bevölkerung für die Beibehaltung der Tierversuche.

Hohe Tiere laufen Gefahr, das Augenmaß zu verlieren. Einhalt und Besinnung sind geboten.

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